Asylbewerber:Patient Erstaufnahmestelle

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Die medizinische Lage der Flüchtlinge im Fliegerhorst ist mangelhaft. Chronisch Kranke bekommen keine Medikamente, auf die Toilette kommen manche nur mit fremder Hilfe.

Von Markus Mayr, Fürstenfeldbruck

Die Ärztin lenkt ihr Auto von der Hauptstraße in den Feldweg. Etwa 200 Meter führt er am Zaun des Fliegerhorsts entlang, bis nach einer Linkskurve ein grauer Container auftaucht. Er dient dem Wachdienst der Flüchtlingsunterkunft als Büro. Eigentlich ist der Zutritt zu der am 2. Oktober eröffneten Erstaufnahmestelle verboten. Doch der Wachhabende macht nach kurzer Diskussion eine Ausnahme für die Ärztin. Sie fährt auf das Gelände.

In Reih und Glied stehen Container parallel zur langen Front des ehemaligen Unteroffiziersheims. Davor sitzen Männer auf Plastikstühlen. Sie winken der Ärztin, die einigen Vorwürfen auf den Grund gehen möchte. "Unzumutbare Verhältnisse" sollen in der Gemeinschaftsunterkunft herrschen, wie die Bayerische Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte vergangenen Freitag mitteilte. Thomas Nowotny von der Initiative prangerte die "unzumutbare Unterbringung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge" an, die "aus kinder- und jugendärztlicher Sicht eine akute Gesundheitsgefährdung" darstelle.

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Vor wenigen Tagen waren Noroviren in den überfüllten Gemeinschaftssälen festgestellt worden, "die sich unter solchen Bedingungen rasant verbreiten", sagt Nowotny. Er hatte den Behörden zudem vorgeworfen, "dort auch Familien mit behinderten Kindern und im Rollstuhl sitzende junge Erwachsene untergebracht" zu haben. Für diese Flüchtlinge aber sei das Unteroffiziersheim ungeeignet, weil die Toiletten nur "über eine Treppe oder einen Gang durchs Freie erreichbar" sind. Die Regierung von Oberbayern reagierte am Montag auf diese Kritik und verlegte die behinderten Jugendlichen. Zwei von ihnen - Palästinenser aus Jordanien - leiden nach Angaben der Ärztin an Niemann-Pick, einem nicht heilbaren Gendefekt. Die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Betroffenen bilden sich Schritt für Schritt zurück. Ein Junge kann kaum sprechen, seine Motorik ist grob. Seit zwei Jahren sitzt er im Rollstuhl. "Als Jugendlicher hat er noch Taekwondo gemacht", sagte seine Schwester bei dem Besuch der Kaserne.

Der andere Bruder kann noch laufen. Aber seine Knie hätten kürzlich auch schon einmal versagt. "Ich will meinen kleinen Bruder nicht auch noch im Rollstuhl sehen", sagt das Mädchen. Energisch wischt sie die Tränen weg. Die 18-Jährige zeigt der Ärztin ein Schreiben von einem Mediziner, der ihren Bruder Ende Februar 2012 in München behandelt hat. Es handelt sich um eine Überweisung in die Universitätsklinik Tübingen, die auf die Behandlung von Niemann-Pick spezialisiert ist. Doch der Bruder im Rollstuhl hat die Klinik nie von innen gesehen. Stattdessen gehen seine Medikamente zur Neige. Nachschub ist im Asylbewerberleistungsgesetz nicht vorgesehen. Nur zur Behandlung "akuter Erkrankungen und Schmerzzustände" soll es medizinische Versorgung geben, nicht zur Therapie chronischer Krankheiten.

Der große Schlafsaal ist mit langen Reihen von dicht gedrängten Stockbetten belegt. Zuweilen schaffen aufgehängte Bettlaken Sichtschutz, wenn auch keine Privatsphäre. Etwa 60 Menschen wohnen derzeit in diesem ersten von drei Sälen. Trotzdem ist es erstaunlich ruhig. Der Teppichboden dämpft die Schritte. Doch was gut für die Nerven der Bewohner sein mag, ist aus medizinischer Sicht schlecht. Ein Paradies für Krankheitserreger sei das, sagt die Ärztin.

Im Unteroffiziersheim des Fliegerhorstes sind 180 Flüchtlinge untergebracht. Mitglieder einer Ärzte-Initiative übten Kritik an hygienischen Zuständen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Zumindest die Noroviren sind vorerst überstanden. Laut Rudolf Summer, Leiter des Brucker Gesundheitsamts, gibt es seit Freitagmittag keine Neuerkrankungen mehr. Und für die stark körperlich Behinderten und deren Familien suche man Plätze in Hotels oder besser geeigneten Aufnahmestellen, sagt der Sprecher der Regierung von Oberbayern, Florian Schlämmer auf Nachfrage der SZ.

Viele der 180 Flüchtlinge fühlen sich im Fliegerhorst allein gelassen. "Wir brauchen jemanden, der sich um uns sorgt und mit dem wir reden können", sagt ein 38-jähriger Nigerianer. Vieles hier sei noch "unorganisiert", sagt ein junger Eritreer. Auf Nachfrage verweist Regierungssprecher Schlämmer auf die mehr als 4000 Flüchtlinge in den oberbayerischen Erstaufnahmestellen. "Wir tun uns unglaublich schwer". Er rechne aber damit, dass von November an die Flüchtlinge in reguläre Unterkünfte umziehen könnten.

Etwas später, draußen vor der Tür zum Gemeinschaftssaal. Herumstehende warten auf den Arzt, der kommt, um den schweren Husten und das Fieber eines Flüchtlings zu behandeln. Noch einmal drohen Tränen Faizah zu überwältigen. Doch ein hünenhafter Mann vom Wachdienst stupst sie freundlich an und reicht ihr ein Taschentuch. Sie erwidert sein Grinsen, nickt ihm zu und sagt: "Good guy" - guter Kerl. Die beiden verstehen sich gut. Der Sicherheitsbeamte hat sogar schon ein paar Brocken Arabisch gelernt.

Der Arzt trifft ein. Er kümmert sich um den Kranken und um die entzündete Kniewunde von Selim. Die hat er sich bei einem Sturz die Treppe hinab zugezogen. Weil er nicht laufen kann, müssen Faizah und Mit-flüchtlinge ihn die etwa 20 Stufen zur Toilette hinab tragen. Vor wenigen Tagen hatten sie dabei das Gleichgewicht verloren.

© SZ vom 14.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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