Fürstenfeldbruck:Notruf aus der Inspektion

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2014 hat das Innenministerium auf die eklatante Unterbesetzung bei der Brucker Polizei reagiert und sechs zusätzliche Stellen versprochen. Zwei Jahre später fehlen immer noch 27 Beamte. Gleichzeitig steigen die Einsatzzahlen - auch rund um die Asyl-Unterkünfte

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Es ist eine relativ ruhige Nacht für Polizeihauptkommissar Winfried Naßl. Relativ ruhig - das bedeutet nicht viel auf einer Polizeiwache spätabends. Und so muss der 48-jährige Dienstgruppenleiter auch diesmal seine Multitasking-Fähigkeit beweisen. Gerade sind vier Kollegen mit zwei Streifenwagen ausgerückt zur Asyl-Erstaufnahmestelle - Schlägerei. Eine Stunde später werden sie zurückkommen, den Gehstock mit Metallknauf mitbringen, mit dem ein Mann seinen Mitbewohner bewusstlos geschlagen hat, und darüber beraten, ob dieses Delikt an den im selben Haus untergebrachten Kriminaldauerdienst übergeben werden soll. Der Besuch bei Naßl soll klären, ob etwas dran ist an den Vorwürfen der Gewerkschaft der Polizei. Deren Kreisvorsitzender, Alexander Weggartner aus Germering, hatte die Zustände vor allem in der Kreisstadt in einem Brandbrief an Politiker als untragbar gegeißelt. Der Personalmangel sei nicht mehr verkraftbar - "wir sind am Limit - das System steht kurz vor dem Zusammenbruch".

Für den Diensthabenden auf der Wache wird es schon mal einsam, die Arbeit zur Solonummer. (Foto: Stefan Salger)

Zusammenbrechen dürfte Naßl nicht. Dann nämlich wäre in manchen Nächten gar kein Kollege auf der Wache, der Funkgeräte und Telefone bedient und Monitore im Blick hat. Der einer Frau um 21 Uhr den Zentralruf der Autoversicherer heraussucht, weil sie von einem Unfallverursacher nur eine Telefonnummer hat, unter der dieser aber nicht erreichbar ist. Der gleichzeitig über Funk Kontakt mit den Kollegen hält. Der etwas später eine Besucherin besänftigt, die sich über ein offenbar frisch verliebtes Liebespaar in der Nachbarschaft beschwert, das mitten in der Nacht regelmäßig viel zu laut zugange sei. Der sich Zeit nimmt für eine Mutter, die ihre Tochter als vermisst meldet. Der an einem Telefon über die Bergung einer Leiche spricht, während das andere Telefon klingelt. Der auch mal kurz Grund zur Freude hat, weil sich jemand ausdrücklich bei der Polizei fürs eigene Fehlverhalten entschuldigen will. "Alltagsarbeit", sagt Naßl. Alltagsarbeit, die theoretisch auf vier Dienstgruppen mit je acht Beamten verteilt ist. Vor gut 15 Jahren waren es sogar mal elf Leute - paradiesische Zeiten. Die Zahl der "Sollstellen für die Polizeiinspektion Fürstenfeldbruck" beziffert das zuständige Polizeipräsidium in Ingolstadt auf 82, die tatsächlich verfügbare Personalstärke liege bei 55. Das Präsidium deutet an, dass die ebenfalls in Bruck stationierten Ergänzungsdienste wie der 15-köpfige Einsatzzug, zivile Einsatzgruppe oder Hundeführer entlastend wirken könnten. Dies freilich wird von Insidern bestritten. Da werde doch wieder nur getrickst, schimpft ein Polizist aus dem Landkreis. Schuld sei aber nicht das Präsidium, sondern das Ministerium. Das will sich zum Brucker Personalmangel nicht äußern. Vor einem Jahr hatte es noch sehr stolz ein "1000-Stellenprogramm" präsentiert. Sechs Stellen sollte es für Bruck geben. Der Eichenauer SPD-Landtagsabgeordnete Herbert Kränzlein und sein Fraktionskollege Peter-Paul Gantzer hatten sich zuvor, alarmiert von einem SZ-Bericht im Januar 2014, an Innenminister Herrmann gewandt. Im März sind nun laut Präsidium erneut "vier Beamte vorgesehen", vor allem, um die Mehrarbeit rund um die Flüchtlingseinrichtungen abzufangen. Ob das etwas bringt, wird an der Basis bezweifelt: Die regelmäßig von Politikern in Aussicht gestellten Personalzuwächse seien eine Mogelpackung und reinste Rechenakrobatik, sagt ein Beamter, der nicht namentlich genannt werden will. Denn selbst wenn es auf dem Papier neue Stellen gibt, heißt das noch lange nicht, dass diese Stellen auch besetzt werden.

