Fürstenfeldbruck:Marmorsteine unter den Füßen

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Ein Beispiel für einen Terrazzoboden aus dem 19. Jahrhundert finden die Teilnehmer einer Bustour im Treppenhaus der Mammendorfer Bibliothek. (Foto: Günther Reger)

Italienische Wanderarbeiter haben im 19. Jahrhundert im Landkreis kunstvolle Fußböden geschaffen

Von Luca Thiel, Fürstenfeldbruck

Die Wanderbewegung der Italiener in der Nachkriegszeit ist allgemein bekannt. Dass eine solche Arbeitermigration schon 80 Jahre zuvor aufgetreten war, liegt eher im Dunkeln der Geschichte. Die italienischen Ziegeleiarbeiter und die sogenannten Terrazzieri hinterließen viele kulturelle Abdrücke im Landkreis. Besonders die Terrazzoböden in Kirchen, Villen, Krankenhäusern und Schlössern fallen dabei auf. Toni Drexler und Sepp Kink führen zum "Tag des offenen Denkmals" eine Bustour mit 60 Teilnehmern an, um die Spuren der italienischen Wanderarbeiter im Landkreis sichtbar zu machen.

Der Bus, vom Landratsamt organisiert, hält an drei Stationen, die Drexler nutzt, um die Ursachen und die Entwicklungen der Wanderarbeit zu erklären. Der erste Halt ist die Bibliothek in Mammendorf. Während der Busfahrt dorthin erläutert er die Gründe der Wanderung. Die schlechte wirtschaftliche Lage hatte die italienischen Arbeitslosen aus Friaul schon in den 1870er Jahren dazu veranlasst, in den südlichen Gebieten Deutschlands Arbeit zu suchen. Ein Beispiel für eben diese Arbeit ist der Terrazzoboden des Treppenhauses in der Bibliothek Mammendorf.

Auf der Treppe zum ersten Stock ist kaum Platz für die 60 Anwesenden, weshalb sich einige damit begnügen müssen, vor der Tür zu warten. Den Vortrag von Drexler verpassen sie dabei, doch können sie schon am Boden des Eingangsbereich nachvollziehen, was Drexler überhaupt mit dem Begriff Terrazzo meint. "Nicht zu verwechseln mit Tramezzini", witzelt er. Im Bus wiederholt der Experte, es handle sich bei Terrazzo um einen gefärbten Estrich, heutzutage eher Zement, mit zugefügten farbigen Marmorsteinen. Die Oberfläche wurde nach dem Aushärten glatt geschliffen. Dieser Schritt hat mehrere Tage gedauert, da natürlich alles noch per Hand gemacht werden musste.

Zur Fertigstellung wurde der gefertigte Boden mit Leinöl behandelt. Beliebt waren die Böden aufgrund ihrer leichten Pflege. Im Landkreis kamen viele der Wanderarbeiter in Gaststätten oder bei Familien unter und arbeiteten den Sommer über, bis sie zum Winteranbruch nach Italien zurückkehrten. Das erwirtschaftete Geld verhalf den Gastarbeitern zum Ausbau ihrer Heimat. Anhand einer Rechnung des ältesten Terrazzobetriebs von Franz Cadel in Deutschland geht hervor, wie gut das Handwerk bezahlt wurde. Für eine Fläche von 40 Quadratmetern erhielt der Betrieb eine Gegenleistung von 600 Mark. 20 Stunden Recherche investierte Drexler insgesamt, die Zuhörerschaft dankt es ihm mit ihrem Interesse und ihrer Aufmerksamkeit.

Auf dem Weg zur Station Nummer Zwei weist Sepp Kink mal auf der rechten, mal auf der linken Seite auf ehemalige Zieglereien hin. Der hohe Schornstein der Ziegelei Neumeier in Puch verrät das Gebäude schon von weitem. Kink spricht in das Busmikrofon und kommentiert, dass die bayerischen Fabrikinspektoren des öfteren betont haben sollen, mit welchem Fleiß und welcher Anspruchslosigkeit die Italiener die Einheimischen übertrafen. Außerdem sollen die Gastarbeiter stets pünktlich gewesen sein. Fast 95 Prozent der Männer aus Friaul suchten zwischen 1876 und 1910 Arbeit in Süddeutschland, so Kink. Eine Zahl, die großes Erstaunen hervorruft.

In der Pfarrkirche St. Sylvester in Mittelstetten, dem zweiten Beispiel einer Terrazierri-Arbeit, versammelt sich die Gruppe vor dem Altar. Der Boden ist mit einem großen Teppich ausgelegt, was eine neugierige Dame aber nicht davon abhält, das Kunstwerk zu betrachten. Sie klappt den Teppich zur Seite und ein Steinkreis kommt zum Vorschein. Ein Teilnehmer stellt meint, dass Terrazzo genauso gut als Mosaik bezeichnet werden könne. Der Unterschied liegt laut Drexler bei den Materialien der Steine, beim Mosaik sind das nämlich ungeschliffene Glas- oder Keramikteilchen. Der Gesprächsbedarf ist hoch, zur Freude von Drexler, der sein Wissen gut verständlich anbringt.

Die St. Andreas Kirche in Hörbach ist die letzte Station der Gruppe, bevor es zur gemeinsamen Kaffeepause ins Wirtshaus geht. In einem Eck hat Drexler alle Informationen noch einmal auf einer Stellwand zusammengetragen.

Kink ergänzt den Vortrag noch mit den Schattenseiten der Wanderarbeit. Denn das Zurücklassen der Frauen hat zur Folge gehabt, dass diese die landwirtschaftliche Hauptlast zu tragen hatten. Außerdem sei in den Arbeitsstätten ein allmähliches Absinken der allgemeinen Moral aufgetreten, was sich durch Gotteslästerung und Alkoholkonsum bemerkbar gemacht habe. Ein älterer Mann aus der Gruppe nickt zustimmend und flüstert seinem Sitznachbarn zu: "Kein Wunder bei dem Gesöff, das die da unten haben. Bayerisches Bier war halt schon immer bayerisches Bier."

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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