Fürstenfeldbruck:Der Mann mit dem Wohnturm auf Rädern

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Harald Günther Straaß ist obdachlos und übernachtet in einem Autoanhänger mit einem Aufbau aus Holz und Planen. Leute beschweren sich, Jugendliche ärgern ihn, die Polizei kratzt die Zulassungsplakette ab, mit den Behörden liegt er im Dauerclinch. Nun schläft er wieder im Freien

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Ein bisschen klingt die Geschichte nach Hauptmann von Köpenick: ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung. Im Fall von Harald Günther Straaß heißt es: ohne Meldeadresse keine Zulassung für seinen Autoanhänger. In eine Uniform schlüpfen und ins Rathaus stürmen, wie Heinz Rühmann im gleichnamigen Film von 1956, kann Straaß aber nicht. Erstens kennt er sich mit Schauspielerei nicht aus. Zweitens hat er im Brucker Rathaus Hausverbot, weil er dort am Mittwoch aus Frust ordentlich die Türen zugeschlagen und dann auch noch einem Beamten eine Ohrfeige verpasst hat.

Harald Günther Straaß demontierte am Mittwoch den Aufbau. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Harald Günther Straaß ist 63 Jahre alt. Er ist ein Beispiel dafür, wie man aus der Bahn eines bürgerlichen Lebens geworfen werden kann und ganz unten landet. Dass er selbst seinen Teil dazu beigetragen hat, das dürfte ihm bewusst sein.

Als er nach der Auseinandersetzung dem Brucker Bürgerbüro den Rücken kehrt, kommt ihm bereits ein Streifenwagen entgegen. "Das wird wohl eine Anzeige geben", sinniert er. Der Mann, der sich selbst als "nur bedingt angepasster Mitbürger" einstuft, räumt unumwunden ein, dass ihm manchmal der Kragen so platzt, wie er einem nicht platzen darf. Und schon gar nicht, wenn man darauf angewiesen ist, dass einem Behörden Türen öffnen, wo eigentlich keine vorgesehen sind: die Behörde habe die von ihm angegebene Adresse der Obdachlosenunterkunft nicht als Meldeadresse akzeptieren wollen. Die aber brauche er, um seinen Anhänger wieder zuzulassen. Eine halbe Stunde später hat sich Straaß schon wieder beruhigt.

Auf dem Mobiltelefon hat er ein Foto seines Anhängers gespeichert. So wie er bis vor ein paar Tagen ausgesehen hat. (Foto: Stefan Salger/oh)

Ordentlich und sauber ist er gekleidet. Mit seiner Hornbrille unter dem kurzen grauen Haar und der Strickjacke wirkt er eher wie ein pensionierter Akademiker. So viel hätte gar nicht gefehlt dazu. Nach dem Abitur an einem Starnberger Gymnasium studierte er ein paar Semester Elektrotechnik. Er widmete sich dann aber lieber dem Orgelspielen, dem Kirchenorgelbau und dem Erfinden - auch wenn sich das als eher brotlose Kunst herausstellte. Nach der Scheidung flog er 2015 aus seiner Münchner Wohnung. Seitdem zieht er umher, lebt mal auf dem Zeltplatz in Obermenzing, mal in den Notunterkünften von Olching oder Gröbenzell. Ein Dreivierteljahr, bis zum Oktober 2017, wohnt er in der Brucker Obdachlosenunterkunft, dem sogenannten Hotel am Horst.

Irgendwann kommt ihm die Idee mit dem Anhänger, der ihm persönliche Freiheit und gleichzeitig ein Dach über dem Kopf bringen soll. Straaß arbeitet bis zu 48 Stunden im Monat in einer Gärtnerei - als Packhelfer oder Hilfskraft fürs Unkrautjäten. Seinen Lohn investierte er in einen Autoanhänger, den er sich im Mai bei einem Brucker Baumarkt für 469 Euro kauft und ordnungsgemäß bei der Zulassungsstelle anmeldet. Mit Holzlatten und Planen baut er sich auf 1,10 auf 1,30 Meter sein eigenes Miniwohnmobil - fast vier Meter hoch. Oben schläft er nachts oder in der Mittagspause - diagonal kann er sich fast ausstrecken. Die Wärme steigt nach oben, deshalb macht ihm Kälte nichts aus. Vom Parkplatz auf dem Baumarkt wird er einen Monat später von der Chefin wegkomplimentiert. Der Abschied fällt ihm nicht schwer, denn immer wieder haben sich Jugendliche einen Spaß daraus gemacht, nachts mit einem aufgedrehten Gettoblaster vorbeizulaufen oder an der Plane zu rütteln. Straaß zieht weiter. Und im wörtlichen Sinn: Er zieht seinen Anhänger zum Friedhofsparkplatz, später ins Gebiet nördlich der Bundesstraße 2 - von einer Nebenstraße in die nächste. Irgendwann beschweren sich Anwohner über ihn, und er bekommt Besuch von Mitarbeitern des städtischen Ordnungsamts. Um den Anhänger herum werden plötzlich Halteverbotsschilder aufgestellt. Ein andermal sperrt er seinen Anhänger an einen Metallbügel vor einem Baustoffhandel - und findet ihn später mit aufgebrochenen Schlössern ein paar Hundert Meter entfernt wieder. Schließlich kratzt die Polizei die Zulassungsplakette ab, denn der hohe Aufbau auf dem einst offenen und nun 3,80 Meter hohen Pritschenanhänger stellt eine unzulässige Nutzungsänderung dar. Und dann klebt an der Plane ein roter Punkt: Ohne Zulassung darf der Anhänger hier nicht stehen bleiben. Wieder zulassen geht aber schon allein wegen der fehlenden Meldeadresse nicht.

Am Donnerstag demontiert Straaß den Aufbau. Und dann öffnet ihm die Behörde doch eine verborgene Tür. Ins Rathaus darf er zwar nicht mehr. Gleichwohl sei ihm von der Zulassungsstelle signalisiert worden, dass er unter Vorlage einer Versicherungsbestätigung wieder eine Zulassung bekomme. Der Schlafplatz aber ist futsch, in die Notunterkunft der Caritas könne er auch nicht, weil er sein Monatslimit erreicht habe. Jetzt hofft Straaß, dass die Stadt ihm doch bei der Unterkunftssuche hilft. Das Problem: Ohne Meldeadresse keine Wohnung. Die Nacht auf den Freitag schläft er im Freien unter Styroporplatten. "Mäßig lustig", sagt der 63-Jährige.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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