Fürstenfeldbruck:Sonnengereifte Melodientrauben

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Akkordeonale zeigt faszinierende Vielfalt des Instruments

Von Jörg Konrad, Fürstenfeldbruck

Authentische Musik ist das Ergebnis einer ausgeprägten Persönlichkeit. Und Persönlichkeit wiederum ist das Ergebnis der Biografie eines Menschen und damit auch seiner kulturellen Sozialisation. Unter diesem Gesichtspunkt könnte man den Besuch der Akkordeonale im Fürstenfelder Veranstaltungsforum auch als eine Sozialstudie verstehen. Denn hier, im Kleinen Saal, kamen fünf Akkordeonspieler aus fünf verschiedenen Kulturen zusammen. So andersartig sie in Temperament und Spielauffassung waren, eines hat sie deutlich sichtbar miteinander verbunden: Ihr Instrument. Ob aus dem Norden Amerikas, dem Süden Europas, ob aus Schweden oder als Italiener in England lebend - das Akkordeon hat, dank der Besessenheit seiner Spieler, die Welt erobert und sich den unterschiedlichen Kulturen angepasst. Es wurde sozusagen assimiliert und entwickelte sich in allen Himmelsrichtungen und Zeitzonen dieser Welt zu einem volkseigenen Instrument.

Servais Haanen aus den Niederlanden hat die Idee eines aus Solisten bestehenden Akkordeonorchesters 2009 erstmals umgesetzt. Seitdem tourt er einmal im Jahr in immer neuer Besetzung quer durch Europa. Diesmal mit dabei: Andre Thierry (USA), Daniel Andersson (Schweden), Janire Egaña Zelaia (Baskenland), Maurizio Minardi (Italien) und Haanen selbst, sowie die Perkussionstin und Sängerin Vanesa Muela (Spanien) und der Hackbrettspieler Christoph Pfändler (Schweiz) als "Begleitband". Ein internationales Ensemble also.

Die Verschiedenartigkeit, mit der sich die einzelnen Solisten diesem ihrem Instrument widmeten und welche Aerols-Metamorphosen sie in fast zwei Stunden Schwerstarbeit aus ihren Blasebalgen quetschten und drückten, war auf jeden Fall beeindruckend. Blues und Klassik, Volksmusik und Filmmusik, melancholisch strahlende Popsongs, Tango und Walzer - es war ein fröhlicher, grenzenloser Reigen von Klängen, die den Raum erfüllten.

Mit den unbeschwerten Weisen eines Servais Haanen aus den Niederlanden, den üppigen, von Sonne gereiften Melodientrauben einer Janire Egana Zelaia aus dem Baskenland fühlte man sich wie auf einem Jahrmarkt der Glückseligkeit. Mit dem Italiener Maurizio Minardi kam etwas stärker die Wehmut auf, denn seine Filmmelodien, zum Beispiel in seinem Song "Marcello", den beiden Flaggschiffen des italienischen Films, Marcello Mastroianni und Nino Rota gewidmet, strahlten im melancholischen Glanz vergangener Jahrzehnte. Dass das Akkordeon, als das Klavier des kleinen Mannes, auch einen akademischen Bezug hat, machte der Schwede Daniel Andersson deutlich. Er kniete sich virtuos in die Klassik, machte aus dem riesigen Instrument fast eine filigrane Höllenmaschine - wunderbar anzuhören sein "Winter" aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten". Der deutlichste Kontrast zu ihm: Andre Thierry. Blues und Zydeco sind die Favoriten des Grammy-nominierten Musikers aus Richmond, California, mit kreolischen Wurzeln. Nicht Werktreue steht im Vordergrund, sondern passionierte Authentizität und Improvisation. Bei ihm waren die Sümpfe Louisianas regelrecht zu schmecken und die Emotionalität mit den Händen zu greifen.

Ob solistisch, als "Band in the Band", oder als Orchester, ob chromatisch oder diatonisch, groß oder klein, humorvoll oder ernst - es war ein Abend der Emanzipation im musikalischen Sinn. Statt Konservierung und Restaurierung das Akkordeon als lebenssprühender Mittler unterschiedlicher Kulturen.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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