Fürstenfeldbruck:Die Verwandlung

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Vor dem verhüllten Haus (von links): Saskia Uhlig und Alexa Zierl von Ziel 21, Wolfgang und Dörte Thiel, Claus Reitberger und Anja Wendler. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Aus der Siebzigerjahre-Doppelhaushälfte der Familie Thiel wird das "Brucker Musterhaus", das sogar die Vorschriften für einen Neubau deutlich unterschreitet. Die Kreisstadt erhofft sich von dem Modellprojekt eine Signalwirkung

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Aus dem Altbau wird ein Leuchtturmprojekt, das sogar die Vorschriften für einen Neubau um 30 Prozent unterschreitet: Im Stadtteil Buchenau entsteht zurzeit das "Brucker Musterhaus". Ein von der Kreisstadt beauftragter Energieberater hat bei diesem bislang einzigartigen Modellprojekt ein umfassendes Konzept für die energetische Sanierung ausgearbeitet. Die Bauherren werden in aufwendigere Maßnahmen investieren, als sie dies ursprünglich vorhatten. Gleichwohl geht die Rechnung nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch auf. Denn durch die fachmännische Beratung ist gewährleistet, dass Aufwand und Ertrag ins Lot gebracht werden und staatliche sowie kommunale Zuschüsse fließen.

Am Montag stehen Dörte und Wolfgang Thiel vor dem Altbau, den sie im März gekauft haben. Von der Doppelhaushälfte ist hinter der hohen Hecke nicht viel zu sehen. Denn die Verwandlung vollzieht sich im Verborgenen, hinter halbtransparenten Planen, die Fassadenarbeiten auch im Winter ermöglichen und an denen Verpackungskünstler Christo wohl seine Freude haben würde. Die Thiels sind bester Laune. Zwar liegen sie mit der Renovierung etwas hinterm Zeitplan. Aber im Februar oder März werden sie wohl aus der engen Mietwohnung in die dann frisch renovierte Doppelhaushälfte einziehen. Dann bekommen die Kinder Johannes, Benedikt, und Marlena ein eigenes Zimmer. Bis dahin ist es freilich noch ein langer Weg. Der 43 Jahre alte Wolfgang Thiel ist Wissenschaftler im Bereich der Sicherheitsforschung und kein Bauspezialist. Jeden Tag vor der Fahrt nach München schaut er dennoch auf der Baustelle vorbei. Aus gutem Grund habe er sich für regionale Firmen entscheiden - nicht nur der Preis, sondern auch die Zuverlässigkeit waren ihm wichtig.

Wie das Haus am Pögelschlag aussah, bevor es verhüllt wurde, ist im Rathausreport zu sehen, in dem das Projekt "Brucker Musterhaus" vorgestellt wurde. Das Foto zeigt ein Gebäude, das den Charme der späten Siebzigerjahre versprüht: Fenster mit Holzrahmen, ein Balkon mit Holzgeländer. Dass man da nicht einfach so einziehen konnte, das habe man gewusst, sagt die 38-jährige Dörte Thiel. Dennoch habe man fast "die Katze im Sack gekauft", räumt Wolfgang Thiel ein. So etwas wie eine Wundertüte. Denn was genau gemacht werden musste, konnten sie damals noch nicht abschätzen. Vom Projekt "Brucker Musterhaus" erfuhr Dörte Thiel dann von einer Freundin. Dieses hatte die städtische Klimaschutzbeauftragte Anja Wendler ausgetüftelt, um einen Stein ins Rollen zu bringen - denn in der Kreisstadt gibt es viele solcher Häuser mit ähnlichem Sanierungsbedarf. Vor allem wenn ohnehin renoviert werden muss, lohnt es sich, gleich dickere Bretter zu bohren. Wie energetisches Sanieren funktioniert und welche Fördertöpfe es gibt, erfahren Bauherren auch bei der kostenlosen Erstberatung von der Stadt.

Dicke Bretter bohren nun also auch die Thiels, die sich gegen 20 Mitbewerber durchsetzen konnten. Ihr Sanierungsbudget von 180 000 Euro werden sie zwar möglicherweise überschreiten. Dafür, so hat es ihnen der von der Stadt vermittelte Energieberater und Architekt Claus Reitberger aus Bruck in Aussicht gestellt, können sie aber mit bis zu 30 000 Euro staatlicher oder kommunaler Zuschüsse rechnen. In 15 Jahren dürfte sich die ganze Sanierung durch den niedrigen Energiebedarf amortisierst haben, bereits viel früher gesichert sind ein höherer Immobilienwert und ein Wohlfühlklima bei kalten oder heißen Außentemperaturen. Auch für Reitberger, der bei diesem Modellprojekt nichts für seine Leistungen berechnet, ist es spannend, über die passgenaue Ausarbeitung des Konzepts hinaus den Werdegang zu verfolgen. Um aus dem Altbau von 1977 ein sogenanntes KfW-70 Haus zu machen, wurde es bereits fast in den Rohbauzustand zurückversetzt und entkernt. Seit August wurden die Fenster ausgetauscht und das Dach wurde mit einer von vier auf 25 Zentimeter gewachsenen Isolierschicht aufgerüstet. Die neue thermische Solaranlage unterstützt den Gasbrennwertkessel. Die Fassade wird in einen 18 Zentimeter dicken Vollwärmeschutzmantel aus Mineralwolle gepackt, unter dem dann auch die Rohre der Raumlüftung verschwinden.

Eine Reminiszenz an konventionelle Heiztechnik hat dennoch im Wohnzimmer ihren Platz: ein Kachelofen. Doch auch der ist kein "normaler" Ofen, sondern an das Heizungssystem angeschlossen. Schließlich ist das Haus der Thiels auch kein normales Haus, sondern ein Musterhaus.

Das Sanierungskonzept des Musterhauses findet sich unter fuerstenfeldbruck.de und wird bei den Brucker Energietagen am 19. und 20. März in Fürstenfeld erläutert. Eine Liste qualifizierter Berater gibt es unter www.energie-effizienz-experten.de. Der Stadtrat spricht an diesem Dienstag von 19.15 Uhr an über weitere Klimaschutzmaßnahmen.

© SZ vom 24.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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