Fürstenfeldbruck:Liebesglück und Todessehnsucht

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Gespräch über ein schwieriges Thema: Regisseurin Katrin Nemec (von links), Angelika Eisner und der Palliativ-Mediziner Karlheinz von Jan. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das Brucker Lichtspielhaus zeigt die Doku "Vom Lieben und Sterben". Ein Film, der hinsieht, wenn es schwer wird und das Publikum bewegt. Umso mehr, weil auch die Witwe des verstorbenen Protagonisten im Publikum sitzt

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Der Mann, der auf der Leinwand im Brucker Lichtspielhaus zu sehen ist, will sterben. An seinem Entschluss kann niemand mehr rütteln, nicht einmal seine hoffnungsfrohe Lebensgefährtin. "Ich glaube, mit der Trauer wird man eher fertig, als mit mir noch zehn Jahre zu leben", sagt Robert Wolf, im Rollstuhl sitzend, mit ruhiger Stimme direkt in die Kamera. Sanft gesprochene Worte, die wie scharfe Messer wirken. Worte, die das Publikum bei der Vorstellung des Dokumentarfilms "Lieben und Sterben" von Karin Nemec mitten ins Herz treffen. Umso mehr, weil bekannt ist, dass Wolfs Witwe an diesem Tag im Publikum sitzt.

Der Film erzählt die Geschichte eines Schicksalsschlags und seiner weitreichenden Folgen. Es ist die Geschichte des begabten Musikers Robert Wolf, Mitglied der Band Quadro Nuevo, der 2008 durch einen unverschuldeten Autounfall eine Querschnittslähmung erleidet. Mit der Abhängigkeit, die sein Leben fortan bestimmt, kann Wolf sich nicht abfinden. Erst recht nicht damit, dass er nie wieder in der Lage sein wird, selbst zu musizieren. Regisseurin Nemec hat Wolf und dessen Frau Angelika Eisner für den Film sechs Jahre lang begleitet. Während die Dokumentation zeigt, wie Wolfs deutlich jüngere Lebensgefährtin trotz allem die gemeinsame Zukunft, einen Hauskauf, die Hochzeit, vielleicht sogar Kinder plant, beschließt Wolf durch einen begleiteten Suizid zu sterben. Es ist ein Film, der sich traut, hinzuschauen, wenn es schwierig wird. Der zeigt, wie unterschiedlich sich die beiden Liebenden nach dem Schicksalsschlag entwickeln. Ein Film, der gerade wegen dieser schwer auszuhaltenden Diskrepanzen eine starke Wirkung auf sein Publikum hat. So stark, dass die Teilnehmer des anschließenden Filmgesprächs erst einmal einen Moment brauchen, um sich zu sammeln.

Schon die erste Szene trifft die Zuschauer mit voller Wucht. Als das Licht im Kinosaal ausgeht und Wolf telefonierend im Bild erscheint, sind seine ersten Worte: "Ich möchte meine Beerdigung jetzt schon organisieren, ist das möglich?" Keine Theatralik, keine Trauer, keine Aufregung. Wolfs ruhige Stimme, sein Gesicht - all das wirkt so unaufgeregt, als würde es sich bei dem Gespräch um eine Bestellung beim Lieferdienst handeln. Die Regisseurin hält sich nicht mit langwierigen Annäherungen an ein sensibles Thema auf. Ganz im Gegenteil, sie wirft den Zuschauer gleich mitten hinein ins Existenzielle, nur um Augenblicke später noch eins draufzulegen. Wolf klärt mit dem Bestatter gerade noch die Zahlungsmodalitäten für seine Wunschbeerdigung, da setzt auch schon der Schnitt an und auf der Leinwand erscheint ein turtelndes Paar - private Aufnahmen der beiden, eine Rückblende in die Zeit vor dem Unfall. Wolf und Eisner werfen sich tiefe Blicke zu, wie es nur besinnungslos Verliebte können, sie drehen sich, lächeln sich dabei an, als wären sie die einzigen Menschen auf der Welt, betrunken vor Glück.

