Fürstenfeldbruck:Die Kaserne als Pulverfass

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Beinahe regelmäßig kommt es in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zu Großeinsätzen der Polizei, wie hier am 4. Oktober. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Traumata, Enge und Perspektivlosigkeit erzeugen Frust und Aggressionen unter Flüchtlingen in der Unterkunft am Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst. Integrationsexperten sehen die schiere Größe als Problem

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die jüngsten Auseinandersetzungen in der Flüchtlingsunterkunft am Fliegerhorst haben die Warnungen von Experten vor der explosiven Stimmung erneut bestätigt. Dort sind hunderte ohne Perspektive monatelang zusammengepfercht, vielen droht eine Abschiebung. "Die Beengtheit, die Perspektivlosigkeit, vor allem die schiere Größe, sind katastrophal", sagt Willi Dräxler (BBV), Integrationsreferent des Stadtrates. "Die meisten sind moralisch und psychisch am Boden, manche haben resigniert, andere reagieren aggressiv", sagt Jeanne-Marie Sindani, Asylberaterin der Caritas und Mitglied im CSU-Kreisvorstand.

Vor einer Woche waren Asylbewerber mit Sicherheitspersonal und Polizei aneinandergeraten, wobei nach Angaben Dräxlers die Ursache unklar ist. Auslöser könnte eine Abschiebung gewesen sein, allerdings fänden diese normalerweise mitten in der Nacht statt. Eine andere Version besagt, dass bei einer Zimmerkontrolle Kochplatten entdeckt und beschlagnahmt werden sollten, erzählte der Stadtrat. In jedem Fall solidarisierten sich andere Flüchtlinge mit den Betroffenen.

Nach dem Vorfall hieß es, die Regierung solle die Vereinbarung mit der Stadt umsetzen. Die sieht unter anderem eine "heterogene" Zusammensetzung vor. Anfang Oktober lebten etwa 970 Menschen in der Unterkunft, von denen an die 910 aus Nigeria stammen, die anderen aus Ländern wie Afghanistan, Jemen oder Syrien, teilte eine Sprecherin der Regierung mit. Soweit möglich strebe man zwar in allen Ankerzentren und Dependancen eine gemischte Belegung an, allerdings würden Nigerianer auch anderswo überwiegen. Das liegt daran, dass das Bundesamt für Migration einzelnen Gebieten bestimmte Nationalitäten zuweise, erklärt Dräxler. Nordafrikaner würden vorzugsweise in Nordrhein-Westfalen und Nigerianer eben in Oberbayern untergebracht. Das sei verwaltungstechnisch einfacher und billiger, weil man weniger Dolmetscher brauche und gleiches Essen austeilen könne. Anfangs hatte es seitens der Behörden auch geheißen, durch homogene Gruppen könnte man Konflikte vermeiden. "Ich war immer schon dagegen, weil sich Blöcke bilden. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft und es ist wichtig, dass sich Flüchtlinge von Anfang an damit auseinandersetzen", sagt Dräxler. Ob eine andere Mischung weniger Konfliktstoff bietet, ist zweifelhaft. Zwischenmenschliche Konflikte könnten sich aus ganz unterschiedlichen Gründen entwickeln, sagte die Sprecherin der Regierung. Dräxler verweist darauf, dass Syrer, Iraker oder Nigerianer keineswegs homogene Gruppen sind, sondern die Leute sich etwa verschiedenen Religionen oder ethnischen Gruppen zurechnen.

Die entscheidenden Probleme sehen Dräxler wie Sindani woanders. Zunächst einmal sind viele der Flüchtlinge traumatisiert. Eine Bleibeperspektive haben die meisten Afrikaner nicht, sie dürfen auch nicht arbeiten, was die Motivation senkt, die Sprache zu lernen, und den Frust immer weiter schürt, wie Sindani berichtet. "Das sind junge Leute, voller Energie, zehn oder elf in einen Raum gepfercht, manche haben resigniert, einige sind unberechenbar, manche reagieren aggressiv."

Ein zentraler Kritikpunkt ist die schiere Größe der Einrichtung. Kleine Unterkünfte würden aufgelöst, um Kosten zu sparen, dafür geben die Behörden in großen Lagern mehr Geld für Sicherheitspersonal aus, weil die soziale Kontrolle ausfällt, sagt Dräxler. Und manche würden schon bis zu zwei Jahre lang am Fliegerhorst festsitzen. Die meisten Nigerianerinnen seien Menschenhandel und Zwangsprostitution ausgesetzt gewesen, sagt Dräxler. Aufgrund der Dublin-Abkommen würden sie nach Italien abgeschoben. "Das ist grausam, weil sie dort auf der Straße stehen und Zuhältern ausgeliefert sind."

© SZ vom 24.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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