Fürstenfeldbruck:Nährboden für häusliche Gewalt

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Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und -notrufen warnen angesichts der Corona-Beschränkungen vor einer Verschärfung der Situation. Sorge bereitet ihnen auch, dass es Betroffenen nun noch schwerer fällt, ungestörte Momente zu finden, in denen sie sich Hilfe suchen können

Von Marija Barišić, Fürstenfeldbruck

Einen Monat ist es nun schon her, dass der Katastrophenfall in Bayern ausgerufen und das öffentliche Leben plötzlich auf ein Mindestmaß heruntergeschraubt werden musste. Schon damals warnten Mitarbeiterinnen von Frauennotrufen und Frauenhäusern eindringlich vor den Gefahren, die sich hinter den angeordneten Ausgangsbeschränkungen verbargen. Eine dieser Personen war Martina Nitsch: "Die Situation, die wir jetzt haben, ist eigentlich der Nährboden für häusliche Gewalt", sagt sie. Normalerweise ist die 62-Jährige Projektkoordinatorin des neuen Frauenhauses, das gerade in Germering entsteht. Wegen der Corona-Krise ist sie aber seit einem Monat im Frauenhaus in Fürstenfeldbruck im Einsatz, um die Beraterinnen vor Ort zu unterstützen.

Auch für ihre Kollegin Anne Stelzer beginnt das Problem nicht erst im Frauenhaus, sondern schon viel früher. Zum Beispiel dann, wenn Frauen wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht mehr so leicht von zu Hause wegkommen, um heimlich den Frauennotruf zu wählen. Stelzer ist eine der Mitarbeiterinnen, die am anderen Ende der Leitung sitzen und die betroffenen Frauen zu persönlichen Beratungsterminen empfangen. Diese können seit Verkündung der Ausgangsbeschränkungen gar nicht mehr stattfinden. Als Beraterin weiß Stelzer aber, dass viele Frauen Arzttermine erfinden müssen, um vor ihren gewalttätigen Partnern zu flüchten und den Frauennotruf zu wählen: "Viele der Partner arbeiten mit häuslicher Kontrolle. Jetzt, wo niemand mehr in die Arbeit muss, können Frauen auch nicht mehr so einfach Termine erfinden, um in Ruhe zu telefonieren", sagt sie.

Vor Kurzem erst hat eine Frau begonnen, Stelzer und ihren Kolleginnen regelmäßig E-Mails zu schreiben - abends, weil sie wegen ihres gewalttätigen Mannes tagsüber nicht in Ruhe schreiben kann. "Die Frau schreibt nicht, weil sie sofort Unterstützung braucht, sie will sich einfach abends alles von der Seele schreiben", sagt Stelzer, "für sie ist das Schreiben eine mentale Unterstützung." Für solche Frauen haben Stelzer und ihre Kolleginnen im letzten Monat ein eigenes Online-Beratungssystem entwickeln lassen, das gerade getestet wird und demnächst auf der Homepage des Frauennotrufes abrufbar sein soll. "Hier können uns die Frauen künftig auch Nachrichten schreiben, die im Gegensatz zu E-Mails komplett anonym und verschlüsselt sein werden", sagt Stelzer und fügt versichernd hinzu: "so, dass auch wirklich niemand mitlesen kann." Wann genau das Beratungssystem auf die Homepage kommt, ist noch nicht klar. Jetzt, nachdem die Ausgangsbeschränkungen in Bayern teilweise gelockert wurden, wollen Stelzer und ihre Kolleginnen den Frauen auch ein sogenanntes "Walk and Talk" anbieten - eine Beratung im Spazierengehen. Bis dahin sei es aber wichtig, den betroffenen Frauen zu signalisieren, dass der Notruf nach wie vor für sie da und besetzt ist.

"Das ist aber nicht nur Aufgabe der Frauenhäuser und Notrufstellen, sondern vor allem der Politik", sagt Claudia Giercke. Seit etwa 30 Jahren berät die Brucker Anwältin Frauen, die von ihren Männern geschlagen und vergewaltigt werden. In persönlichen Gesprächen nimmt sie die Sachverhalte der betroffenen Frauen auf und stellt unter anderem Gewaltschutzanträge, um den übergriffigen Partnern für mehrere Monate den Zutritt zur Wohnung oder den Kontakt zu ihrer Frau zu verbieten. Seit den Ausgangsbeschränkungen, haben sich drei Mandantinnen bei ihr gemeldet und um juristische Beratung gebeten - alle sagten den Termin kurz darauf aber wieder ab oder ließen nichts mehr von sich hören.

