Fürstenfeldbruck:"Das zivile Leben muss weitergehen"

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Auch beim Benefizturnier des SCF gibt es eine Schweigeminute. (Foto: Günther Reger)

Nach dem Amoklauf in München mit neun Opfern werden nur wenige für das Wochenende geplante Veranstaltungen im Landkreis abgesagt. Dennoch gibt es für Teilnehmer und Gäste Gelegenheit zum Gedenken

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

Die Bluttat eines 18-Jährigen am Freitagabend in München mit neun Opfern und über 30 Verletzten hat die Menschen im Landkreis Fürstenfeldbruck nicht unbeeindruckt gelassen. Bei Veranstaltungen wurde der Toten und deren Angehören gedacht, wie etwa am Sonntag in einer Schweigeminute vor Beginn des Fußballspiels zwischen Olching und Gilching. In Maisach wurde "aus Respekt vor den Opfern und Verletzten", wie Bürgermeister Hans Seidl schrieb, am Marktsonntag die Benefizveranstaltung "Asyl" mit musikalischen Rahmenprogramm gestrichen. Auch den Linedancern von "The Flying Eagles" war nicht mehr nach Tanzen zumute, sie sagten ihren Auftritt kurzfristig ab. In Fürstenfeldbruck dagegen entschied sich die Stadt, das am Freitagabend begonnene Altstadtfest wie geplant fortzuführen.

Stille Viertelstunde

Erich Raff schien am Sonntag beim mittäglichen Rundgang über die Hauptstraße einen gelösten Eindruck zu machen. Einen Tag zuvor hatte sich der Stellvertreter von Oberbürgermeister Klaus Pleil mit den Fraktionsvorsitzenden der im Stadtrat vertretenden Parteien beraten. Abbrechen oder weitermachen? Man entschied sich für die Fortsetzung des Festes und für ein Gedenken am Samstagabend. Und so wurde zwischen 20 und 20.15 Uhr die Musik abgedreht, es sollte nichts ausgeschenkt werden, die Gäste des Altstadtfests sollten mit ihren Gedanken bei den Opfern sein.

Warum sich die Stadt fürs Feiern entschied? "Das zivile Leben muss weitergehen, wenn auch mit dem Bewusstsein, dass mit dem Attentat in nur 20 Kilometer Entfernung etwas Schreckliches passiert sei", schrieb Raff in einer Erklärung. Das Altstadtfest biete auch die Möglichkeit für die Menschen, sich über das Geschehene auszutauschen.

Bereits am Freitagabend war das Altstadtfest trotz der Nachrichtenlage aus München ohne Unterbrechung weitergelaufen. Um 19.10 Uhr, nach den Böllerschützen und der offiziellen Eröffnung der Veranstaltung, hatte der amtierende Bürgermeister die ersten Informationen über den Amoklauf erhalten. "Ab diesem Zeitpunkt stand die Stadtverwaltung in ständigem Kontakt mit der Polizei", sagte Raff. Demnach habe es zwar aktuell keine Gefährdungslage für die Stadt Fürstenfeldbruck gegeben, aber dennoch sei Verwirrung aufgekommen, als nach 21 Uhr bei der Polizei die Meldung einging, dass ein schwarz gekleideter Mann am Fürstenfeldbrucker Bahnhof aus einem Auto ausgestiegen und in Richtung Innenstadt gegangen sei. Die Person hätte einen Gegenstand bei sich, der nach Einschätzung des Zeugen eine Langwaffe gewesen sein könnte. "Daraufhin wurden alle Zugänge zum Fest von Sicherheitskräften besetzt. Kurzzeitig wurde überlegt, die Veranstaltung sofort zu beenden. Raff besprach sich mit der Polizei-Einsatzleitung. Weil sich aber aufgrund weiterer Ermittlungen keine Anhaltspunkte für eine weitere Gefährdungslage ergeben hätten und sich damit die Situation wieder entspannt habe, sei zusammen mit der Polizei beschlossen worden, das Altstadtfest bis 23.30 Uhr weiterlaufen zu lassen.

