Landrat Thomas Karmasin (CSU) war Anfang August einer der ersten Kommunalpolitiker, die angesichts des damals noch relativ moderaten Flüchtlingszustroms Alarm schlugen. Nun kann er einen Beitrag dazu leisten, dass im Kanzleramt in Berlin seine Botschaft ankommt, es könne nicht mehr so weitergehen wie in den vergangenen Wochen. Karmasin ist am kommenden Montag mit fünf weiteren Vertretern des Landkreis-, Gemeinde- und Städtetags von Bayern zu einem zweistündigen Gespräch mit Angela Merkel nach Berlin eingeladen, um über die Probleme im Umgang mit Flüchtlingen zu sprechen.
Ob die Einladung darauf beruht, dass Karmasin schon seit mehr als einem Jahr dem Flüchtlingskrisenstab der Staatsregierung angehört oder dass er Vizepräsident des Bayerischen Landkreistags ist, ist für ihn nicht wichtig. Es geht ihm darum, der Bundeskanzlerin aus erster Hand schildern zu können, wie dramatisch sich die Situation in München und in Bayern zuspitzte, seit die Berliner Regierungschefin die deutschen Grenzen für solche Flüchtlinge weit öffnete, für deren Asylanträge nach europäischem Recht eigentliche andere Länder wie Ungarn zuständig seien. Er wolle einen Beitrag dazu leisten, dass der Zustrom geringer werde, erklärte der Landrat am Donnerstag. "Das wird man erreichen müssen", beteuert der 52-Jährige, und zwar indem sich Deutschland an das europäische Recht hält. Um zu ergänzen: "Es ist typisch deutsch, zu glauben, dass wir die einzigen sind, die das Asylrecht kennen."
Karmasin hält Merkel für eine kühl kalkulierende Politikerin. Deshalb fährt er nicht mit der Erwartung nach Berlin, von ihr spontan Zusagen zu erhalten. Der Landrat setzt auf etwas, das er schon öfter in der Politik erlebte. Ihm geht es um das, was die Authentizität der Schilderung der Zustände, wie er sie seit Monaten bei der Unterbringung von Flüchtlingen erlebt, bei seiner prominenten Zuhörerin bewirkt. Solche Erfahrungen würden mehr bewegen als Zahlen oder Statistiken. Zudem ist der Brucker Landrat davon überzeugt, dass die Situation nicht in allen Bundesländern gleich ist und sich Merkel nicht vorstellen kann, was es bedeutet, wenn in München an einem Tag 12 000 Menschen an einem Bahnsteig stehen und versorgt werden müssen. Solche Schwierigkeiten wollen Karmasin und seine Begleiter der Bundeskanzlerin aus Sicht der drei kommunalen Spitzenverbände "eindringlich" vor Augen führen.
Und Karmasin will die Kanzlerin davon überzeugen, wie wichtig es ist, vorübergehend Rechtsvorschriften außer Kraft zu setzen, um schneller menschenwürdige Flüchtlingsquartiere bauen zu können. Er fordert baurechtliche Erleichterungen für die Errichtung von Containerunterkünften oder den Bau von Wohnungen, er spricht aber auch von Erleichterungen bei den Ausschreibungsvorschriften. Als Beispiel nennt er die Vorgabe, den Kauf einer größeren Zahl von Wohncontainern europaweit ausschreiben zu müssen. Erleichterungen erhofft sich Karmasin auch beim Jugendhilferecht, dessen Vorgaben bei der Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nicht mehr einzuhalten seien. Die Minderjährigen müssen nach den strengen Vorgaben einer Heimunterbringung betreut werden, was für jeden Jugendlichen Kosten von 35 000 bis 50 000 Euro im Jahr nach sich ziehe. Einen solchen Standard hält Karmasin aufgrund der aktuellen Situation für nicht sachgerecht. Da viele der Minderjährigen zudem in Turnhallen leben müssen, seien die Vorgaben sowieso schon nicht mehr einzuhalten.
Wie der Landrat beteuert, geht es ihm jedoch nicht ums Geld. Schließlich erstattet zumindest in Bayern der Staat den Kommunen die Kosten für die Betreuung und Unterbringung der Flüchtlinge fast komplett.