Theoretisch läuft es bei Winfried Naßl so: erster Tag Nachmittagsschicht. Zweiter Tag Frühschicht und Nachtschicht, dritter und vierter Tag frei, dann beginnt es wieder mit Tag Eins. Theoretisch. Wenn da nicht die Überstunden wären. Bayernweit baute 2014 jeder Beamte statistisch 47 Überstunden auf. Bruck dürfte über dem Schnitt liegen. Naßl fährt auch schon selbst mal mit raus, bei "größeren Einsatzlagen" oder wenn Not am Mann ist. Und Not am Mann ist oft irgendwo zwischen Fürstenfeldbruck, Emmering, Schöngeising, Grafrath, Türkenfeld, Mammendorf, Althegnenberg und Moorenweis.

Michael Fischer, stellvertretender Leiter der Brucker Polizeiinspektion, ist eher ein Mann der leisen Töne, der seine Worte sehr genau abwägt. Wenn sogar er die Lage als "dramatisch" bezeichnet und von einer "extrem schwierigen Personalsituation" spricht, lässt das aufhorchen. Vor allem die Einsätze rund um die Asyl-Unterkünfte und die Erstaufnahmestelle am Fliegerhorst haben deutlich zugenommen. Dort sind mehr als tausend Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen auf engem Raum untergebracht. Klar, dass es da Reibereien und auch Handgreiflichkeiten gibt. Das kostet die Sicherheitskräfte viel Zeit: Personalien aufnehmen, Dolmetscher suchen, dokumentieren. In vielen Fällen binden solche Einsätze mindestens vier Beamte. Dann müssen andere Dinge warten. "Die Einsätze müssen nach Priorität abgearbeitet werden", sagt Fischer. Eine diplomatische Umschreibung dafür, dass andere Dinge aufgeschoben werden oder ganz unter die Räder kommen. "Wir hecheln doch von einem Einsatz zum nächsten", drückt es einer von Fischers frustrierten Kollegen aus, "das ist nicht unser Verständnis von Polizeiarbeit." Vor einigen Jahren noch war es nicht unüblich, dass irgendein Bürgermeister anrief und um vermehrte Streifen zu gewissen Zeiten rund um einen Ort bat. Solche Wünsche wurden durchaus erfüllt, die Inspektion schickte Streifenwagen dorthin. Längst vergangene Zeit. Heute ist gar kein Personal mehr für die vielen Aufgaben da, die sich auch ein Polizist wünschen würde. Verdachtsunabhängige Kontrolle? Winfried Naßl lächelt vielsagend. Prävention? Mehr Radarkontrollen an Unfallbrennpunkten? Fußstreifen, um Präsenz zu zeigen und mit dem Bürger ins Gespräch zu kommen? Kennt man noch aus alten Filmen, aber in Bruck seit zwei Jahren gewiss nicht mehr. Prävention, die schon beginnen kann beim Besuch von Kindergartengruppen oder Schulklassen in der Inspektion? "Nicht mehr zu schaffen, machen wir längst nicht mehr", so Fischer. Stattdessen immer neue Pflichtaufgaben auch jenseits von Volksfesten oder Sportveranstaltungen: Beteiligung an Schleierfahndungen oder am G 7-Gipfel. Und während die Arbeit mehr wird, wird das Personal eher weniger. Da passt ein von Fischer genanntes Beispiel ins Bild: Vor ein paar Wochen habe sich eine Kollegin nach Brandenburg versetzen lassen und dort einen Tauschpartner gefunden. Dieser kam dann auch nach Oberbayern - aber eben nicht nach Fürstenfeldbruck. Eine Lücke mehr. Der Aderlass hält an: Unterm Strich nimmt die reale Personalstärke in Bruck - auch bedingt durch Krankheitsfälle, Urlaub, Fortbildungen oder den Abbau von Überstunden - eher ab. Wenn fünf Beamte die Arbeit von acht machen müssen, dann wird die Luft dünner, dann nimmt die Belastung zu. Und das führt zu weiteren Ausfällen. Ein Teufelskreis.

Das weiß auch Herbert Kränzlein, den vor knapp zwei Jahren noch Polizei-Vizepräsident Günther Gietl in der Brucker Inspektion empfangen hatte. Kränzlein will erneut bei Herrmann vorstellig werden und sich für mehr Geld für die Polizei, aber auch für die Einstellung von entlastendem Verwaltungspersonal einsetzen. Kränzleins Assistent, der Brucker SPD-Stadtrat Philipp Heimerl, macht der Polizei aber keine großen Hoffnungen: Selbst im Fall, dass die CSU den Forderungen folge, werde dies "nicht zu einer sofortigen Entlastung der Polizei führen, da natürlich erst mal einige Zeit vergeht, bis die Ausbildung der neuen Beamten abgeschlossen sein wird."

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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