Fürstenfeldbruck:Neuanfang nach der Ablehnung

Lesezeit: 5 min

Enkeleda Merko hat in Albanien eine kleine Konditorei gegründet. Wie viele ihrer Landsleute hatte sie zuvor ihr Glück vergeblich in Deutschland gesucht - per Asylantrag

Von Leonhard Simon

Knapp 80 albanische Staatsbürger haben in den vergangenen elf Jahren im Landkreis Asyl beantragt. Drei Viertel davon sind nach Angaben des Landratsamtes abgelehnt worden und haben den Landkreis wieder verlassen müssen. Ein Besuch in Albanien zeigt, wie es den Menschen nach der Rückkehr in ihrem Heimatland geht und welche Pläne, Hoffnungen und Träume sie für die Zukunft haben.

Das neue Leben, es ist süß. Und es ist lecker. Ein einstöckiges, kahles Gebäude an einer staubigen Durchgangsstraße eines kleinen Vorortes der albanischen Großstadt Fier. Zwei Tische mit Stühlen davor laden zum Verweilen ein. Enkeleda Merko steht vor dem kleinen Geschäft, das sie in ihrem Heimatort eröffnet hat. Die 35-Jährige ist nach einem 2016 abgelehnten Asylbescheid seit 2018 wieder zurück in Albanien und baut sich mit der kleinen Konditorei ein neues Leben auf.

So wie Merko haben in den vergangenen Jahren viele Albaner ihr Land verlassen. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Auswanderer, sodass nun knapp ein Drittel aller albanischen Staatsbürger im Ausland lebt. Viele zieht es beispielsweise nach Westeuropa, wo besseres Gehalt ein anständiges Leben verspricht. Doch die Ausreisemöglichkeiten sind limitiert und die Hürden für einen sicheren Aufenthaltstitel hoch. Nicht wenige versuchen deshalb, durch Asylanträge einen dauerhaften Aufenthalt in einem wirtschaftlich aussichtsreicheren Land sicherzustellen.

1 / 3
(Foto: Leonhard Simon)

Enkeleda Merko hat in Fier mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ein Geschäft eröffnet.

2 / 3
(Foto: Leonhard Simon)

In Albaniens Hauptstadt Tirana...

3 / 3
(Foto: Leonhard Simon)

... lebt Erisa Pope mit 19 Jahren ganz alleine - seit vier Jahren. Sie arbeitet hart, um in Deutschland Volkswirtschaft studieren zu können.

"Meine Familie traf diese Entscheidung im August 2015", erzählt Erisa Pope, heute 19 Jahre alt. Über Italien sei sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Deutschland gefahren. Dort beantragten die Familie Asyl. Aus einem kleinen Dorf im Norden Albaniens kommend, hatten sie ein beschauliches Leben, aber kaum Perspektiven. Was sie die ersten Tage von Deutschland mitbekam, "war die Hölle", sagt Erisa Pope. Die Erstaufnahmeeinrichtung sei überfüllt gewesen, zu eng, und es habe gewalttätigen Mitbewohner gegeben. Doch die Lage besserte sich. Die Familie konnte weiterziehen. Die Kinder kamen in die Schule, lernten schnell Deutsch und freundeten sich mit dem Bildungssystem an. Nach knapp zwei Jahren wurde der Asylantrag abgelehnt, die Familie kehrte zurück.

Albanien gilt als sicheres Herkunftsland, deshalb werden die meisten Anträge albanischer Staatsbürgern abgelehnt. Es bleiben ihnen vier Wochen, um freiwillig zurückzukehren, sonst werden sie abgeschoben. Zurück in der Heimat ist das Leben auf null gesetzt. Die albanische Wirtschaft ist schwach und bietet der Bevölkerung kaum Möglichkeiten. Wer längere Zeit außer Landes war, hat meist den Anschluss verpasst. Zwar wächst das jährliche Bruttoinlandsprodukt Albaniens, doch der Wohlstand kommt nur bei wenigen an, Korruption ist weitverbreitet. Staatliche Unterstützungsleistungen sind auf ein Minimum reduziert oder gar nicht erst vorhanden.

Tefta Abedinaj ist 63 Jahre alt und hat als Laborantin in der albanischen ölverarbeitenden Industrie gearbeitet. Eine Rente, von der sie leben kann, hat sie trotzdem nicht. Ihre behinderte Tochter zu versorgen, ist ihr finanziell kaum möglich: Gesundheitsvorsorge koste und sei oft nicht besonders gut. Ein wenig Hilfe kommt von ihren anderen drei Kindern. Um ihrer Tochter eine gute Behandlung zu ermöglichen, versuchte sie, in Deutschland Asyl zu beantragen - ohne Erfolg. Nach knapp drei Jahren musste sie wieder ausreisen. Seitdem hat sich der Gesundheitszustand der Tochter massiv verschlechtert. "Die Natur und die Ruhe in Deutschland vermissen wir sehr", sagt Abedinaj. Unterstützung von staatlicher Seite hat sie nach ihrer Rückkehr nicht bekommen. Sie hätte sich um finanzielle Unterstützungsleistungen für die ersten Monaten von der deutschen Regierung bewerben können. Doch die Hürden seien für eine ältere Frau, noch dazu mit einer behinderten Tochter, zu hoch gewesen. Viele Formulare müssten online ausgefüllt und Termine persönlich noch in Deutschland vereinbart werden.

1 / 2
(Foto: Leonhard Simon)

Fier ist eine Stadt mit gut 55 000 Einwohnern in der Mitte von Albanien...

2 / 2
(Foto: Leonhard Simon)

... und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt.

