Fürstenfeldbruck:Leben vom Gutschein

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Freunde und Familie müssen die 28 Jahre alte Mutter finanziell unterstützen, weil sie als Arbeitslose zunächst kein Geld bekommt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Eine alleinerziehende Mutter wartet nach ihrer Kündigung elf Wochen auf Geld vom Jobcenter. Die Behörden verteidigen ihr Vorgehen als korrekt und berufen sich auf die gesetzlich vorgesehene Sperrfrist von drei Monaten

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

"Ich möchte keine Hetzkampagne machen", beginnt die junge Frau, die sich Anfang September arbeitslos gemeldet hat und seither auf Geld wartet. Die 28-Jährige, nennen wir sie Anna Schmidt, ist Maler- und Lackierermeisterin und hat eine bald sieben Jahre alte Tochter. Vor drei Monaten ist sie betriebsbedingt gekündigt worden, allerdings hat sie damals einen Aufhebungsvertrag unterschrieben. Obwohl sie sich direkt, am 9. September, bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat, hat die alleinerziehende Mutter von staatlicher Seite bis Ende November nicht einmal 1000 Euro Unterstützung bekommen. Ohne Geld von Familie und Freunden wüsste sie nicht, wie sie ihre nächste Miete bezahlen soll. Ihr Konto ist im Minus, die Überziehungszinsen muss sie selbst zahlen. Die Behörden berufen sich auf die Vorschriften.

"Ich habe die ganze Zeit gearbeitet und Arbeitslosenversicherung gezahlt", nun habe sie doch in einer Notlage auch Anrecht auf Unterstützung, findet die 28-Jährige, die sich seit 13 Jahren ehrenamtlich bei der Feuerwehr engagiert. "Gut, ich habe den Fehler gemacht und einen Aufhebungsvertrag unterschrieben", ihr früher Chef könne da sehr energisch sein. Zwischen den Zeilen klingt das fast so, als habe der Mann, den sie nicht namentlich erwähnt, die zierliche Frau unter Druck gesetzt oder zumindest ein sehr überzeugendes Auftreten an den Tag gelegt, damit sie diesen Vertrag unterschreibt, der besagt, dass sie aus freien Stücken ihre Arbeit gekündigt hat.

Jedenfalls wertet die Agentur für Arbeit diesen Aufhebungsvertrag so. Und damit greift eine Sperrfrist von drei Monaten. Wie die junge Frau berichtet, hat ihr aber eine Sachbearbeiterin gesagt, bei Alleinerziehenden gelte nur eine Sperrfrist von sechs Wochen. Eine solche verkürzte Sperrfrist gibt es laut Sandra Perzul, Sprecherin der Arbeitsagentur, nicht: "Der persönliche Status ist für die Sperre völlig unabhängig." Ob nun aber sechs oder zwölf Wochen: da die wenigsten so lange ohne Einkommen sein können, wurde Anna Schmidt an das Jobcenter verwiesen. Die dortige Chefin, Claudia Baubkus, nennt die Unterzeichnung eines solchen Aufhebungsvertrags ebenfalls "einen Fehler". Ihrer Meinung nach ist es aber hinlänglich bekannt, was so ein Vertrag bedeutet. Darüber hinaus sollte freilich jeder, der etwas unterzeichnet, sich vorher durchlesen, was er unterschreibt. Da aber nun einmal der Vertrag unterschrieben wurde, greift Baubkus zufolge die dreimonatige Sperre - mit weiteren Folgen. "Der Regelsatz wird noch einmal sanktioniert", erklärt Baubkus, "weil wir den Gedanken des Gesetzgebers weitertragen und sagen, du hast hier eine unbefristete Stelle aufgegeben."

"Deswegen kann man mich doch nicht bestrafen mit elf Wochen kein Geld geben, keine Informationen", empört sich die 28-Jährige. Wie sie berichtet, hatte sie bis Ende September alle Unterlagen vorgelegt. Ende Oktober fragte sie erneut beim Jobcenter nach. Ein Sachbearbeiter versprach ihr Geld für November. Es kam nicht. Das Geld für Miete, Nebenkosten und Versicherungen wurden automatisch von ihrem Konto abgezogen. "Dann war mein Konto mit 1350 Euro im Minus." Nun muss sie auch noch Überziehungszinsen zahlen. Was bei einem Dispokreditrahmen von 350 Euro etwa 15 Euro im Monat ausmacht. "Das war das Bastelgeld für meine Tochter", lächelt sie zynisch.

Als Anna Schmidt im Oktober beim Jobcenter nach "wenigstens Geld für Miete und Essen" fragte, "haben sie gesagt, ich soll meine Eltern um Geld fragen". Falls das nicht funktioniere, solle sie Ende der Woche wiederkommen. Dann erhalte sie Einkaufsgutscheine, sagte man ihr am Montag. Dank Freunden und Familie konnte sie ihre Tochter und sich über die Woche bringen. Aber was ist mit Menschen, die einen solchen Rückhalt nicht haben?

Bis jetzt kann die junge Frau nicht glauben, dass sie, die immer gearbeitet und Steuern gezahlt hat, nun in einem Sozialstaat so erniedrigend behandelt wird. Am Freitag schließlich bekam sie die Gutscheine. Und erlebte noch mehr Erniedrigendes: Die Bons gelten nur für Lebensmittel, nicht für Kosmetika, Zigaretten oder Alkohol. "Wenn ich jetzt ein Shampoo gebraucht hätte, hätte ich das nicht kaufen können." Und überhaupt, findet Schmidt: "Wenn ich von meinem Geld etwas kauf, dann kann ich doch kaufen, was ich will." Doch es kam noch schlimmer: Mit voll geladenem Einkaufswagen (man erhält auf die Gutscheine kein Restgeld) erfuhr sie an einem belebten Freitag an der vollen Kasse, dass der Supermarkt den Bon nicht annimmt. Der nächste auch nicht. "Der Verkäufer kannte die nicht mal", betont sie. Erst der vierte akzeptierte die bargeldlose Bezahlung.

Gegen Ende November hat Schmidt zwar vom Jobcenter den ersten, bislang einzigen Bescheid bekommen. Mit einer Berechnung ihrer Ansprüche, rund 1000 Euro, und der - inzwischen, Anfang Dezember - zweimaligen Zahlung von knapp 1000 Euro. Das reicht aber auch nicht, um ihre 1200 Euro Fixkosten zu decken. Darüber hinaus "wird das jetzt gerade wieder neu berechnet, also Behördenwahnsinn", kommentiert Schmidt die Neuberechnung unter Berücksichtigung ihres Vermögens. Denn durch die Zuständigkeit des Jobcenters ergibt sich ein weiteres Problem: das des eigenen Vermögens. Das muss man bei einem Antrag auf Grundsicherung beim Jobcenter offenlegen. Ab 4900 Euro muss dieses zunächst aufgebraucht werden. Liegt der über 4900 Euro müsste sie zunächst dieses Vermögen aufbrauchen. Egal, wie groß dabei der Verlust ist. Und offenbar ohne zu berücksichtigen, dass die junge Mutter - eigentlich - von Anfang Dezember an Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.

Laut der Jobcenter-Chefin "müsste man sich da den genau Einzelfall anschauen", doch generell gelte zunächst einmal die deklarierte Vermögensgrenze.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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