Fürstenfeldbruck:"Eine ganz andere Welt"

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Die deutsche Wiedervereinigung hat SZ-Karikaturist Guido Zingerl mit einer herzlichen Umarmung zweier höchst ungleicher Gestalten dargestellt. Karikatur: Guido Zingerl (Foto: N/A)

Nach der Wiedervereinigung gibt es als Aufbauhilfe Ost einen regen Austausch mit dem Partnerlandkreis Zeulenroda

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Es war einer der Momente, bei dem sich jeder auch Jahre später noch erinnern kann, wo er war. Als die Nachricht vom Mauerfall im Westfernsehen gebracht wurden, erinnert sich Wilfried Strotmann, war er gerade von einer Schulung in Brüssel zu seiner Familie nach Gröbenzell heimgekehrt. So wie dem späteren Vorsitzenden des Freundeskreises Fürstenfeldbruck-Zeulenroda (später Greiz) ergeht es den meisten: Ein unfassbarer Augenblick prägt sich unwiderruflich ins Gedächtnis ein. Was dagegen den Tag der Deutschen Einheit angeht, der sich am 3. Oktober zum 25. Mal jährt, ist das Datum nicht mehr so einprägsam. Ganz zu schweigen von dem langen "Danach", dem allmählichen Zusammenwachsen des Westens mit dem Osten. Im Landkreis gab es damals viel Unterstützung, eine Partnerschaft mit dem thüringischen Kreis Zeulenroda wurde ins Leben gerufen und ein reger Austausch begann, der zum Teil noch bis heute anhält.

Schon im Sommer 1989 kam mit den DDR-Bürgern, die die deutsche Botschaft in Prag besetzten, sowie der Öffnung der ungarischen Grenzen Bewegung in die menschenunwürdige Aufteilung Europas durch den Eisernen Vorhang: Tausende DDR-Bürger gelangten in Sonderzügen und über Österreich nach Deutschland. Auch im Landkreis kamen einige an. Laut einem SZ-Bericht vom 26. September 1989 - also noch mehr als einen Monat vor dem Mauerfall - hatte das Landratsamt 400 Aus- oder Übersiedler auf die Warteliste für eine Sozialwohnung gesetzt.

Es war eine Zeit, in der auch im Westen

für eine kurze Phase Trabbis auf den Straßen fuhren. Und sich die Ostdeutschen plötzlich an der westlichen Glitzerwelt des Konsums berauschten. Da die deutsche Wiedervereinigung kein Zusammenwachsen zweier gleichberechtigter Staaten war, sondern die DDR in der Bundesrepublik aufging und von ihr außer dem Ampelmännchen und den Kinderkrippen praktisch nichts übrig blieb, musste freilich auch das westliche Verwaltungssystem im Osten übernommen werden.

Da traf es sich gut, dass die Landkreisbewohner bei den Kommunalwahlen 1990 Rosemarie Grützner zur Landrätin wählten. Denn eine gewisse Martina Schweinsburg, seinerzeit Landrätin im thüringischen Zeulenroda, wollte die Kollegin aus dem Westen sofort kennen lernen, als ihr einige lokale Politikerkollegen nach einem Besuch im Landkreis Fürstenfeldbruck von ihr erzählten. Schweinsburgs Brief an Grützner landete bei Reinhold Moser, der damals das Hauptamt der Kreisbehörde leitete. Seine Chefin sei von der ersten Sekunde an begeistert gewesen, erzählt der heutige Pensionär. "Sofort einladen", habe ihm die Landrätin aufgetragen. Und so die Partnerschaft zwischen den Landkreisen Fürstenfeldbruck und Zeulenroda ins Rollen gebracht.

"Der Landkreis hat die Verwaltung damals sehr unterstützt", erinnert sich Moser, der bald zum Koordinator der 1991 besiegelten Partnerschaft wurde. Es habe regelmäßig Besuche von Verwaltungskräften aus der ehemaligen DDR in Bruck gegeben, "um uns in der Verwaltung über die Finger zu schauen". In der Regel sei so eine Delegation, "ein Auto voll", eine Woche lang geblieben. Ende 1991 hatten 25 Mitarbeiter aus Zeulenroda die Brucker Kreisbehörde besucht. Auch Mitarbeiter wie Politiker aus Fürstenfeldbruck besuchten bald den Partnerlandkreis. Im Jahresbericht 1991 heißt es dazu: "Dabei konnten sich die Teilnehmer über die vielfältigen Probleme, vom Umweltschutz über die mangelnde Struktur bis hin zur Arbeitslosigkeit, informieren." Moser spricht von "einer ganz anderen Welt". Die DDR-Bürger hätten beispielsweise keine Möglichkeit gehabt, rechtlich gegen Verwaltungsakte der Behörden vorzugehen.

Parallel zur offiziellen Partnerschaft entstand 1993 der Freundeskreis Fürstenfeldbruck-Zeulenroda, in Bruck zunächst unter dem Einfluss des inzwischen verstorbenen Mittelständlers Hubert Grasser. Hier wurde vor allen Dingen wirtschaftlicher Austausch betrieben, Kontakte geknüpft, wie Moser und Grasser-Nachfolger Strotmann wissen. Im Osten wurden 1994 im Zuge der Gebietsreform die Kreise Zeulenroda, Greiz und Gera zum Landkreis Greiz zusammengelegt. Partnerschaft und Freundeskreis bestanden weiter. Wobei der Austausch zur Mitarbeiterschulung Moser zufolge etwa 1994 eingestellt wurde. Dafür gibt es immer noch wechselseitige Besuche, etwa der Auszubildenden der Kreisbehörden. Der Freundeskreis ruht Strotmann zufolge seit ein paar Jahren, inoffizielle Besuche finden aber noch statt.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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