Beliebte europäische Zielländer wie Deutschland haben erkannt, dass striktere Asylgesetze keine Lösung sind, um Menschen an der Migration zu hindern. Darum ist man dazu übergegangen, in den Herkunftsländern selbst Unterstützungsleistungen anzubieten und gezielt in die Potenziale der Menschen zu investieren. In Albanien übernehmen Organisationen mit viel Erfahrung in den Bereichen Migration und Entwicklungsförderung diese Aufgaben.

Für Menschen wie Abedinaj ist die Internationale Organisation für Migration (IOM) zuständig. Als Teil des UN-Systems agiert sie global und ist auch in Tirana mit einem Büro vertreten. "Finanzielle Unterstützungsleistungen an abgelehnte, heimkehrende Asylbewerber zu zahlen, ist eine wichtige Säule der Arbeit vor Ort", sagt die IOM-Informations- und Medienkoordinatorin Bardha Qokaj. 2020 wurden über 400 in Deutschland abgelehnte Asylbewerber bei ihrem Neustart in Albanien finanziell unterstützt. Die Leistungen werden von der deutschen Regierung bereitgestellt und durch die IOM verteilt. Als Starthilfe sollen sie über die ersten zwei bis drei Monate hinweg helfen, bis eine Arbeit gefunden wurde. Und: Sie sind nicht an Bedingungen geknüpft. Doch für Bedürftige wie Abedinaj ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eine zweite Säule der Arbeit der IOM vor Ort ist die Beratung der albanischen Regierung. Durch den ständigen Austausch mit Heimkehrenden wie Abedinaj sammeln die IOM-Expertinnen und Experten viel wichtiges Wissen an, um gezielt Ratschläge zu geben, wie die Regierung ihre Migrationspolitik ausgestalten kann. 2019 mündete diese Arbeit in der ersten Nationalen Migrationsstrategie des Landes. Das Papier bündelt hauptsächlich Maßnahmen, wie für Albanerinnen und Albaner Anreize geschaffen werden können, um im Land zu bleiben.

Doch die Bemühungen der Regierung und der internationalen Organisationen greifen nur langsam. In der Zwischenzeit sind viele zurückgekehrte abgelehnte Asylbewerber auf sich alleine gestellt. So auch Erisa Pope: Nach der Rückkehr nach Albanien wohnte sie nur kurz mit ihren Eltern zusammen. Die Eltern gingen wieder nach Deutschland und konnten Arbeit finden. Doch ihre Kinder mussten sie zurücklassen, da sie erst einmal nachweisen müssen, für vier Personen selbständig sorgen zu können. Erst dann werden Visa erteilt. Aus diesem Grund wohnt die 19-jährige Pope seit fast vier Jahren allein in Tirana. Die langsame deutsche Bürokratie und schließlich Corona verhinderten eine Familienzusammenführung. Nun ist sie volljährig und muss sich selbständig um eine Aufenthaltsgenehmigung bemühen. Ihr Ziel ist es, in Wolfsburg Volkswirtschaftslehre zu studieren. Dafür arbeitet sie jeden Tag acht Stunden - parallel zu ihrer Abschlussprüfung, die sie in diesem Sommer an einer Schule mit deutschem Zweig erfolgreich abgeschlossen hat.

Wo in Albanien die Aufgabe der IOM mit ihrer finanziellen Starthilfe erfüllt ist, fängt die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an: Sie organisiert ein umfangreiches Programm, das allen Personengruppen zur Verfügung steht - sowohl heimkehrenden Migranten als auch einheimischen Interessierten. Damit sollen die Menschen gezielt auf den albanischen Arbeitsmarkt vorbereitet werden. "Jedes Jahr finden knapp 2000 Beratungen statt," berichtet der albanische GIZ-Koordinator Florenc Qosja. Mit den Beratungen verbunden ist die Hoffnung, dass den Menschen im Land durch Wissenstransfer eine Perspektive geboten werden kann - wie der Konditorin Enkeleda Merko.

1 / 3
(Foto: Leonhard Simon)

In ihrer kleinen Konditorei nahe der Stadt Fier hält Enkeleda Merko allerhand Kuchen,...

2 / 3
(Foto: Leonhard Simon)

... Torten und Pasteten für ihre Gäste bereit.

3 / 3
(Foto: Leonhard Simon)

Sogar einige Sitzplätze im Freien gibt es.

Vor ihrer kleinen Konditorei in Fier erzählt sie, dass die Rückkehr nach Albanien schwer gewesen sei. Zwei der Kinder waren bereits in Deutschland in der Schule, hatten Freunde gefunden. "Zurück in Albanien mussten sich die Kinder erst wieder integrieren, Anschluss finden, mit dem Schulsystem zurechtkommen." Sie selbst musste von Null starten. Ohne Vorkenntnisse, aber mit dem Willen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu schaffen, meldete sie sich schließlich bei einem Kurs für Konditoren an. Schnell fand sie Gefallen daran. Das war Motivation genug, um über ein eigenes Geschäft nachzudenken. In Fier, so heißt es in Albanien, sind sie alle Geschäftsleute. Merko belegte einen weiteren Kurs in Unternehmensentwicklung, organisiert und finanziert von der GIZ. Dort erhielt sie auch Zugang zu finanziellen Mitteln, um ihre Geschäftsidee schließlich Wirklichkeit werden zu lassen.

Enkeleda Merko aus Fier hat von dieser Art der direkten Förderung profitiert und möchte in Albanien bleiben. Doch sie ist eine Ausnahme. Viele Albanerinnen und Albaner wollen trotz Abschiebeerfahrung das Land verlassen - oder hoffen zumindest darauf, dass ein Familienmitglied ihnen finanzielle Leistungen aus dem Ausland zukommen lässt.

Dieser Text ist im Rahmen eines Recherchestipendiums der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) zum Thema "Herausforderung Mixed Migration" entstanden, finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

© SZ vom 05.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: