Fürstenfeldbruck:Milde Strafe, lebenslängliche Wirkung

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Amtsgericht weist 52-Jährigem die Verantwortung für den Unfalltod seiner 15 Jahre alten Stieftochter zu

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Mit Gerichtsurteilen sollen Taten gesühnt, Leidtragenden Genugtuung sowie Gerechtigkeit verschafft und durch die öffentliche Verkündung Nachahmer abgeschreckt werden. Manchmal freilich wird das Urteil fast zum Selbstzweck. Dennoch muss es verkündet werden, mag es zur "Tat" auch durch die Verkettung höchst unglücklicher Umstände gekommen sein. Wie im Fall des 52-Jährigen, der am Mittwoch auf der Anklagebank die Verhandlung sichtlich durchleidet, ohne nach rechts oder links zu schauen und vor dem Richterspruch, als ihm die letzten Worte zustehen, unter Tränen herausstößt: "Es tut mir furchtbar leid." Ungeschehen aber kann er nicht mehr machen, dass die Tochter der Lebensgefährtin tot ist und er die Verantwortung dafür trägt.

An jenem Samstagmorgen Anfang Januar ist es klirrend kalt. Bei minus 15 Grad steigt der Maschinentechniker in sein Auto - einen Pickup, also so etwas wie die Kreuzung aus Autos und Kleinlastwagen, mit Doppelkabine und Ladefläche. Den hat er eine Woche zuvor von seiner Firma bekommen. Neben ihm sitzt die 15 Jahre alte Tochter seiner Lebensgefährtin, die damals ebenso wie ihre Schwester und die von ihrem früheren Mann geschiedene Mutter seit fünf Jahren im Haus des Fahrers wohnt. Der "Stiefvater" hat sich angeboten, das Mädchen gegen 8.30 Uhr zu einem Nagelstudio zu bringen. In einer lang gezogenen Linkskurve, gut hundert Meter nach dem Ortsausgang von Hattenhofen, passiert das, was weder der Mann noch später ein Gutachter sich so recht erklären können. Vielleicht war die trocken erscheinende Straße hier doch stellenweise glatt, vielleicht waren die 75 oder 80 Stundenkilometer doch zu schnell, vielleicht wurde alles auch noch durch das Konstruktionsprinzip des Pickups verstärkt - bei dem die frontlastige Gewichtsverteilung in Verbindung mit dem Hinterradantrieb das Heck leichter ausbrechen lässt. Das Fahrzeug jedenfalls kommt ins Schleudern, stellt sich quer und überschlägt sich im Straßengraben jenseits der Gegenfahrbahn. Der Mann wird lediglich leicht verletzt. Weil aber das Dach auf der Beifahrerseite stark eingedrückt wird, erleidet das Mädchen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und innere Verletzungen. Sie ist bewusstlos, Wiederbelebungsversuche der herbeigeeilten Feuerwehrleute bleiben vergeblich, der kurze Zeit später eintreffende Notarzt stellt schließlich den Tod fest. Dass die Folgen des Überschlags so verheerend sind, ist nach Einschätzung des Gutachters wiederum zum Teil dem Bauprinzip von Pickups geschuldet - die Fahrgastkabine entpuppt sich bei diesen meist schweren Fahrzeugen gerade im Fall von Überschlägen als Schwachstelle. Was angesichts der familiären Verbindung in höchstem Maße tragisch ist, wertet der Rechtsstaat als fahrlässige Tötung. Die Staatsanwaltschaft schickt dem Mann einen Strafbefehl: 120 Tagessätze à 50 Euro Geldauflage, drei Monate Fahrverbot - ohne dass die Polizei ihm die erbetene Akteneinsicht gewährt hätte. Der Einspruch gegen den Strafbefehl ist der Auslöser für das Verfahren.

Nach Würdigung der Umstände, in die neben der speziellen familiären Situation auch die Einkommensverhältnisse und die bis dato straf- sowie verkehrsrechtliche Unbescholtenheit des Angeklagten einfließen, kommt Amtsrichter Martin Ramsauer zu dem Schluss, dass über die auf 90 Tagessätze à 40 Euro reduzierte Geldauflage hinaus ein Fahrverbot von einem Monat ausreichend ist. In der Verhandlung hatte der Staatsanwalt seine Bereitschaft erklärt, sich mit zwei Monaten Fahrverbot als aus seiner Sicht "unterste Schwelle" zu begnügen. Der Verteidiger hingegen hatte für den kompletten Verzicht auf Geldstrafe sowie Fahrverbot plädiert.

Ramsauer macht deutlich, dass es in diesem Fall keine Alternative zu einer Verurteilung und zu einer angemessenen Strafe gibt. Denn ein Mensch ist ums Leben gekommen und ein anderer muss sich zumindest Fahrlässigkeit vorwerfen lassen. Die viel schlimmere, buchstäblich lebenslängliche Strafe freilich dürfte für den Verurteilten die Tag für Tag sichtbare Lücke in der Familie sein und das Bewusstsein der eigenen Schuld.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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