Fürstenfeldbruck:Der Notfall als Dauerzustand

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Die Belegung einer Schulturnhalle mit Asylbewerbern markiert einen Wendepunkt in der Flüchtlingspolitik. Da weiterhin Quartiere fehlen, geht es um mehr als die Überbrückung der Sommermonate

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Schon in den vergangenen zwei Jahren war es eine große Herausforderung, Flüchtlinge im Landkreis unterzubringen. Trotzdem bestimmt bisher eine wohlwollende Willkommenskultur den Umgang mit den Fremden und die öffentlichen Diskussionen dazu. Diese Haltung entspricht dem Grundkonsens aller politischen Gruppierungen im Kreistag und in den Stadt- und Gemeinderäten im Landkreis, Asylbewerber menschenwürdig zu behandeln. Diese Politik wird in diesem Sommer auf eine Bewährungsprobe gestellt. Der Notfall, also die Tatsache, dass dem Landratsamt Flüchtlinge zugewiesen werden, für die es keine Betten mehr gibt, kann für die Zeit bis zum Ende der Sommerferien ein Dauerzustand werden. Festmachen lässt sich das an der Belegung der Maisacher Einfachturnhalle Ende Juni - zuerst mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und nun mit Erwachsenen.

Noch geht es nur darum, den Sommer zu überbrücken, wie Ines Roellecke, Pressesprecherin und persönliche Referentin von Landrat Thomas Karmasin (CSU), feststellt. Aber in ihrem Satz "Jetzt wir es eng für uns" schwingt mit, welche Dramatik in der Entwicklung steckt. Das Ausländeramt, das die Flüchtlinge unterbringt, arbeitet am Limit. Es gibt zwar keine Urlaubssperre, aber Urlaub sollte dort im Moment niemand nehmen. Die Nachricht, dass eine von Schulen und Vereinen in seiner Gemeinde genutzte Turnhalle noch bis zum Ende der Sommerferien mit Flüchtlingen belegt werden soll, ohne dass ihm jemand sagen kann, ob dort zum Beginn des neuen Schuljahres wieder Sportunterricht erteilt werden kann, habe ihn "schockiert", bekennt der Maisacher Bürgermeister Hans Seidl (CSU). "Wenn das zu einer dauerhaften Maßnahme wird, hinterlässt das in der Bevölkerung Spuren", ergänzt der Bürgermeister. Das könne er nicht akzeptieren, weil die Stimmung nachhaltig schlechter werde.

Wie in Maisach sollen nach dem Willen des Landrats wohl bald alle Turnhallen im Landkreis mit Flüchtlingen belegt werden. (Foto: Günther Reger)

Die Turnhalle kann also das Meinungsbild verändern. Das befürchtet zumindest der Rathauschef. Er weist damit auf die Ambivalenz hin, die in der Flüchtlingsfrage steckt. Als Bürgermeister müsse er, beteuert Seidl, sowohl die Not der Flüchtlinge im Auge haben als auch die Nöte der eigenen Bevölkerung und deren Bedürfnisse. Zudem sei es eine Aufgabe der Politik, zu erkennen, wie sich die Dinge entwickeln, und gegenzusteuern.

Wie sich das Problem, Flüchtlinge im Landkreis aufzunehmen entwickelt, das zeigen die ständig revidierten Prognosen des Landratsamtes. Im vergangenen Jahr ging man dort noch davon aus, bis Ende 2015 bis zu 2000 Asylbewerber unterbringen zu müssen. Seit einiger Zeit wird von bis zu 3000 gesprochen, aber auch das muss noch nicht die Obergrenze sein. Nach dem Stand vom 7. Juli leben im Landkreis zurzeit 1579 Flüchtlinge. Das heißt, deren Zahl könnte sich bis zum Jahresende nahezu verdoppeln.

