Fürstenfeldbruck:Leuchtende Stadt aus Pappe

Lesezeit: 2 min

Vom Leonhardplatz gehen die Familien an die Amper, von wo die Luzienhäuschen auf die Reise gehen. (Foto: Günther Reger)

Hunderte selbst gebastelte und mit brennenden Kerzen bestückte Luzienhäuschen werden auf die Amper gesetzt. Fürstenfeldbrucker Familien gedenken der Schutzheiligen und erhalten damit einen uralten Brauch

Von Maren Jensen

FürstenfeldbruckWochenlang haben Hunderte Brucker an ihren Luzienhäuschen getüftelt. Viele Stunden Arbeit verbrachten sie mit Kleben und Basteln, am Sonntag dann mussten die teilnehmenden Familien Abschied von den kleinen Kunstwerken nehmen. Mit einer Mischung aus Stolz und Freude blickten sie den auf der Amper davon treibenden Häuschen hinterher, froh darüber, selbst ein Teil des Brauches geworden zu sein.

Noch ist es still an der Amper am Sonntagabend. Zart bewegt der Wind die letzten verbliebenden Blätter an den sonst so kargen Bäumen. Kein Autolärm ist zu hören, die Brücke ist den Abend über gesperrt. Doch die Stille hält nicht lange an. Plötzlich strömen von allen Seiten Kinder und Eltern auf den Leonhardsplatz, einige tragen ihre Häuser selbst in den Händen, andere ziehen sie in einem Bollerwagen hinter sich her. Überall sind kleine Pappdächer zu sehen, manche sind schon von den Kerzen in den Häuschen erleuchtet.

Neben Reiterhöfen, Baumhäusern und Prinzessinnenschlössern haben einige Familien und Kinder ihre eigenen Wohnhäuser nachgebildet. Dazu zählte auch die zehnjährige Isabel Gora. Tagelang lief die Schülerin im Haus umher, um ihr Zuhause so originalgetreu wie möglich nachzubauen. "Meine ganze Familie hat mir geholfen, und ich bin richtig stolz darauf", sagt sie. Fester Bestandteil ist der Brauch in den vergangenen Jahren auch an den Fürstenfeldbrucker Schulen geworden. Insgesamt 203 Schüler der Grundschule an der Philipp-Weiß-Straße sowie der Grundschule Mitte am Theresianumweg nahmen an der diesjährigen Aktion teil. Um allen zu zeigen, welche Häuser dann auf die Amper gesetzt wurden, waren sie zuvor in der Sparkasse ausgestellt worden.

Ein Raunen geht durch die Menge, als die Wasserwacht das erste Haus, eine Nachbildung der Leonhardikirche, zu Wasser lässt. Langsam tritt das kleine Kunstwerk seine Reise zum Schwarzen Meer an, so denkt jedenfalls der siebenjährige Leon Ehrenfeld. Dass es die meisten Häuser bestenfalls ein paar Kilometer weit schaffen, wird den Kindern verschwiegen. Spätestens am Olchinger Wehr stranden die meisten Häuser, weiß Stephan Hein, Gruppenführer der Brucker Wasserwacht. Seit 20 Jahren hilft er dabei, die Häuser sicher in die Strömung zu setzen.

Ein bisschen ängstlich schaut die zehnjährige Anna-Lena Heinzl auf den Fluss. Als nächstes ist ihr Haus an der Reihe. Wird es den Weg durch die heikle Stelle unter der Brücke schaffen oder wird es untergehen? Langsam treibt es voran. Die Aufregung der Zehnjährigen steigt. Und plötzlich kommt das Haus ins Schlingern, nur noch wenige Zentimeter fehlen bis zu der Schwelle im Fluss, die Schülerin zieht die Luft ein. Und dann geht alles ganz schnell. Mit einer eleganten Drehung meistert das Haus die gefährliche Stelle. Gemütlich nimmt es seine weitere Reise auf, bald ist nur noch ein kleiner Lichtpunkt zu erkennen. "Mein Haus hat es geschafft."

Der Brauch des Luzienhäuschen-Schwimmens geht auf ein Ereignis im Jahr 1785 zurück. Damals wurde die Stadt von einem großen Hochwasser bedroht. Die Brucker versammelten sich in der Klosterkirche und beteten zur Heiligen Lucia. Falls sie die Stadt verschone, würden sie jedes Jahr am 13. Dezember einen Gottesdienst abhalten. Es wurden kleine Häuser gebaut, die sie als Opfergabe der Amper übergaben, damit die eigenen Häuser nicht in Gefahr gerieten.

Diesem Brauch widmeten sich auch am Sonntag wieder viele Familien. Nach dem traditionellen Gottesdienst um 11 Uhr in Fürstenfeld bastelten einige Kinder weitere Luzienhäuser auf dem Klostergelände und backten "Lussekatten", ein schwedisches Gebäck. Zum Einbruch der Dämmerung machten sie sich auf dem Weg zur Leonhardikirche, um dort die Kerzen in ihren Häusern zu entzünden und Abschied von den Pappgebilden zu nehmen.

Freudig blickten die Kinder der leuchtenden Stadt aus Pappe hinterher. Und auch die Eltern erinnern sich in diesem Moment daran, wie sie einst selbst am Ufer standen und ihren eigenen Häusern nachschauten.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: