Fürstenfeldbruck:Tabuthema Demenz

Lesezeit: 3 min

Die Krankheit ist kein unausweichliches Schicksal, sagt ein Experte. Ein Fachtag im Landratsamt empfiehlt Bewegung

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Alt werden bei bester Gesundheit, ist der Wunsch der meisten Menschen. Doch wenn das Alter mit schweren Krankheiten einhergeht, lässt der Wunsch, möglichst alt zu werden, schon nach. Demenz ist eine solche Krankheit, vor der sich die meisten Menschen fürchten. "Sie wird noch oft tabuisiert", weiß Sonja Thiele. Die ehemalige Geschäftsführerin des Germeringer Sozialdienstes ist im Kreistag Referentin für Senioren und Demografie und hat kürzlich den zweiten Fachtag Demenz im Landratsamt initiiert. Veranstaltungen wie diese sollen die Demenz aus der Tabuzone rücken. Das Thema ist zwar unangenehm, bewegt aber viele, der große Sitzungssaal im Landratsamt ist fast voll. Gekommen sind vor allem Frauen aus sozialen Einrichtungen, Sportvereinen, Seniorenklubs, pflegende Angehörige.

Demenz ist eine Krankheit, deren Auftreten mit steigendem Lebensalter wahrscheinlicher wird. Sie beeinträchtigt die geistige Leistungsfähigkeit, schränkt Gedächtnis, Sprache, Orientierung, Urteilsvermögen ein. Betroffene können ihr Leben nicht mehr selbständig führen. Als häufigste Ursache einer Demenz gilt die Alzheimer-Krankheit. Dennoch wird die Zahl der Demenzkranken "nicht eins zu eins mit der Zunahme der älteren Bevölkerung ansteigen", beruhigt Christoph Rott, Diplom-Psychologe vom Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg, die Anwesenden. Er sagt auch: Demenz "ist kein unausweichliches Schicksal", obwohl ihr Auftreten "stark mit dem Alter zusammenhängt". Ein Drittel der Erkrankungen ist Rott zufolge auf neun Risikofaktoren zurückzuführen, die sich aber beeinflussen lassen: Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Übergewicht, Depression, Rauchen, ein sehr niedriger Bildungsstand und - neu als Einflussfaktoren von Wissenschaftlern ermittelt - Hörverlust und soziale Isolation. Die meisten, nämlich ein Fünftel der Demenzfälle, hätten jedoch mit körperlicher Inaktivität zu tun.

Im Umkehrschluss bedeute dies, dass etwa 95 000 aktuelle Demenzfälle weniger anfielen, wenn sich diese Inaktivität halbieren ließe. Noch nicht gänzlich erforscht sei außerdem, inwieweit auch Ernährung, Alkoholkonsum, das Leben an einer stark befahrenen Straße oder das Schlafverhalten Einfluss auf das Entstehen von Demenz haben. Rott kommt deshalb zu dem Fazit, dass "sich Prävention lohnt". Die solle schon so früh wie möglich im Leben beginnen: "Das Gehirn muss so fit gemacht werden, wie es geht." Rott empfiehlt, "neugierig zu bleiben bis zum Tod".

Um ausreichend Bewegung in den Alltag zu bringen, hat die Deutsche Alzheimergesellschaft 2015 ein Modellprojekt gestartet, das "Sport trotz(t) Demenz" heißt und Bewegungsangebote für Demenzkranke implementieren möchte. 31 dieser Art gibt es bayernweit. Dabei geht es sowohl um die Möglichkeit der Bewegung als auch darum, dass die Erkrankten wieder unter die Leute gehen. Denn "Demenz führt zum Verlust von sozialen Kontakten", erläutert Gerhard Wagner, Geschäftsführer im bayerischen Landesverband der Alzheimergesellschaft, in seinem Vortrag in Fürstenfeldbruck. Vor allem Menschen in der frühen Phase der Demenz wolle man erreichen, die sich zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurückzögen und zur Erkenntnis gelangten, dass "sie niemand mehr haben will". In dieser frühen Phase lebten sie zumeist noch selbständig zu Hause und kämpften dabei gegen die Krankheit an. Gerade die Anfangsphase könne psychisch sehr belastend sein.

Wagner empfiehlt, die Sport- und Bewegungsangebote an neutralen Orten stattfinden zu lassen. Denn die Menschen zeigten nicht selten Berührungsängste mit Einrichtungen, "wo das Wort ,helfen' drüber steht". Deshalb sei gerade die Zusammenarbeit mit Sportvereinen wichtig, deren Angebote weniger Schwellenängste hervorriefen. Man wünsche sich, dass auch mehr Kommunen aktiv würden und solche Projekte unterstützten, so Wagner: "Es geht hier um Teilhabe."

Im Landkreis gibt es bislang zwei Anbieter. Die Nachbarschaftshilfe Fürstenfeldbruck hat im vergangenen Semester bereits Erfahrung mit einer Sportstunde für Demenzkranke und Angehörige gemacht, die mit Bewegungen zur Musik und Tänzen beginnt, danach folgen spielerisch koordinative Übungen, Kraft- und Ausdauerspiele oder auch Gleichgewichtsübungen in Kombination mit geistigen Anregungen. Seit 1. Oktober führt auch der FC Puchheim montags und donnerstags eine Stunde für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, beginnender oder diagnostizierter Demenz. Durch Schulung von Wahrnehmung, Koordination und Balance soll so die Symptomatik zumindest für einige Zeit stabil gehalten und das Fortschreiten der Krankheit hinausgezögert werden. Der Fachtag hatte auch zum Ziel, dafür zu werben, dass weitere Sportvereine oder soziale Organisationen solche Kurse in ihr Angebot aufnehmen.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: