Fürstenfeldbruck:Telefonterror und 600 SMS an einem Tag

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Amtsgericht stellt Verfahren gegen 31-jährige Frau mit einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung ein

Von Anna Landefeld-Haamann, Fürstenfeldbruck

Mit einem "mulmigen Gefühl" verließ ein Münchener Neurologe täglich die Klinik. Umschauen, Umgebung beobachten, andere Ein- und Ausgänge benutzen - all das wurde für ihn zur "unnatürlichen Routine". "Wenn man verfolgt wird, fühlt man sich irgendwann auch verfolgt", sagte der 44-Jährige vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck. Über eineinhalb Jahre begleitete ihn dieses Gefühl, das "seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinflusste", wie die Staatsanwaltschaft am Mittwoch feststellte. Verantworten musste sich dafür eine ehemalige Patientin des Arztes. Unbefugte Nachstellung, so lautete bereits zum zweiten Mal die Anklage gegen eine 31-Jährige aus dem östlichen Landkreis vor dem Gericht. Seit Jahren leidet sie an einer Persönlichkeitsstörung.

Mutmaßlich bis zu 77 Mal täglich hatte die Angeklagte in dem Münchener Klinikum zwischen April 2013 und Oktober 2014mit unterdrückter Nummer angerufen. "In Hochphasen klingelte unser Stationstelefon im Minutentakt. Unsere Arbeit mussten wir ständig unterbrechen", berichtete eine Klinikmitarbeiterin. Dadurch wurde der Arbeitsalltag von zwei Stationen massiv gestört. Am anderen Ende der Leitung meldete sich jedoch nicht die Angeklagte, sondern in den meisten Fällen: niemand.

"Wie sind Sie dann überhaupt auf die Angeklagte gekommen?", war die Frage, die sowohl Richter als auch Verteidiger jedem der insgesamt sieben Zeugen stellten. Immer wieder fanden die Anrufe auch in Form von Konferenzschaltungen statt, bei denen mehr als zwei Teilnehmer miteinander sprechen können. Unfreiwillig wurden so Privatpersonen, weitere Kliniken oder Arztpraxen miteinander verbunden. "Alle Stimmen redeten durcheinander, kannten sich nicht einmal", erinnerte sich ein Pfleger. Nur ein einziges Mal - da sei auch der vollständige Name der Angeklagten gefallen und man habe ihre Stimme wiedererkannt. Von diesem Zeitpunkt an vermutete man, dass sie auch hinter den anonymen Anrufen stecken könnte.

Doch bei den Anrufen in der Klinik allein blieb es nicht. Immer wieder tauchte sie dort auch ohne Termin auf. Sie schrieb Briefe, nicht nur an den Oberarzt, sondern auch an andere Klinikmitarbeiter. Inhaltlich ähneln sie sich alle. Die Angeklagte thematisiert ihre Scham, Reue, ihr schlechtes Gewissen, aber bekundet auch zärtlich ihre Zuneigung und ihr Vertrauen. Ihrer Bewährungshelferin schickte sie an einem Tag 600 SMS. Mit Blumen entschuldigte sie sich dafür.

Erst der Oberarzt erstattete Anzeige. Unter falschem Namen schrieb ihm die Angeklagte im August 2014 eine E-Mail, in der ihr Alias behauptet, sie habe sich das Leben genommen. "Ich habe das sehr ernst genommen", sagte der Arzt. Noch am selben Abend informierte er die Polizeiinspektion Olching.

Selbst die psychiatrische Gutachterin konnte über die Beweggründe der Angeklagten für ihre Taten nur mutmaßen. Ein ausführliches Gutachten konnte sie nicht erstellen, da es der Angeklagten schwerfalle, Vertrauen zu fassen. Vielleicht sei es der Wunsch nach Aufmerksamkeit gewesen. Sicher sei nur: Nachstellung sei eine Form von Ersatzhandlung, die nie einen Bezug zur Wirklichkeit hätte und immer unangemessen sei. Das Verfahren vor dem Amtsgericht wurde nach viereinhalbstündiger Verhandlung eingestellt. Zu den Gründen äußerte sich das Gericht nicht. Die Angeklagte befindet sich bereits in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung. Diese muss sie für weitere sechs Monate fortsetzen.

© SZ vom 25.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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