In Bereitschaft

Wie viele andere Mitglieder von Rettungsdiensten auch, wurde Michael Schaefer am Freitag um 18.15 Uhr das erste Mal alarmiert. "Amoklage in München hieß es bei der Alarmierung", erzählt der ehrenamtliche Kreisbereitschaftsleiter des Bayerischen Roten-Kreuz (BRK) aus Maisach. Wie für solche Fälle vorgesehen, brachte das BRK einen Rettungswagen und zwei Krankenwagen ins Gewerbegebiet Bergkirchen. Dort, in unmittelbarer Nähe zur Autobahn, sollte der Rettungsdienst in Bereitschaft bleiben. Doch bereits gegen 18.30 Uhr wurde Vollalarm ausgerufen, und Schaefer musste die Schnellen Einsatzgruppen (SEG) des BRK in Marsch setzen. So fuhren ein Mannschaftswagen "Behandlung" und zwei Gerätewagen "Sanität" zum ersten Treffpunkt nach Bergkirchen. "Damit hätten wir 25 bis 30 Verletzte versorgen können", erläuterte Schaefer. Zusammen mit den Maltesern aus dem Landkreis fuhren die Einsatzwagen von Bergkirchen zur Münchner Feuerwache 6 nach Pasing. Dort hielten sie sich in Bereitschaft. Das BRK Fürstenfeldbruck war mit insgesamt 37 Einsatzkräften dort. Weitere alarmierte Einsatzgruppen waren aus den Landkreisen Starnberg, Landsberg, Dachau und Augsburg-Land in Pasing angekommen. Schaefer schätzt, dass "250 Einsatzkräfte aus dem Bereich Sanitäts- und Behandlungswesen" auf den Moment warteten, in dem sie gebraucht wurden. Um 1.30 Uhr wurde der Einsatz beendet. "Zunächst denkst du, warum jetzt auch in München?", sagt der 47-jährige Maisacher, der im Hauptberuf IT-Systemadministrator ist, am Samstagmorgen. "Doch dann funktioniert man und arbeitet."

Die bayerische Fahne wurde am Rathaus auf halbmast gesetzt. (Foto: Günther Reger)

Notarzt in Not

Notarzt Hansjörg K. musste in Germering Freitagnacht um 22.30 Uhr eine schnelle Entscheidung treffen. Er wurde zu einem 15-jährigen Mädchen gerufen, das über Bauchschmerzen klagte. Starke Anzeichen sprachen dafür, dass es sich um eine Blinddarmentzündung handelte, so dass die Patientin umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen werden musste. Der Notarzt wusste aus dem Radio, dass die Münchner Kliniken keine Patienten mehr aufnehmen. Zunächst hätte er in der Gräfelfinger Wohlfahrt-Klinik angerufen, aber dort habe man ihm gesagt, dass die Klinik keine Kinder behandele. "Dann habe ich mich mit dem Starnberger Kreiskrankenhaus in Verbindung gesetzt", erzählt der Mediziner, der seit 28 Jahren in Germering den notärztlichen Dienst versieht. Das Starnberger Krankenhaus teilte ihm mit, dass es bereits überfüllt sei, weil man Patienten aus München aufnehmen musste. Man würde das Mädchen als Notfall aber noch aufnehmen. Einen Krankenwagen zum Transport des Mädchens hatte der Notarzt gar nicht erst angerufen, weil er vermutete, dass alle andernorts im Einsatz waren. "Der Vater hat sich dann sofort bereit erklärt, seine Tochter nach Starnberg zu fahren. "Das lasse ich sonst nicht zu, üblich ist der Krankenwagentransport", so der K. "Aber ich musste schnell entscheiden und habe das von mir aus gemacht." 28 Jahre ist Hansjörg K. blickt auf etwa 17 000 Einsätze zurück, aber so eine Nacht, sagt er rückblickend, habe er bislang noch nicht erlebt.