Dabei befindet sich Thomas Karmasin im Vergleich zu anderen Landräten sogar noch in einer relativ guten Position. Das hat er einem Glücksfall zu verdanken. Die Bundeswehrspitze hatte den Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck bereits vor dem endgültigen Abzug der Luftwaffe für eine Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung von Oberbayern geöffnet. In einem abgegrenzten Bereich der Kaserne leben momentan 600 Asylbewerber und nochmals weitere 100 in einer weiteren Dependance in einem Trakt des Don-Bosco-Seniorenheims der Caritas in Germering, die auf das Flüchtlingskontingent des Landkreises angerechnet werden. Das bedeutet letztlich, dass Karmasin ohne diese beiden Einrichtungen nach Quartieren für weitere 700 Menschen hätte suchen müsste. Die hätte es nur gegeben, wenn mehrere Schulturnhallen und öffentliche Gebäude beschlagnahmt worden wären.

Das Flüchtlingsheim am Starnberger Weg in Germering soll erweitert werden. (Foto: Johannes Simon)

Zwangsmaßnahmen wie die Beschlagnahme von Gebäuden vermeiden Politiker tunlichst. Karmasin machte bisher nur ein einziges Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das war im Oktober 2014 der Fall. Damals waren die Bauarbeiten für die Erstaufnahmeeinrichtung im Fliegerhorst noch nicht abgeschlossen und der Landrat ermöglichte es der Regierung hundert Flüchtlingen, die in die Kaserne sollten, für eine Übergangszeit das leer stehende Gebäude der alten Grundschule am Niederbronner Weg in Fürstenfeldbruck zu belegen. Und die Beschlagnahme war auch keine richtige, weil einvernehmlich mit der Stadtverwaltung abgesprochen. Der Schritt war nur ein dem unzureichenden Brandschutz geschuldeter juristischer Trick. Wurde beschlagnahmt, haftete die Stadt nicht mehr beim Ausbruch eines Brandes.

Glück hatte der Landrat noch in einem zweiten Punkt. Er konnte die Bürgermeister überzeugen, die Flüchtlinge gerecht und gleichmäßig nach einer Quote über alle 23 Städte und Kommunen zu verteilen. Bisher hält dieser Konsens. Kommen in den nächsten fünf Monaten zu den 879 Asylbewerbern, für deren Unterbringung der Landkreis zuständig ist, weitere 600 hinzu, dürfte das manchem Bürgermeister und Kommunalpolitiker schlaflose Nächte bereiten.

Roellecke hält es für realistisch, dass dem Landkreis bis Jahresende pro Monat hundert oder mehr zusätzliche Flüchtlinge zugewiesen werden. "Wir sind gespannt", sagt sie, um zu ergänzen: "Vielleicht bewahrheitet sich das nicht." Und die Landratsamtssprecherin hofft auch, dass bis zum Herbst weitere Objekte bezugsfertig sind. Dazu zählen Quartiere in der Stadt Puchheim mit insgesamt 160 Plätzen. Das Don-Bosco-Heim in Germering soll bis dahin den Status einer Notunterkunft verlieren und in eine normale Gemeinschaftsunterkunft der Regierung umgewandelt werden. Dort sollen dann wohl doppelt so viele Asylbewerber leben wie zurzeit, nämlich bis zu 200. Zudem plant die Regierung, die Unterkunft am Starnberger Weg in Germering zu erweitern. Dort leben zurzeit etwa 60 Asylbewerber. Dieses Flüchtlingsquartier war vor einem Jahr wegen eines Brandes in die Schlagzeilen gekommen. Allerdings konnte die Brandursache nicht geklärt werden.

Während man sich im Landratsamt über jedes angebotene neue Mietobjekt freut, beschäftigt den Maisacher Bürgermeister eine andere Frage. Seidl fordert, nicht mehr länger nur auf das Flüchtlingsproblem zu reagieren, sondern Konzepte zu entwickeln, um die Völkerwanderung nach Deutschland einzudämmen. "Mir ist der örtliche Friede wichtig", sagt er und fordert eine neue Einwanderungspolitik.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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