Die Fallhöhe ist enorm, als wenig später Bilder von Wolf auf der Leinwand erscheinen, die ihn mit versteinerter Mine, gefangen in einem unbeweglichen Körper zeigen. Etwa als Angelika ihn am Frühstückstisch füttert, als er für den Transport zur Physiotherapie in einen Minivan geladen und er an seinen Rollstuhl und der Rollstuhl an Halterungen im Wagen festgezurrt wird. Einen ebenso harten Kontrast zwischen dem Vorher und dem Nachher erzeugt Nemec, als sie den Wolf von einst auf der Bühne zeigt. Seine Finger flattern, zupfen und tänzeln wie besessen über die Saiten einer Gitarre, entlocken dem Instrument eine irrsinnige Melodie. Nemec verschneidet diese Szene einen Augenblick später mit Aufnahmen aus der Klinik, in der Wolfs der Unbeweglichkeit geschuldeten offenen Stellen behandelt werden müssen. "Letztes Jahr um diese Zeit war alles in Ordnung", sagt Wolf in die Kamera. "Um 16.04 Uhr war nichts mehr in Ordnung." Um 16.04 Uhr war von Wolfs Wagen, ein eingeblendetes Foto vom Unfallort beweist das, nur noch ein Haufen verbogenes Metall und gesplittertes Glas übrig.

Trotz der Schwere des Themas, Wolf beschäftigt sich zunehmend mit Sterbehilfe und Suizid, zeigt der Film, gerade zu Beginn, immer wieder Glücksmomente. Auch nach dem Unfall. Etwa als die Kamera auf Wolfs Zeh schwenkt und den Hauch einer willentlich gesteuerten Bewegung einfängt. "Ich hätte nie gedacht, dass so eine kleine Bewegung so groß sein kann", sagt er. Und trotzdem - nach sechs Jahren im Rollstuhl und einer langen Zeit, ohne feststellbare Regeneration, steht für Wolf fest, dass er sein Leben beenden will. Sterbehilfe wird er nicht mehr in Anspruch nehmen, letztendlich ist es ein Infekt, dem Wolf erliegt. Im Krankenhaus verweigert er die medikamentöse Behandlung und stirbt an einer Lungenentzündung.

Nach dem Abspann und nach einem kurzen Moment der Stille, gibt es im Publikum viele Fragen. Gekommen sind zu dem Gespräch nicht nur Angelika Eisner, sondern auch Katrin Nemec und Karlheinz von Jan, der ärztliche Leiter des Ambulanten Palliativ-Teams Fürstenfeldbruck. Ganz offen erzählen Nemec und Eisner über ihre Zusammenarbeit, die nicht immer gut war. Darüber, dass sich Eisner mit dem Film schwergetan hat, als Wolfs Entscheidung zu sterben, feststand. Dass sie nicht mehr vor der Kamera sprechen wollte. Aber auch darüber, dass sie sich später wieder einander angenähert haben. Nemec spricht über moralische Fragen und Gewissensbisse, die sie beim Filmen hatte.

Von Jan klärt das Publikum auf Nachfragen vor allem über gesetzliche Bestimmungen zur Sterbehilfe in Deutschland auf. "Bis 2015 hatten wir in Deutschland ein sehr liberales Gesetzt", erklärt er. Noch zuvor ist die Dokumentation entstanden. Mittlerweile sei es kaum noch möglich, ein solches Angebot in Anspruch zu nehmen. Eisner antwortet an diesem Abend auf viele persönliche Fragen, erklärt, wie schwer es war, Wolfs Entscheidung zu akzeptieren, dass sie an seiner Seite war, als er gestorben ist, weil sie es ihm versprochen hatte, und dass sie noch nach seinem Tod an seinem Grab viel mit ihm diskutiert habe. Sie erklärt auch, dass sie erleichtert war, dass er ohne Sterbehilfe und festgelegtes Datum oder durch einen geplanten Suizid aus dem Leben gehen konnte. "Wie geht es ihnen heute", will eine Besucherin wissen. Das Gesicht ihres verstorbenen Partners auf der großen Leinwand zu sehen, seine Stimme zu hören, schmerze und helfe ihr zugleich. "Trotzdem, es geht mir gut. Ich habe es noch immer nicht ganz verstanden, aber es geht mir gut", sagt sie.

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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