Fürstenfeldbruck:Kritische Fragen zum Koran

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Gönül Yerli plädiert dafür, den Koran im historischen Kontext zu sehen und für heute auszulegen. (Foto: Reger)

Die islamische Religionspädagogin Gönül Yerli diskutiert beim Brucker Forum über ihre Religion

Von Anna-Sophia Lang, Fürstenfeldbruck

Gönül Yerli sagt über sich selbst, sie verstehe sich als Brückenbauerin. Die Tochter türkischer Einwanderer ist in Miesbach aufgewachsen, ist nicht nur islamische Religionspädagogin, sondern hat auch katholische Theologie studiert. Als sie sich am Donnerstagabend im Pfarrheim Sankt Bernhard vorstellt, spricht sie davon, wie wichtig es sei, das Gespräch mit anderen Religionen zu suchen. "Gerade jetzt, wo der Islam in aller Munde ist". Dass ihre Fähigkeiten als Brückenbauerin an diesem Abend auf die Probe gestellt werden, ahnt sie da noch nicht.

Yerli spricht nicht zum ersten Mal beim Brucker Forum, zuletzt war sie im März da. Diesmal ist sie gekommen, um sich den Fragen der Bürger zu stellen. Und die fragen. Warum positionieren sich muslimische Vereine nicht deutlicher öffentlich? Wie gehen Sie mit der Angst vor Terroranschlägen von Islamisten um? Ein Mann hat das Gefühl, dass sich manche Gemeinden zunehmend abschotten, ein anderer, dass es nur wenige Muslime in Führungspositionen gebe. "Ich denke, allmählich wächst eine muslimische Bildungsschicht heran", entgegnet ein dritter. Eine Entwicklung, die Yerli ebenfalls beobachtet. Auch sie ist der Meinung, dass muslimische Verbände sich öffentlich positionieren müssen. Bereits jetzt täten sie aber häufig mehr, als wahrgenommen werde. "Wir sind in einem Entwicklungszustand", sagt sie: "Wir stehen noch am Anfang des Wegs." Damit meint sie auch die Auseinandersetzung junger Muslime mit ihrem Glauben und ihrer Wahrnehmung von außen. "Manchmal wird ihnen eine Identität aufgestülpt, bloß weil sie Hassan oder Fatma heißen." Es sei nicht leicht, sich permanent über die eigene Identität im Klaren zu sein. "Muslime werden immer danach gefragt, wer sie nicht sind oder was sie nicht wollen, anstatt danach, was sie wollen."

Die meisten Redebeiträge sind kritisch, zeugen aber von Toleranz. Dann wird das Gespräch hitzig. "Wann entrümpeln Sie endlich diesen unsäglichen Koran?", fragt ein Zuhörer und behauptet, die Schrift würde Muslime dazu aufrufen, sich nicht zu integrieren. Er vergleicht vietnamesische Einwanderer mit Muslimen, um zu beweisen, dass letztere "integrationsunfähig" seien. Eine Aussage, die Forums-Geschäftsführerin Christine Höppner gleich entkräftet. "Dass manche Muslime Schwierigkeiten haben, hängt nicht mit der Religion zusammen." Wenig später beginnt ein anderer Zuhörer, Verse vorzulesen, um zu belegen, dass der Koran Gewalt gegen Frauen legitimiere. Solche Verse müssten gestrichen werden, fordert er.

Yerli bleibt gelassen. Der Koran sei ein ambivalentes Werk, entgegnet sie, das man im historischen Kontext sehen müsse und nicht einfach wörtlich nehmen könne. "Der Koran will und muss ausgelegt werden." Einer Religion anzugehören, bedeute auch, sich kritisch damit auseinander zu setzen. "Es gibt Gruppen, die diese Verse für sich vereinnahmen. In manchen Ländern hat sich so eine fatale Kultur entwickelt. Das ist eine große Schwierigkeit für die anderen Muslime." Neu sind solche Beiträge für sie nicht. Allenfalls die Intensität habe sie erschreckt. "Das wird mich ein paar Tage beschäftigen." Dem Dialog stellen wird sie sich weiterhin. "Ich lebe in diesem Land, ich bin deutsche Staatsbürgerin und ich bin Muslima." Bis August ist sie beinahe jeden Abend ausgebucht. Das Gespräch zu suchen, sagt sie noch einmal, sei das allerwichtigste. Auch mit Kritikern.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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