Fürstenfeldbruck:Mit zwei Fäusten und festem Willen

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Der 19 Jahre alte Barry Sanussi aus Westafrika setzt sich beim Integrationsturnier durch. Trainer und Freunde beim Brucker Boxclub Piccolo freuen sich mit ihm über den sportlichen Erfolg, aber noch mehr darüber, dass er in sein neues Leben gefunden hat

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Erst um kurz vor sechs Uhr abends ist es so weit. Barry Sanussi hat mehr als fünf Stunden gewartet, bevor er endlich in den Boxring steigen darf, der in der Mitte der Jahnhalle an der Brucker Philipp-Weiß-Straße aufgebaut ist. Beim vorletzten der 22 Kämpfe an diesem Tag trifft er auf einen starken Gegner. Sanussi teilt aus, muss aber auch einstecken. Trainerin Katinka Semrau, 24, sieht, wie sich der 19-Jährige durchsetzt, wie seine geraden Linken ins Ziel kommen. Und sie sieht, dass Sanussi manchmal die Deckung vernachlässigt, die Fäuste zu tief sinken lässt und prompt Treffer hinnehmen muss. Über drei Runden geht es, jeweils drei Minuten. Am Ende liegt Sanussi auf den Zetteln der Punktrichter vorn und darf jubeln. "Da kann man nicht meckern", sagt seine Trainerin, die zwei der zehn Teilnehmer des Brucker Boxclubs BC Piccolo betreut. Semrau ist selbst eine sehr erfolgreiche Boxerin: Vizeeuropameisterin und dreifache Deutsche Meisterin. Sie weiß, wie man sich hochkämpft, im Ring und im Leben. Viel wichtiger als der Sieg ist auch an diesem Tag in Fürstenfeldbruck der Weg dorthin, sind Fairness, Durchsetzungsvermögen und ein fester Wille.

Das lässt sich schon am Titel des Turniers ablesen. Zum dritten Mal in diesem Jahr richtet der Boxklub ein Medaillen-Open-Integrationsturnier aus. Es geht auch um Erfolge und im übertragenen Sinn um Edelmetall, aber vor allem um den gemeinsamen Sport, der über die Grenzen der Staaten und der Nationalitäten verbinden soll.

Dem Verein wurde der soziale Gedanke bereits in die Wiege gelegt: Angehörige der im Fliegerhorst stationierten US-Truppen boten bereits Ende 1945 mit den "German Youth Activities" systematisches Boxtraining für Jugendliche an - gemeinsam mit den teils farbigen Boxern und Trainern der Army. Ein Jahr später war der "kleine Kreis" namensgebend und der Verein Boxclub Piccolo wurde offiziell gegründet. Die Vereinsfarben Schwarz und Weiß standen und stehen für die verschiedenen Hautfarben. 1972 löste Manfred Kaltenhäuser den Gründungsvorsitzenden Jakob Scharlach ab. Er ist Teil eines seit Jahrzehnten bewährten Duos. An seiner Seite steht Wolfgang Schwamberger, seit 1958 Trainer, Jugendwart und Sozialarbeiter zugleich. Er sei "die Seele des Vereins", heißt es auf der Homepage des Klubs.

Barry Sanussi beim Warmmachen mit seiner Trainerin Katinka Semrau. (Foto: Günther Reger)

Nach seiner aktiven Zeit längst auf den Trainerposten gewechselt ist Vizepräsident Lothar Mangel, der seine Punktrichterkollegen mittags um zwölf vor dem Turnier in dem Nebenraum brieft. Kaltenhäuser arbeitet derweil den Stapel der hellblauen Boxerpässe ab. Ein Klub ist aus Innsbruck angereist, ein paar andere haben kurzfristig abgesagt. Deshalb wird umorganisiert in den einzelnen Gewichtsklassen, die vom Fliegengewicht unter 51 Kilo bis zum Schwergewicht jenseits der 90 Kilo reichen. An die 70 Sportler aus 16 Vereinen nebst Betreuern und Fans müssen sich länger gedulden als geplant.

Für den Brucker Verein mit seinen insgesamt etwa 35 aktiven Kämpfern im Alter von zehn bis 77 Jahren ist das Turnier ein sportliches Highlight. Und ein Test, wo die eigenen Schützlinge stehen, wie sie das Erlernte aus den drei bis vier wöchentlichen Trainingseinheiten umsetzen können - und wie das mit der Integration klappt. Viele ehemalige oder aktuelle Asylbewerber hat der Verein schon aufgenommen und mit ihnen "durchwegs gute Erfahrungen gemacht", wie Schwamberger sagt. Barry Sanussi, der aus dem westafrikanischen Guinea stammt und fließend Deutsch spricht, ist ein gutes Beispiel. Der Mittelgewichtler, der in der Asylunterkunft im Gewerbegebiet wohnt und eine Ausbildungsstelle zum Kfz-Mechatroniker sucht, kam vor zwei Jahren auf Vermittlung eines Mitbewohners. Ein guter Mann sei das, sagt Lothar Mangel. Sanussi gibt die Komplimente zurück. An Mangel. Und an Schwamberger, der für ihn fast so etwas wie ein Ersatzvater ist. "Wenn ich Probleme habe, hilft er mir." So wie jüngst, als er zum Konsulat nach Berlin reisen musste. Früher spielte er in Maisach Fußball. Das war schon okay. Aber nicht alle Mitspieler und Zuschauer waren nett zu ihm.

Lothar Mangel, Vizepräsident des Boxclubs Piccolo, fungiert als Punktrichter. (Foto: Günther Reger)

Das ist beim Boxen in einem Multi-Kulti-Team besser. Hier sei er sehr warm aufgenommen worden. Wie es weitergehen könnte, zeigt sein Vereinskollege Yussuf aus Afghanistan, der an diesem Tag wegen einer Schulterverletzung nicht kämpfen kann. Der wurde jüngst Bayerischer Meister im Weltergewicht. Boxen ist für Sanussi so ziemlich das Wichtigste im Leben. Beim BC Piccolo hat der junge Mann aus Guinea eine neue Heimat gefunden.

Der sechste Sieg im siebten Kampf seiner Laufbahn? Schon wichtig. Das stärkt das Selbstvertrauen. Aber noch wichtiger für ihn und ganz ausdrücklich auch für die Leute vom BC Piccolo ist es, dass er integriert ist und in der neuen Heimat Freunde gefunden hat.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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