Fürstenfeldbruck:Migrationsbiografien

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Fach- und Berufsoberschüler dokumentieren die Lebensgeschichte von Menschen, die im Landkreis Fürstenfeldbruck eine neue Heimat gefunden haben

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Wer sich heute nicht mit Zeitzeugen unterhält, dem könnte morgen bereits die Gelegenheit dazu fehlen. Denn mit den Menschen stirbt manchmal ein wichtiger Teil der erlebten Geschichte. Manche Facette lässt sich dann nicht mehr am Beispiel einer Biografie und damit aus einem ganz persönlichen Blickwinkel beleuchten. Das gilt vor allem für Überlebende des Holocaust. Es gilt aber zunehmend auch für die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und für Migranten, die in den Sechzigern und Siebzigern als "Gastarbeiter" oder irgendwann schlicht der Liebe wegen nach Deutschland gekommen sind. Die Fach- und Berufsoberschule (FOS/BOS) in Fürstenfeldbruck hat es sich zum Ziel gesetzt, mündlich überlieferte Erfahrungen zu dokumentieren, die Arbeit des Historischen Vereins zu ergänzen und den "einenden" Aspekt der Migration herauszustreichen. Für das Projekt "Menschen in Bruck - eine Zeitzeugendatenbank" werden noch Landkreisbewohner gesucht, die ihre ganz persönliche "Migrationsgeschichte" aus der Nachkriegszeit erzählen und vielleicht auch vom ersten "Kulturschock".

Im Raum G 108 im Erdgeschoss des Schulzentrums am Tulpenfeld sitzt Jamal Farani vor einem hellgrauen Hintergrund. An seinem Hemd ist ein kleines Mikrofon befestigt. Ein Fachoberschüler interviewt den 56-jährigen, der 1981 aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist. Farani wirkt etwas nervös angesichts der beiden Videokameras und des digitalen Aufnahmegeräts. Auch für ihn ist so etwas Neuland. Aber er ist froh, dass sich die Schüler und die beiden Lehrer Manuela Keller, 33, sowie Philipp Süßmann, 35, für seine Erfahrungen interessieren. Den Kontakt hergestellt hatte Andreas Gummert, die Landkreis-Koordinatorin für das Ehrenamt im Bereich Asyl, die Farani von der gemeinsamen Arbeit kennt. Für den gebürtigen Afghanen ist das Sprechen über die Erlebnisse eine Art von Verarbeitung. Mag er sich auch längst als Brucker fühlen und im Landkreis seine zweite Heimat gefunden haben, so ist wird doch klar, dass er mental sehr stark mit seinem südasiatische Vaterland verbunden ist. Als er auf Heimweh und familiäre Verbindungen dorthin angesprochen wird, kommen ihm die Tränen. Es ist eine emotionale Situation, wie sie bei den Interviews nicht selten sind. Und diese zu meistern, gehört ebenso zur Aufgabe der Schüler wie die Vorbereitung, zu der neben der Aneignung der geografischen, historischen und sozialen Hintergründe auch der Umgang mit Gesprächs- sowie Schnitt- und Aufnahmetechniken zählt. Im dritten Jahr hat das von der Sparkassenstiftung geförderte Projekt bereits einen festen Platz im "wissenschaftspropädeutischen Seminar" gefunden. Die Schüler der 13. Klasse kennen die möglichen Klippen bereits aus den Berichten ihrer Mitschüler. "Sie sind sehr motiviert und auch interessiert", stellt Manuela Keller fest. Jeder Schüler führt ein Gespräch und hat mehrere Wochen Zeit, das um eine schriftliche Analyse ergänzte, meist aus zwei bis vier Einzelclips bestehende Video für die anstehende Bewertung abzugeben.

Lino Berrscher, Theresa Doll und Sophie Markert befragen Farani. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Sophie Markert hat bereits mit der aus dem Sudetenland stammenden, 80 Jahre alten Susanne Pollak gesprochen, die ebenfalls in Olching wohnt. "Ich hatte Glück", sagt die 18-Jährige, "Frau Pollak war sehr nett und wir konnten über alles reden. Die erste Nervosität legen an diesem Tag auch Theresa Doll, 19, aus Olching und Lino Berrscher, 18, aus Fürstenfeldbruck ab, als es heißt "Kamera läuft, Ton läuft, Klappe, die erste". Denn sie merken, dass ihr Zeitzeuge Jamal Farani unkompliziert ist und viel zu erzählen hat.

Für das Projekt Oral History werden Flüchtlinge, Vertriebene, Spätaussiedler oder "Gastarbeiter" gesucht. Kontaktaufnahme über zeitzeugen@fosbos-ffb.de oder telefonisch über die Schule. Unter www.menschen-in-bruck.de sind bereits Videos über Migranten aus Schlesien, Kroatien, Indien, Argentinien, Ungarn und Russland zu finden.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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