Fürstenfeldbruck:Die Hälfte des Himmels

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55 fotografische Porträts von Frauen sind zu sehen - alle sind zwischen 15 und 92 Jahre alt, unterschiedlicher Herkunft und wohnen in Deutschland. (Foto: oh)

Im Landratsamt sind die Lebensgeschichten von 99 Frauen zu sehen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Worauf sind Sie stolz in Ihrem Leben? Annette Schiffmann hat diese Frage 99 Frauen gestellt, als Einstieg zu Gesprächen, die sich, geleitet von vier weiteren Fragen, um das Erleben der Frauen als Frauen drehen. Bei den Antworten hätten sich anrührende Szenen ergeben, erzählt Schiffmann. Viele ältere Frauen hätten angegeben, danach überhaupt noch nie gefragt worden zu sein. Es sind ganz persönliche Statements geworden, die Annette Schiffmann ihren Gesprächspartnerinnen entlockt hat. Entstanden sind Kurzporträts, in denen die Frauen ganz unterschiedlich auf die fünf gleichen Fragen antworten. Die Porträtierten werden dabei nicht auf einen bestimmten Aspekt ihrer Lebensgeschichte festgelegt. "Ich wollte keine Opferausstellung machen", sagt Schiffmann - und dennoch geht es in der Ausstellung und in den Antworten der Frauen auch um Gewalt.

Die Fotoporträts von Frauen zwischen 15 und 92 Jahren, die für die Ausstellung "Die Hälfte des Himmels - 99 Frauen und Du" entstanden sind, sind derzeit auf der Galerie im ersten Stock des Landratsamtes Fürstenfeldbruck zu sehen. Die Ausstellung ist ein Beitrag zum 30-jährigen Bestehen der Gleichstellungsstelle des Landkreises. Die porträtierten Frauen kommen aus allen Schichten, sie arbeiten als Ärztinnen und Ordensschwestern, sie sind Rentnerinnen oder studieren. 29 von ihnen haben einen akademischen Beruf, 33 sind Hausfrauen, neun arbeitslos. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, haben teilweise Migrationshintergrund. 52 haben Kinder, 18 leben allein, zwölf lieben Frauen. Alle leben in Deutschland.

Die Interviews, die die 62 Jahre alte Kuratorin, PR-Beraterin und Fotografin Annette Schiffmann aus Heidelberg mit den Frauen führte, können Besucher über Audio-Guides hören. Sie wollte von den Frauen auch wissen, was ihnen an ihrem Frausein gefalle und was sie als nachteilig empfinden, ob sie jemals mit Gewalt in Berührung gekommen seien und welche drei Wünsche in Erfüllung gehen müssten, "damit unsere Kinder ohne Angst und in Würde groß werden können". Die Zeit, in der sie die 99 Interviews führte, sei "die erschütterndste, aber auch beflügelndste" ihres Lebens gewesen, erzählt Schiffmann den überwiegend weiblichen Besuchern, die zum Festakt der Gleichstellungsstelle ins Landratsamt gekommen waren. Sie sei beeindruckt gewesen "von der Offenheit, die mir diese Frauen entgegen brachten".

Denn die Frauen, die Gewalt erlebten, äußerten dies auch. Wie die 87 Jahre alte Marie, die bekannte, von der Mutter geschlagen worden zu sein: "Sie hat mich geschlagen, weil ich gelesen habe. Ich sollte doch nur Hausarbeit machen." 19 der 99 Frauen kamen niemals mit Gewalt in Berührung. 23 von ihnen erlebten eine Vergewaltigung. 14 wurden als Kind sexuell missbraucht, zwölf wurden im Kindesalter oder in späteren Lebensjahren schwer geprügelt, eine Frau wurde von elf Polizisten bewusstlos getreten, eine überlebte eine Ehrenmordanschlag. Zwei Frauen wurden als Mädchen an den Genitalien verstümmelt, neun Frauen verloren Angehörige und Freunde in Kriegen in Somalia, Äthiopien, Eritrea, Kolumbien, Afghanistan, Gaza, Deutschland. 81 der 99 Frauen gerieten einmal oder mehrmals in eine Lage, in der sie Angst vor einem sexuellen Übergriff hatten. 26 von ihnen verbrachten insgesamt 4600 Stunden in Psychotherapie und gaben dafür mehr als 35 000 Euro aus. 17 leiden noch immer unter Schlaflosigkeit und Albträumen.

"Ich wollte der Statistik ein Gesicht geben", sagt Schiffmann, als sie ihre Ausstellung bei der Feierstunde vorstellt. Die Heidelbergerin war vor acht Jahren vom dortigen Frauennotruf gebeten worden, ein Plakat zu gestalten. Sie habe dafür "nicht eine Litanei von Grausamkeiten aufzählen" wollen, sondern "es sollte etwas Schönes entstehen". Deshalb zeige die Ausstellung auch keine Opfer, sondern "wir zeigen uns selbst". Damit das auch die Besucherinnen und Besucher tun können, ist das 100. Exponat ein Spiegel.

"Die Hälfte des Himmels - 99 Frauen und Du". Ausstellung mit 55 Fotoporträts und 99 Hörinterviews, Landratsamt Fürstenfeldbruck, Galerie. Bis 27. Oktober, während der Öffnungszeiten. Audio-Guides können in Zimmer B 009 im Erdgeschoss und ab 14 Uhr an der Theke im Bürgerservicezentrum abgeholt werden.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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