Fürstenfeldbruck:Männliches Begehren im Feenwald

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Anspruchsvolle Beziehungskiste: die Mitglieder der Neuen Bühne Bruck im "Sommernachtstraum". (Foto: Günther Reger)

Die Amazone "Hippolyta" macht im "Sommernachtstraum" der Neuen Bühne Bruck eine emanzipatorische Entwicklung durch, die Shakespeare für diese weibliche Figur so nicht vorgesehen hatte

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Die Figuren aus dem "Sommernachtstraum" haben über die Jahrhunderte hinweg Eigenleben entwickelt. So steht in Henry Purcells Maskenspiel die Feenkönigin Titania im Mittelpunkt, in Christoph Martin Wielands Versepos "Oberon" der Feenkönig. In Tradition solcher Adaptionen hätte Philipp Jescheck seine Umsetzung des Stoffs auch "Hippolyta" nennen können. Denn die Amazone, die der Athener Herrscher Theseus geraubt hat, um sie zu seiner Frau zu machen, macht in Jeschecks "Sommernachtstraum" eine auffallend von der Dramenvorlage abweichende Entwicklung durch.

Premiere hatte die Inszenierung bereits im Juni im Rahmen der Altmühlsee-Festspiele in Muhr am See, bei denen der Neue-Bühne-Leiter Harald Molocher seit diesem Jahr als Intendant fungiert. Am vergangenen Wochenende wurde sie nun an drei ausverkauften Abenden in Folge an der Neuen Bühne Bruck aufgeführt. Der Handlungsverlauf bleibt in Jeschecks Version unverändert. Von verbotener Verliebtheit motiviert, fliehen vier junge Athener in den Wald, wo sich der Feenkönig Oberon im Ehe-Clinch mit seiner Königin befindet. Jener verstrickt die Liebenden in ein magisches Verwirrspiel, das schließlich aufgelöst wird, damit alles scheinbar wieder in geregelten Bahnen laufen kann.

Aber Regisseur Jescheck hat einige interessante Entscheidungen getroffen. Das indische Kind (Nele Molocher), das Titania geraubt hat, was der Grund für den Kleinkrieg des Feenpaares ist, tritt auf, statt, wie im Shakespeare-Text und in vielen Aufführungen, nur erzählt zu werden. Die Handwerkertruppe, die in der Parallelhandlung ein Theater für die Hochzeitsfeier von Theseus und Hippolyta einstudiert, wird von einer Frau, Petra statt Peter Squenz, geleitet. Jene Eingriffe haben damit zu tun, wie Jescheck die Rolle von Weiblichkeit in der Komödie liest und ummodelt. Seine Titania ist nicht bloß eine lüsterne Nymphomanin, sondern auch eine Mutter, die um ihr Kind kämpft. Und Petra Squenz (Patrizia Flür) muss sich in ihrer Führungsposition gegen sexistische Kommentare einer Stammtischbande behaupten.

Am prägnantesten ist allerdings, was Jescheck mit der Rahmenhandlung um Theseus und Hippolyta macht, die andere Regisseure zugunsten der Szenen im Wald gerne kürzen oder gar ganz streichen. Die im Text implizierte sexuelle Gewalt der Zwangsverheiratungen, mit denen das Stück eröffnet, wird voll ausgespielt. Hippolyta wird gefesselt und mit Schleife um den Hals vorgeführt, als Geschenk für den patriarchalen Herrscher. Als die auf betont widerliche Weise bevormundete Hermia (Christina Schmiedel) dem Willen ihres Vaters entsprechend mit Demetrius (Dieter Fernengel) statt mit ihrem geliebten Lysander (Martin Schülke) verheiratet werden soll, protestiert die Amazone und fragt: "Was sagt denn Hermia dazu?" Eine Antwort bekommt sie nicht.

Beibehalten wurde die übliche Besetzung der Athener Eheleute mit denselben Darstellern, die das Feenpaar verkörpern. Alexander Wagner spielt Theseus und Oberon, Rilana Nitsch Hippolyta und Titania. Diese Doppelung ist bei Jescheck entscheidend. Titania kann das feministische Potenzial ausschöpfen, das Hippolyta genommen wurde, ganz gleich, ob Oberon mit Boxhandschuhen auftritt oder sie unter Drogen setzt. Aggressiv ist männliches Begehren im Feenwald immer noch, Schülkes animalisches Gebaren als verzauberter Lysander ist dafür bezeichnend. Doch weibliche Sexualität lässt sich davon nicht übermannen, weswegen auch Helena (Barbara Galli-Jescheck) einer Orgie mit zwei Männern frönen kann, die sie dann fortschickt.

Nach vielen kleinen kommt der große Zwist im letzten Akt. Statt in Fesseln tritt Hippolyta mit einem Gewehr auf und spricht nicht nur einen Großteil des Texts, den Shakespeare Theseus zugeschrieben hat, sondern wird dazu aufgefordert, alle anstehenden Entscheidungen zu treffen. Darin mündet der Emanzipationsprozess, den Jeschecks "Sommernachtstraum" nachzeichnet. Die nächtlichen Ereignisse sind in diesem Fall nicht bloß ein Traum, sondern ein befreiender Bruch, dessen Auswirkungen bei Tageslicht andauern.

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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