Fürstenfeldbruck:Aufruf zum politischen Engagement

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"Wild World": Claus Angerbauer will auch mit seiner Musik behinderten Menschen Mut machen. (Foto: privat)

Der erblindete Musiker Claus Angerbauer aus Weßling berichtet über seine Erfahrungen als Gemeinderat

Von . Lena von Holt

GermeringMit Gitarrenbegleitung und rauchiger Stimme singt Claus Angerbauer "Wild World" von Cat Stevens. Wir würden auch jetzt in wilden Zeiten leben, erklärt der blinde Kommunalpolitiker und Musiker aus Weßling. In diesen sei es für Menschen mit Behinderung nicht einfach. Noch immer spüren sie die Barrieren, sowohl baulich, als auch in den Köpfen der Menschen, die ihnen mit Berührungsängsten und Ausgrenzung begegnen. Anlässlich der Ausstellung "Hören, Sprechen, Sehen" des Behindertenbeirates spricht Angerbauer am Freitagnachmittag in der Stadtbibliothek Germering über seine Erfahrungen in der Politik.

Angerbauer ist vor 34 Jahren erblindet. Zwar habe sich angekündigt, dass er das Augenlicht verlieren werde, erklärt der 59-Jährige, aber auf so etwas könne man sich nicht vorbereiten. Danach musste er sein Leben ganz neu organisieren. Und trotzdem, seinen Lebensmut und seine Liebe zur Musik hat er durch diesen Schicksalsschlag nicht verloren. "Gitarre spielen kann ich auch blind", dachte er sich und stand bereits eine Woche nach seiner Operation wieder auf der Bühne. Seit acht Jahren sitzt Angerbauer nun schon im Gemeinderat von Weßling im Landkreis Starnberg. Das habe anfangs einen immensen Druck auf ihn ausgeübt. "Schaff' ich das, in Materien einzusteigen, bei denen Visualität gefragt ist?", habe er sich damals gefragt. Eine gewisse Skepsis war damals schon zu spüren. Deshalb wollte er den anderen unbedingt beweisen, dass es eben doch funktioniert. Er wollte als Mensch mit Handicap genauso als Leistungsträger anerkannt werden, wie jeder andere Politiker.

Zu Anfang habe niemand gewusst, wie man nun weiter vorgehen sollte. Aber bereits nach einem halben Jahr habe sich das Miteinander im Rathaus eingespielt. Mit Hilfe einer Vorlesesoftware arbeitet er etwa 250 Seiten Sitzungsvorlagen pro Woche durch. Während seine Kollegen im Rathaus die Unterlagen oft nur überfliegen würden, sei ein Lesegerät dazu nicht im Stande. Deshalb sei er dann oft der einzige, der wirklich alles gelesen habe. Geholfen habe ihm neben technischen Hilfsmitteln wie Diktiergeräten oder Blindenschreibmaschine vor allem das menschliche Entgegenkommen. Angerbauer betont das gute Miteinander im Rathaus und die Hilfestellung, die ihm in den vergangenen Jahren entgegengebracht wurde. Als Beauftragter für Jugend und Kultur stehe ihm sein fehlendes Sehvermögen nicht im Weg. Anders wäre das wohl im Bauausschuss gewesen. "Da wäre ich aber auch sehend nicht reingegangen", spaßt der Politiker. Mittlerweile werde er im Gemeinderat sogar als Bereicherung gesehen, weil er die Denkstruktur im Rathaus geändert habe. Er sehe Dinge, die den anderen gar nicht auffielen.

"Zu den klassischen Behinderungen gehört auch die Humorlosigkeit", zitiert Angerbauer den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Daran fehlt es dem Blues- und Rockmusiker gewiss nicht. Immer wieder bringt er das Publikum an diesem Nachmittag zum Lachen und nimmt auch bei seinem Handicap kein Blatt vor den Mund. Er kann darüber lachen, wenn er als Kulturbeauftragter zu einem Stummfilm eingeladen wird oder wenn er sich nachts im Garten eines Nachbars verläuft. Von diesen Anekdoten kennt Angerbauer eine Menge. Obwohl er mit seinem Humor das ein oder andere aushalten kann, hat dieser auch seine Grenzen. Allergisch reagiert der Kommunalpolitiker, wenn Menschen statt ihn selbst seine Frau anreden. "Was mag denn ihr Mann?", heißt es zum Beispiel beim Metzger im Dorf. Das habe etwas mit der Würde des Menschen zu tun, findet Angerbauer und ergänzt: "Da darf man als nicht Behinderter auch noch dazulernen."

"Jeder zehnte Mensch in Deutschland ist durch körperliche oder geistige Einschränkungen gehandicapt", erklärt Angerbauer. Damit die politischen Gremien auch das Spiegelbild der Gesellschaft repräsentieren, brauche es dort noch mehr von ihnen. Betroffene wüssten, wovon sie reden, und sehen durch ihre eigenen Erfahrungen oft Dinge, die andere nicht wahrnehmen. In der "Aktion Mutmachen" fordert Angerbauer Menschen mit politischem Interesse und einem Handicap dazu auf, Hemmungen abzulegen und in die Politik zu gehen. Sie sollen endlich ihr Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben einfordern, auch wenn es manchmal zäh vorangeht. Ob es um barrierefreies Bauen oder um eine behindertengerechte Gemeindehomepage geht: "Das Thema soll nicht mehr in Schubladen verschwinden", sagt der Weßlinger

© SZ vom 16.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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