Fürstenfeldbruck:Berührungen, die die Seele zerstören

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Ein Großvater kümmert sich jahrelang um seine Enkelin. Lange passiert nichts, doch dann vergeht er sich bei vier Treffen in Folge an dem Mädchen. Das Amtsgericht verurteilt ihn zu einer Bewährungsstrafe

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Darf ein Großvater, der seine sechsjährige Enkelin über mehrere Monate hin mehrfach sexuell missbraucht hat, weiter in Freiheit leben? Diese Frage musste am Dienstag Richterin Anna Kappenschneider gemeinsam mit zwei Schöffen vor dem Brucker Amtsgericht beantworten. Ja, er darf, wenn denn die Umstände so sind, wie sie in diesem Fall sind. Zu zwei Jahren auf Bewährung, einer Sexualtherapie und 10 000 Euro für anfallende Therapiekosten des Opfers hat das Gericht den 67-Jährigen verurteilt.

Bei vier Treffen im Juni, Juli, September und November 2014 ist es zu den sexuellen Übergriffen gekommen. Die Treffen fanden teilweise in der Wohnung des Täters statt, der nicht im Landkreis wohnt, und teilweise in der Wohnung der Familie, die im östlichen Landkreis lebt. Detailliert schilderte die Staatsanwältin die Liste der Vergehen: Beim ersten Treffen half der Großvater der Enkelin beim Umziehen. Als sie nackt war, streichelte er sie im Intimbereich und küsste sie für mehrere Sekunden. Beim zweiten Treffen lief es genauso ab. Beim nächsten der mehrtägigen Aufenthalte hat der heute 67-Jährige im Zimmer der Enkelin übernachtet und sie, so die Aussage, aus Sicherheitsbedenken, nicht in ihrem Hochbett, sondern auf seiner aufblasbaren Matratze schlafen lassen. Dort hat er die Sechsjährige aufgefordert, seinen Penis in den Mund zu nehmen, zögerlich sei sie der "Bitte" für einige Sekunden nachgekommen. Das Prozedere wiederholte sich an einem der folgenden Tage. Dazu kommt, dass der Täter an einem Abend Rücken, Bauch und Genital der Enkelin gestreichelt hat, dieses Mal war sie dabei angezogen. Beim letzten Treffen wiederholte sich das Streicheln des angezogenen Kindes noch einmal.

So detailliert konnte die Anklage nur deshalb sein, weil der Täter von Anfang an geständig war. Denn als die Enkelin den Eltern wohl eher beiläufig von den Übergriffen erzählt hat, hat der 67-Jährige die Tat am Telefon gegenüber seiner Tochter, der Mutter des Opfers, zwar kurz geleugnet, dann aber gestanden. Ohne zu wissen, von wie vielen Übergriffen die Enkelin erzählt hatte, wandte er sich an die Brucker Polizei und legte ein ausführliches Geständnis ab. Da er all seine Termine in einem Kalender festgehalten hat, konnte er genau sagen, an welchen Tagen er das Mädchen getroffen hatte, und aus der Erinnerung rekonstruieren, was passiert war. Die Taten selbst hat er nicht im Kalender aufgeschrieben.

Und genau im Geständnis liegt die Besonderheit. Die Aussagen des Opfers wurden bei der psychologischen Befragung als so nicht glaubwürdig eingeschätzt. Hätte der Großvater nicht von sich aus ein Geständnis abgelegt und alle Taten selbst und detailliert beschrieben, das betonten sowohl der Verteidiger wie auch die Richterin, wäre die Verhandlung sehr wahrscheinlich eingestellt worden. Diese Tatsache, auf die die komplette Verteidigung ausgelegt war, hat am Ende dazu geführt, dass Richterin Kappenschneider dem Antrag des Anwaltes auf eine zweijährige Bewährungsstrafe gefolgt ist. Die Staatsanwaltschaft hatte zweieinhalb Jahre gefordert, die dann nicht mehr zur Bewährung hätten ausgesetzt werden können.

Zu Gunsten des Angeklagten wurde außerdem ausgelegt, dass er mit der Bestätigung seines Geständnisses vor Gericht das Opfer vor einer Zeugenaussage bewahrt hat. Zudem habe er sich reuig gezeigt. "Wir sind deshalb zur Auffassung gekommen, dass er eine Bewährung bekommen kann, auch wenn wir uns in einem Grenzbereich bewegen", erklärte Kappenschneider in ihrer Urteilsbegründung. Auch habe er die Schuld für die psychischen Störungen, die das Opfer davon getragen hat, auf sich genommen. "Die Frage, ob das Kind schon vorher so auffällig war, hat er klar verneint. Er bekennt sich damit also klar zu seiner Schuld." Mehrere von der Nebenklage vorgelegte Gutachten hatten gezeigt, dass das Kind in Folge der Tat massive Probleme im Sozialverhalten und der Schule entwickelt hat und sich oft in eine eigene Welt zurückzog. Eine Psychologin geht von mindestens zweieinhalb Jahren Behandlungszeit aus, über Spätfolgen und wiederkehrende Probleme in der Pubertät und danach könne sie momentan kein Urteil abgeben, hieß es in ihrer Stellungnahme.

Eine Erklärung für seine Taten konnte der Angeklagte nicht liefern. Sexuelle Hintergründe schloss er aufgrund einer Impotenz aus, an der er seit zehn Jahren leidet. Auf die Anmerkung der Richterin, dass Erregung auch im Kopf stattfinden könne, zögerte er kurz, erklärte aber, sich auch daran nicht erinnern zu können. Eine Therapie habe er bisher nicht gemacht, weil er aus seiner Zeit als leitender Angestellter in der DDR gewohnt gewesen sei, Probleme selbst zu lösen. Und es habe ja auch geklappt. Nach den Taten habe es ein weiteres Treffen gegeben, bei dem nichts passiert sei. Auch vorher, als er sich bereits vier Jahre lang immer wieder um das Kind gekümmert hat, habe es keine Übergriffe gegeben. Überhaupt habe er sich nie in irgendeiner Weise zu Kindern hingezogen gefühlt. Auch das Gericht erklärte, dass es keine Wiederholungsgefahr sieht, auch weil die Eltern des Opfers jeden Kontakt zwischen Großvater und Enkelin abblocken.

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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