Bayern-Jugend kommt nicht

Auch beim Jugend-Fußballturnier im Stadion des SC Fürstenfeldbruck (SCF) am Samstagmorgen gab es Verknüpfungen zum Münchner Amoklauf. "Meine 17-jährige Schwester ist im OEZ gewesen", erzählte der elfjährige Philipp aus Eching am Ammersee, der in der U 11 des SCF spielt. Sie sei nur hundert Meter vom Geschehen entfernt gewesen. "Sie hat am Telefon geweint", berichtete Philipp weiter. Die Schwester wäre aber sicher nach Hause gekommen. Auch die Turnierteilnahmeabsage der U 11-Junioren des FC Bayern München hatte mit den Ereignissen des Vortages zu tun. "Die kam telefonisch um 23.30 Uhr Freitagnacht", bestätigte SCF-Trainer Angelo Pucci. Der Verein habe mitgeteilt, dass man aus Sicherheitsgründen auf die Fahrt nach Fürstenfeldbruck verzichte. Pucci hatte deshalb am Morgen das Viererturnier noch mit einem zweiten U11-Team des SCF aufgestockt. Ansonsten lief augenscheinlich alles normal ab. Die Kinder spielten Fußball und die Eltern saßen auf der Tribüne und verfolgten gespannt ihren Nachwuchs. Es war ein Benefizturnier für den kürzlich verstorbenen Jugendtrainer Thomas Sander aus Eichenau. "Wir wollen uns auf Fußball konzentrieren", meinte Pucci. "Das ist auch ganz im Sinne von Thomas." Sein Co-Trainer habe immer positiv gedacht. Der SCF-Trainer sagte "Das Leben muss weitergehen, wir müssen weiterleben." So sah es auch Axel, der seinen Sohn Max vom FC Eichenau beim Turnier begleitete. "Gut, dass das Turnier stattfindet", sagte er noch. Freude am Fußball hatten auch Philipp und sein gleichaltriger Mitspieler Nenard aus München-Neuaubing, der ebenfalls für die U 11 des SCF kickt, schnell wieder. Beide waren ausgesprochen gut über die Vorgänge in der Nacht informiert. "Wir haben uns Videos auf Youtube angeschaut", erzählten sie übereinstimmend. "Wir hatten ein bisschen einen Schock", meinte Nenard noch, "aber jetzt passt alles wieder."

Nur die Jungen fahren

Das Startband ging hoch und drei Jugendliche rasten im 21. Lauf am Samstagnachmittag auf ihren röhrenden Motorrädern fünf Runden über die Olchinger Speedwaybahn. Der Olchinger Philipp Schmuttermayr kam als Erster beim ADAC-Bayern-Cup für Nachwuchsfahrer ins Ziel. Eine Absage hatte der Veranstalter, der Motorsport-Club Olching (MSCO), auch in Erwägung gezogen, sich aber dann anders entschieden. Zu Beginn der Veranstaltung gab es bei der Vorstellung der 24 Fahrerinnen und Fahrer im Alter von sechs bis 17 Jahren eine Gedenkminute für die Opfer des Amoklaufes. Alle Fahnen im Stadion wurden auf halbmast gesetzt.

Stadionsprecher Thomas Strebl konnte sich gut vorstellen, wie schrecklich die Tat in München abgelaufen ist. "Ich war beim Wies'n-Attentat 1980 ganz in der Nähe anwesend", erzählte Strebl. Bei dem Terroranschlag war er auch als Rettungshelfer tätig.

Etwa 200 Zuschauer verfolgten die Rennen. Darunter auch Jürgen Deichmüller und Martin Horn aus Olching. "Es war richtig, die Rennen nicht abzusagen", meinte Deichmüller. "Das ist doch das Ziel von solchen Leuten, dass man einknickt."

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Szenen aus Bruck: Beim Altstadtfest gab es Minuten stillen Gedenkens,...

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...Michael Schäfer war in Bereitschaft,...

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...in Germering wurde ein Fest mit Flüchtlingen gefeiert,...

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...während in Olching...

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...und in Fürstenfeldbruck Sportveranstaltungen stattfanden.

Fest für die Kinder

Beim Sommerfest des Germeringer Asylhelferkreises am Samstagnachmittag auf der Anlage des Asylbewerberheimes am Starnberger Weg spielen und tollen vor allem Kinder herum. Der Spielmobil-Bus des Germeringer Abenteuerspielplatzes hat seine Spielgeräte ausgeladen. Die Kinder der Asylbewerber machen reichlich Gebrauch davon. "Wir machen das Fest jedes Jahr in der Hauptsache für die Kinder", sagte Siegfried Schomburg. Deshalb kam für ihn eine Absage der Festes aufgrund des Münchner Amoklaufes nicht in Frage. "Warum sollen die Kinder darunter leiden?", war für Schomburg der entscheidende Punkt.

"Das ist wirklich alles sehr traurig. Ich habe dafür gebetet, dass die Polizei den Täter fasst", meinte Funke William. Die Nigerianerin wohnt mit ihrem Sohn in einer der drei Flüchtlingsbaracken. Auch Michael Lwanga aus Uganda, der fast acht Jahre in der Notunterkunft verbracht hat und seit 2011 in einer Wohnung in Germering wohnt, hat es nicht fassen können, als er von der Tat in München hörte: "Ich verstehe es nicht, das so ein Mensch mit Absicht besonders Kinder und Jugendliche erschießt."

Fereschteh Erschadi-Zimmermann, gebürtige Iranerin und langjährige SPD-Stadträtin, die im Gremium für Integration zuständig ist, kritisierte, dass die Nationalität bei der Tat eine Rolle spielt. "Ein junger Mensch hat andere umgebracht", formulierte sie es.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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