Fürstenfeldbruck:Erinnerungsstücke

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Die Ausstellungsmacher spielen zweifach mit Reminiszenzen. Einerseits gilt das für den Ausstellungsort, andererseits für die gezeigten Fotografien. (Foto: Günther Reger)

Die IG Kultur startet in früherer Bäckerei das gelungene Pop-up-Projekt "Typ 405". Marcinowskis Fotos sind, wie die Backstube, traurige Reminiszenzen. Der Ort bedeutet manchem Gast mehr als die Ausstellung

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Wer sich jüngst auf der Schöngeisinger Straße aufgehalten hat, konnte in der ehemaligen Bäckerei Buchauer einiges beobachten: Da wurden Fenster geputzt und Fliesen geschrubbt, Bilder aufgehängt und Bierbänke auf den Parkplätzen vor dem eigentlich nicht mehr genutzten Gebäude aufgestellt. Wo noch bis eine Stunde vor Eröffnung eine Klappleiter den einstigen Verkaufsraum dominierte, stehen sich später eine provisorisch aus Holzpaletten zusammengeschusterte Bar und ein DJ-Pult gegenüber. Nur knapp ist die IG Kultur mit den Vorbereitungen für das Startwochenende ihres Pop-up-Kunstprojekts "Typ 405" fertig geworden. Nun ist über den Schriftzug einer alten Werbetafel - "Heute: Warmer Leberkäse" - das Programm der ersten Ausstellung geklebt: In den Räumen der geschlossenen Bäckerei waren am Wochenende Arbeiten der beiden Münchner Fotografen Benjamin Kis und Nikolai Marcinowski zu sehen.

Weiter als dabei konnte man als Nicht-Bäcker wohl nie in das seit vergangenem Jahr leer stehende und zum Abriss verdammte Gebäude vordringen. In einigen der ehemaligen Backräume hängen Marcinowskis Still-Life-Fotografien an abgewetzten Wänden auf. Jene Fotos aus der Serie "lost & found" zeigen schmutzige Alltagsobjekte - ein halbes Gebiss, ein kaputtes Uralt-Handy, ein zerfetztes Portemonnaie -, die alle einst im Kanalisationssystem verloren und wiedergefunden wurden. Es sind traurige Bilder von Dingen, die einmal Teil von etwas waren und nun nur noch Reminiszenzen sind.

Diese formen eine gelungene Analogie zu der heruntergekommenen Ex-Bäckerei. "Früher haben wir hier morgens unsere Semmeln geholt", sagt eine Besucherin nicht ohne Wehmut. An einer Wand haben noch Rezeptzettel für Mischbrot und Brezenteig überlebt. In den Schaufenstern erinnern die Haken, an denen die Buchauers ihre im Landkreis bekannte saisonal wechselnde Dekoration anbrachten, an jene Zeit. Das einzige, das sonst noch von der einstigen Nutzung zeugt, ist der Dreck.

Tage- und nächtelang haben die Mitglieder der IG Kultur damit verbracht, diesen zu beseitigen. Mit einem Hochdruckreiniger wurden Böden und Wände bearbeitet, auf denen die Öfen eine dichte Rußschicht hinterließen. "Eine Wand war so voller Fett, dass wir Muskelkater hatten, weil wir sie mit Stahlwolle putzen mussten", sagt Kara. Keine schöne Arbeit und mit Abstand das aufwendigste Projekt der IG Kultur, die meist die sauberen Räume von Haus 10 im Klosterareal nutzt. Ein rechteckiger Bereich ist abgesperrt. Dort hält ein permanent leckendes Rohr den Boden rutschig. Darüber hängen drei Arbeiten aus Benjamin Kis' Reportage-Serie "Fukushima Now": ein verlassener Bau, das Meer, ein abgesperrter Landschaftsabschnitt, alles blass und leblos. So erlebte Kis die verstrahlten Gebiete 2015 bei einer Japanreise. Weiter geht es mit ausgestorbenen Geschäften, Getränkeautomaten am Straßenrand, einem umgekippten Auto in einem verwilderten Vorgarten. "Die verlassenen Orte passen zu diesem Ort hier", erklärt Kara Interessierten. Jener Ort, die Bäckerei Buchauer, bedeutet den Besuchern etwas. Manche reden mehr darüber als über die ausgestellten Fotografien, eine Besucherin hält mit ihrem Smartphone ein Stück des Plastikbodens fest, unter dem die noch älteren Fliesen zum Vorschein kommen. "Hierüber könnte man glatt eine eigene Foto-Reihe machen", sagt ein anderer. Es stimmt. Vielleicht ist das ein neuer Anreiz für die Fotografen, bevor das vor Schmutz und Erinnerungen strotzende Gebäude dem Erdboden gleichgemacht wird.

Am zweiten und letzten Wochenende von "Typ 405" (Samstag/Sonntag, 23./24. Juli) präsentiert das Design-Kollektiv "Only a Few" seine erste Modekollektion "Bricks of the Gutter" (16 bis 24 Uhr).

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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