Fürstenfeldbruck:Im Hamsterrad

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Schwitzen fürs System: Titus Weber (links) spielt des Chef dieses Unternehmens, von dem keiner weiß, was es eigentlich produziert. (Foto: Günther Reger)

In der klugen Inszenierung "Sagen wir jetzt nichts" fällt der kapitalistische Turm in sich zusammen

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Die Neue versteht die Welt nicht. Dabei ist sie doch ziemlich simpel: Arbeit, Pause, Arbeit, Schlaf - und dabei nur nicht nachdenken. Das ist es, was ihre vier Kollegen den ganzen Tag machen. Eingesperrt in einen kleinen weißen Raum, den sie nie verlassen, gekleidet in Blaumänner, die sie nicht einmal nachts ausziehen. Es ist eine triste kapitalische Blase, die Katharina Holzhey und ihr Ensemble in ihrer Inszenierung "Sagen wir jetzt nichts" mit dem Theater 4 skizzieren. Um die Sinnlosigkeit der dort geleisteten "Arbeit" noch zu unterstreichen, machen die fünf Schauspieler und Schauspielerinnen eine Stunde lang Fitnessübungen. Warum nur, fragt sich also die Neue (Adula Kohns) verzweifelt, warum verdammt nochmal, denkt hier eigentlich keiner nach? Über das, was er tut, über das, was er will, über überhaupt irgend etwas?

Weil dann alles zusammenbricht, ist die simple Antwort, die das Stück gibt. Es ist ein Abend wie eine Runde des Geschicklichkeitsspiels Jenga. Allerdings mit modifizierten Regeln. Hier spielt nicht jeder gegen jeden, sondern es treten zwei Teams mit unterschiedlichen Zielen gegeneinander an. Das eine will den Turm möglichst schnell einstürzen lassen, das andere ihn retten. Verhandelt werden dabei alle Themen der aktuellen jungen Kapitalismuskritik. Klimaschutz, Emanzipation, Ungerechtigkeit, Schuld. Allerdings nicht so laut und konfrontativ wie auf den Straßen und Plätzen der Republik, sondern viel mehr ruhig und reflektiert. Und trotzdem wackelt der Turm von Satz zu Satz stärker.

Dabei verlässt sich das Ensemble weitgehend auf seine Spielfreude und die Kraft des Textes, an den richtigen Stellen verstärkt durch den Einsatz von kurzen Videoeinspielungen, etwa der Rede einer Fridays-for-Future-Aktivistin, oder Musik, die mit ihrem Beat Arbeiter in den richtigen Rhythmus bringt. Das Bühnenbild bleibt mit den Fitnessgeräten und fünf weißen Tischen, an denen gegessen wird, reduziert und ruhig. "Es geht mir nicht darum, etwas kaputt zu machen oder euch die Schuld zu geben. Ich kann nur nicht weitermachen, wenn ich gesehen habe, dass ich etwas an diesem Kreislauf ändern kann", sagt Kohns nahezu entschuldigend. Es ist eine Entschuldigung an die Elterngeneration, die das System und den Wohlstand aufgebaut hat, in dem die Jugend nun dagegen protestieren kann. Es ist aber auch eine Entschuldigung an die, die aktuell das ganze System mit ihrem Einsatz am Laufen halten.

In diesem Fall die vier Kollegen. Jeder von ihnen steht quasi archetypisch für eine Rolle, die sich im Kapitalismus finden lässt. Namen tragen die Charaktere nicht, es geht an diesem Abend nicht um Individuen. Da ist der Chef (Titus Weber), der mit Motivationssprüchen und Mahnungen den Laden zusammenhalten will. Beständig das grüne Fitnessband dehnend, erklärt er ein ums andere Mal die Alternativlosigkeit des Ist-Zustands. Zuspruch bekommt er bis zum Ende von Marleen Uebler, die umso fanatischer auf ihrem Heimtrainer strampelt, je stärker die Stimmung gerade kippt. Denn Tim Golling auf dem Laufband und Lena Sammüller mit dem Springseil sind durchaus empfänglich für Kohns Gedanken. Allerdings aus verschiedenen Gründen. Golling, weil er vor allem an sich denkt und nicht so richtig Lust hat zu arbeiten und Sammüller, weil sie dann doch irgendwie von mehr träumt, als in diesem Raum gesperrt zu sein.

Mal naiv-träumerisch, die Stimme ins zuckersüß-einlullende hebend, die Augen welpenhaft aufgerissen, mal furienhaft kreischend und mit dem Swingstick in Kill-Bill-Manier in Zeitlupe alles zertrümmernd, steht sie auch für die emotionale Ebene. Golling ist da eher praktisch-pragmatisch. Als das Kräfteverhältnis kippt, steigt er einfach vom Laufband. "Ihr verbietet mir nichts mehr, weil ihr Angst habt, dass ich dann auch gehe", richtet er sich ungeniert an Weber und Uebler. Das System ist verwunderbar geworden.

Ausführlich diskutiert Golling dann mit sich selbst über die Schuldfrage. Ja, sie alle sind mit ihrem eigenen Lebensstil schuld daran, dass andere Menschen leiden müssen, damit das ganze System funktioniert. Aber weil es das System eben so gibt wie es ist, fühlt er sich nicht verantwortlich und will deshalb auch kein schlechtes Gewissen haben müssen.

Und so schafft das Ensemble unter Leitung von Katharina Holzhey einen durchaus moralischen, aber keinen moralisierenden Abend. Eine Lektion in sich selbst hinterfragendem Idealismus, der überzeugen will und nicht vorschreiben, der auch denen Raum gibt, die über die Zustände informiert sind, aber sich dagegen entscheiden, "gut" zu sein. Eine angenehme Abwechslung in einer Öffentlichkeit, die sich in zwei Lager spaltet, die wiederum aufhören, miteinander zu sprechen. "Sagen wir jetzt nichts" ist eine stabile Brücke über diesen Graben.

"Sagen wir jetzt nichts" - Inszenierung des Theater 4 an der Neuen Bühne Bruck. Weitere Aufführungstermine: 24., 26., 29., 30. und 31. Juli jeweils von 20 Uhr an. Der Eintritt kostet zehn Euro, verpflichtende Kartenreservierung per E-Mail an theater4@gmx.de

© SZ vom 22.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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