Fürstenfeldbruck:Die Unsicherheit besiegt

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Daumen nach oben: Isaak (rechts) hat seinen Vater, was das Deutschsprechen angeht, längst überholt. (Foto: David Kem)

Ernest und Isaak tun alles, um sich schnell zu integrieren

Von Sibylle Nagler

Wenn das runde schwarze Gesicht mit den frechen Augen an der Tür zum Wohncontainer auftaucht, kommt einem unwillkürlich "Jim Knopf" in den Sinn, der Waisenjunge aus dem Buch von Michel Ende. Aber der Neunjährige ist keine Romanfigur, sondern ein nigerianisches Flüchtlingskind. "Guten Tag, wie geht es dir?", fragt er verschmitzt. Die ersten deutschen Sätze aus dem Sprachkurs sprudeln jetzt wie von selbst aus seinem Mund. Anders als noch vor Monaten ist Isaak jetzt nicht mehr unsicher, sondern zeigt Kontaktfreude und Witz. Ein paar Tage nach seiner Ankunft im Januar in Gröbenzell wurde er in die dritte Klasse eingeschult und musste einfach mithalten. Eine Übergangsklasse für Flüchtlinge gibt es in Gröbenzell nicht, nur täglich zwei Stunden Deutsch vor dem Regelunterricht. Daher hat sich Isaak anfangs sehr schwer getan, kam mit den anderen Schülern nicht klar. Es ärgerte ihn, dass er sich nicht verständlich machen konnte. Und mit seiner Hautfarbe fiel er immer gleich auf. Das schuf Unsicherheit - auf beiden Seiten.

Seit Februar kommt mehrmals in der Woche Kurt Behrens, ein pensionierter Gymnasiallehrer, und geht mit Isaak die Hausaufgaben durch, paukt deutsche Vokabeln. "Er konnte sich anfangs kaum eine halbe Stunde konzentrieren." Herausgerissen aus seiner gewohnten Umgebung und fern von seinen Freunden in Italien, wo er aufgewachsen ist, teilt er sich im Container mit seinem Vater ein 15 Quadratmeter großes Zimmer. "Hier fällt es schwer, Ordnung zu halten. Ein Tisch dient zur Essensvorbereitung, zum Essen, dann zum Hausaufgabenmachen. Eine Rückzugsmöglichkeit gibt es nicht", erklärt der engagierte Pädagoge, der einige auch erwachsene Nachhilfeschüler betreut. Zum Ausgleich für das strenge Lernprogramm haben die Asylpaten Isaak beim Fußball angemeldet. Die aufgeschlossenen Trainer vom SC Gröbenzell haben inzwischen eine international durchgemischte Jugendmannschaft. Die Fußballsprache ist einfach und überwindet die Grenzen von Kontinenten. Und körperliche Herausforderung ist wie Therapie für seelisch belastete Kinder.

Weil Isaaks Vater Ernest sich in Deutschland vor allem Möglichkeiten für seinen Sohn erhoffte, verließ er spontan Süditalien, wo die Versorgung für Flüchtlingskinder auch von deutschen Behörden als eher ungenügend eingestuft wird. Seine Hoffnungen haben sich bisher bewahrheitet. Der gelernte Automechaniker aus Benin City in Nigeria, der Englisch und Italienisch spricht, bekam selbst vor zwei Monaten durch die Vermittlung seiner Asylpatin einen Aushilfsjob in der Lackiererei beim einem Kfz-Betrieb in Gröbenzell. Auf die Arbeitserlaubnis musste er einige Wochen warten, denn zunächst prüfte das Arbeitsamt, ob es nicht einen deutschen Bewerber für diesen Job gibt.

"Ich habe nicht wirklich viel Arbeit für ihn, aber ich geb' ihm eine Chance", sagte der Chef Raffaele Sepe beim Vorstellungsgespräch. "Ich habe ein gutes Gefühl." Das hat ihn nicht getrogen. Ernest macht sich gut. "Er ist gewissenhaft und verbreitet gute Stimmung in der Werkstatt", erzählt er heute. Der große schlanke Nigerianer mit den lachenden Augen ist stolz. Seine Bezahlung wird ihm auf seine staatliche Unterstützung angerechnet, aber das ist für Ernest ok. Wichtiger ist es für ihn, in der Lackiererei zu lernen und dann ein gutes Arbeitszeugnis zu bekommen. Nur mit der deutschen Sprache hapert es noch, bei Sepe kann er italienisch und englisch reden. Im Wohncontainer ebenfalls. Aber er weiß, dass das anders werden muss. Auch seinem Sohn zuliebe.

Der hat ihn sprachlich längst überholt. Die Abiturientin Katharina Breinbauer hat dazu viel beigetragen: Als Lernhelferin setzte sie sich dafür ein, dass Isaak nachmittags in den Hort gehen kann, wo er Deutsch sprechen kann. Inzwischen kann Isaak auch Radfahren und hat ein eigenes gebrauchtes Bike, sodass er sich selbständig in Gröbenzell bewegen kann. Sechs Wochen vor dem Schuljahresabschluss ging die Waldorfschülerin im Rahmen ihres Sozialpraktikums als Lernhelferin sogar mit Isaak in die Schule. "Isaaks Zeugnis ist noch nicht wirklich gut ausgefallen", sagt Kurt Behrens, der mit seinem kleinen Paten auch schwimmt und Ausflüge macht, "aber es macht viel Hoffnung, dass das nächste Schuljahr leichter wird."

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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