Fürstenfeldbruck:Den ersten Schock auffangen

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Seit 20 Jahren gibt es den Kriseninterventionsdienst im Landkreis. Drei Helfer berichten

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Es gibt Einsätze, die man nie mehr vergisst. In den 20 Jahren, die es den Kriseninterventionsdienst im Landkreis gibt, sind einige davon zusammengekommen, darüber sind sich Fachdienstleiter Willi Gleixner und sein Stellvertreter Jürgen Skrypczak einig. Dieses eine Mal etwa, als Skrypczak zu einer laufenden Reanimation gerufen wurde. "Man hat auf dem Weg zum Einsatz ein Bild im Kopf, rechnet vielleicht mit einer 85-jährigen Frau oder einem älteren Mann mit Herzstillstand", erklärt er. Aber das hatte er nicht erwartet: dass es sich bei der Patientin um ein 13 Jahre altes Mädchen handelte. Mitten in der Nacht hatte sein Herz aufgehört zu schlagen, die Mutter hatte den Rettungsdienst alarmiert, der Kriseninterventionsdienst wurde mit angefordert.

Es sind Momente wie diese, in denen Gleixner und Skrypczak das Unglück kaum fassen können. "Einsätze, die mit kleinen Kindern zu tun haben, sind besonders schwer", sagt Gleixner. "Wir sind beide Väter." Auch deshalb denkt Skrypczak noch immer an den Einsatz mit dem Mädchen zurück. Nach der erfolgreichen Reanimation zu Hause erlitt sie weitere Herzstillstände im Klinikum. Irgendwann konnten die Ärzte nicht mehr helfen. "Dann stehst du da, neben der Mutter und schaust dem Kind beim Sterben zu", sagt der ehemalige Polizeibeamte und hält kurz inne, bevor er weiter spricht. Er erinnert sich genau an diese Nacht, sich an den Monitor im Krankenhauszimmer, an die immer flacher auslaufenden Herzkurven des Mädchens und schließlich an den lang gezogenen Piepton, der den Hinterbliebenen mit voller Wucht die Endgültigkeit der Situation entgegenschleuderte.

"Dann gehst du nach fünf Stunden raus aus dem Krankenhaus, auf dem Flur wird gerade ein Neugeborenes im Bettchen vorbeigeschoben und du denkst dir: Der Heiligabend hat ja toll angefangen."

Wie man damit umgeht? Der Austausch mit Kollegen und regelmäßige Supervision, um das Geschehene verarbeiten zu können sind wichtig. Sie gehören zum Dienst, erklärt Gleixner. Und natürlich braucht es eine solide Vorbereitung auf das, was möglicherweise im Dienst geschehen könnte, also eine gute Ausbildung. Beim Kriseninterventionsdienst umfasst diese etwa 80 Unterrichtseinheiten und dauert bis zu eineinhalb Jahren. Teile dessen, was sie während dieser Zeit lernen, versuchen die Helfer abzurufen, wenn sie zu einem Einsatz geholt werden. Sobald das Meldebild bekannt ist, sobald man also weiß, um welche Art von Einsatz es sich handeln wird, können sich die Ehrenamtlichen - bis zu einem gewissen Grad - darauf einstellen, was sie am Einsatzort erwartet.

Am häufigsten werden die insgesamt 15 Ehrenamtlichen zu Todesfällen bei Angehörigen zuhause gerufen. Also wenn etwa der Ehepartner im eigenen Heim im Schlaf stirbt. Auch zu Reanimationen, zur Überbringung von Todesnachrichten durch die Polizei oder beim Suizid von Angehörigen, werden die Teammitglieder häufig gerufen. Seltener sind Zugunglücke, Unfälle oder Kriminalfälle. 95 Mal mussten die Ehrenamtlichen des BRK-Teams voriges Jahr ausrücken. Sie teilen sich die Bereitschaft mit dem Malteser Hilfsdienst. Die beiden Organisationen wechseln sich wochenweise ab. Man könne also insgesamt von etwa der doppelten Zahl an Einsätzen im Landkreis im vergangenen Jahr ausgehen.

Wenn Skrypczak, Gleixner oder einer ihrer Kollegen an einem Einsatzort eintrifft, sind sie für die Angehörigen da. Sie führen Gespräche, bis sie merken, dass die Angehörigen den ersten schweren Schock überwunden haben, bis Familienmitglieder oder Freunde ankommen, die ihre Lieben auffangen können. "Wir sehen uns als Brückenglied. Wir ziehen uns sofort zurück, wenn wir merken, dass wir nicht mehr gebaucht werden", sagt Skrypczak. Immer hinterlassen die Ehrenamtlichen auch Flugblätter auf denen die wichtigsten Informationen und Kontaktadressen zusammengefasst sind. Ansonsten sind sie einfach da für diejenigen, die gerade mit einem außergewöhnlich belastenden Ereignis fertig werden müssen. Manchmal bedeutet das auch, einfach schweigend neben denen zu sitzen, denen die Worte fehlen. "Es gibt immer wieder Situationen, in denen jemand nicht reden will, aber trotzdem sagt, dass es gut war, das wir dagewesen sind", sagt Gleixner. Und das ist den Ehrenamtlichen das Wichtigste.

Von Anfang an dabei im Kriseninterventionsdienst ist Wolfgang Wilczek, katholischer Seelsorger im Kreisklinikum. "Rammstein, Eschede - es waren Ereignisse wie diese, nach denen man sich gefragt hat: Müssen wir nicht auch über die Hinterbliebenen nachdenken?", erinnert er sich an die Anfänge des Dienstes in Fürstenfeldbruck. Der BRK-Kreisverband sei damals einer der ersten in Oberbayern gewesen, der aktiv wurde. Zunächst fragten die Vorsitzenden bei der katholischen und evangelischen Kirche nach Hilfe für Hinterbliebene, für traumatisierte Zeugen und Einsatzkräfte. Eine Bitte, der die Vertreter beider Kirchen damals gerne nachkamen. "Menschen in Notsituationen zu helfen, sehe ich als einen originären kirchlichen Auftrag", sagt Wilczek. 2008 habe der BRK die Trägerschaft für den Dienst übernommen.

Während der Anfangszeit gab es nur wenige Einsätze pro Jahr. "Es ging dann aber schlagartig nach oben", sagt Wilczek. Man informierte niedrigschwelliger, spätestens als sich der Kriseninterventionsdienst etabliert hatte und bekannter geworden war. Mit der Zeit wurden die Einsätze mehr, die aktiven Mitglieder allerdings weniger. "Wir kämpfen genauso wie jede andere Organisation", sagt Gleixner. Dass sich wieder mehr Menschen für den Kriseninterventionsdienst finden, ist Wilczek, Gleixner und Skrypczak eine Herzensangelegenheit. Sie alle haben durch ihren Beruf erfahren, dass die Hinterbliebenen in Krisensituationen häufig vergessen wurden.

Wilczek durch seine seelsorgerische Tätigkeit, Gleixner als ehemaliger Leiter der Kreiswasserwacht und Skrypczak unter anderem durch seine Arbeit bei der Autobahnpolizei. Er und Gleixner haben während ihrer Berufsjahre viele Unfälle mit Todesopfern erlebt. Aber eben auch Hinterbliebene, Zeugen und Einsatzkräfte, die mit dem Unglück fertig werden mussten. "Für sie war damals niemand da", sagt Gleixner. So soll es nie wieder werden.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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