Das, sagt Giercke, sei gar nicht so unüblich: "Manchmal rufen die Personen eben an und sagen dann, dass sich die Situation geklärt hat, wir forschen dann nicht mehr nach." Ob sie die Frauen wegen der geltenden Ausgangsbeschränkungen nun seltener aufsuchen, als zuvor, kann Giercke nicht beurteilen. Sie wünschte aber, Politiker würden in der Öffentlichkeit klarer kommunizieren, dass die betroffenen Frauen auch weiterhin jederzeit Hilfe suchen dürfen: "Wenn es um Ausgangssperren geht, sprechen Politiker immer von sogenannten "triftigen Gründen" das Haus zu verlassen und erwähnen dabei meistens nur das Luftschnappen. Dabei ist es auch ein triftiger Grund, sich Hilfe zu suchen, wenn man von häuslicher Gewalt betroffen ist. Das wird aber nie kommuniziert", sagt sie.

Giercke weiß jedenfalls, wie wichtig persönliche Besprechungen in ihrer Kanzlei sind, um ihren Mandantinnen ein sicheres Gefühl zu geben, aber auch um die Unterschriften für die Anträge, für den Kontakt zur Polizei, zum Ehemann, "zur anderen Seite" zu bekommen. Sollten einige ihrer Mandantinnen zurzeit doch lieber von zu Hause aus beraten werden, ist Giercke jedenfalls vorbereitet. Seit Beginn der Corona-Krise bietet die Anwältin ihre Beratung auch über Skype oder am Telefon an. Von der Gesellschaft wünscht sie sich vor allem mehr Sensibilität und Aufmerksamkeit: "das häusliche Umfeld ist sehr oft nicht die heile Welt, die wir so gerne hätten. Für viele ist sie kein Schutzraum, sondern ein Ort, wo strafbare Handlungen passieren."

Aber auch für die Frauen, die bereits im Frauenhaus Schutz gefunden haben, hat sich die Situation in den vergangenen Wochen verschärft. Für die insgesamt sechs Frauen und ihre fünf Kinder sind dort im Moment drei Mitarbeiterinnen und eine Erzieherin im Einsatz. Seit dem Ausbruch des Coronavirus dürfen allerdings nur mehr zwei Beraterinnen gleichzeitig im Haus sein, der Rest der Mitarbeiterinnen bleibt im Home Office. Für die Beraterinnen selbst sei das bisher kein Problem gewesen, die vielen Sorgen spüre man eher bei den Frauen im Haus.

Die meisten von ihnen konnten vor den Ausgangsbeschränkungen tagsüber arbeiten oder einen Deutschkurs besuchen, während ihre Kinder in der Schule waren: "Jetzt ist all das gestrichen und niemand weiß, ab wann es wieder weitergeht", sagt Nitsch, "das führt dazu, dass die Nervosität unter den Frauen zusätzlich steigt und die Anspannung im ganzen Haus zu spüren ist. Und dann ist da auch noch die räumliche Enge." Im Brucker Frauenhaus hat nämlich nicht jede Familie ein Apartment, sondern nur ein eigenes Zimmer. Das Bad und die Küche teilen sich die Frauen und ihre Kinder miteinander, "wie bei einer Wohngemeinschaft, in die aber niemand freiwillig eingezogen ist", sagt Nitsch.

Besonders schwierig ist die Situation aber vor allem für die Kinder. Die meisten von ihnen haben vor den Kontaktbeschränkungen eine Ergo- oder Logotherapie besucht, waren tagsüber in der Kindertagesstätte, wo sie mit ihren gleichaltrigen Freunden spielen und vor allem Deutsch sprechen konnten. Bei allen Frauen, die zurzeit im Frauenhaus untergebracht sind, handelt es sich nämlich um Migrantinnen, die oft schlecht oder gar kein Deutsch sprechen. "Jetzt kommunizieren die Kinder mit ihren Müttern natürlich auch hauptsächlich in der Muttersprache", sagt Nitsch, "dadurch stagnieren die Deutschkenntnisse bei manchen von ihnen, was sehr schade ist."

Das sei aber nicht das einzige Problem. Seit einem Monat haben die Vier- bis Sechsjährigen keinen gewöhnlichen Alltag, keine Tagesstruktur mehr. "Den ganzen Tag sitzen sie aufeinander herum, was dazu führt, dass sie sehr viel aggressiver miteinander umgehen", sagt Nitsch. Gerade traumatisierte Kinder bräuchten verlässliche Strukturen. Deswegen haben Stelzer und ihre Kolleginnen vor kurzem eine Einzelbetreuung für die Kinder im Haus organisiert. Drei Mal pro Woche kommt nun eine Erzieherin, die sich immer abwechselnd mit einem der Kinder beschäftigt, in den Wald spazieren geht oder einfach im Garten spielt. Das tue den Kindern zwar sehr gut und entlaste die Frauen, sagt Nitsch "kann aber natürlich nur eine Notübergangslösung sein". Erreichbar ist das Frauenhaus telefonisch unter 08141/35 73 565, Montag bis Donnerstag von 9 bis 16 Uhr und Freitag von 9 bis 13 Uhr und per Mail an frauenhaus@fhf-ffb.de. 24 Stunden täglich erreichbar ist das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter 08000/11 60 16

© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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