Fürstenfeldbruck:Auf Schatzsuche

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Am Ende der Theateraufführung im Kindergarten Nord ist der geheimnisvolle Schatz endlich gefunden und die Gesichter der Schauspieler strahlen. (Foto: Günther Reger)

Marcela Nitsch inszeniert ein Theaterstück mit Flüchtlingskindern

Von Lena von Holt, Fürstenfeldbruck

Ein lauter Gong gibt den Kindern das Zeichen: Jetzt geht's los! Aufgeregt stürmen sie in den Raum und wippen dann unruhig auf den Turnbänken hin und her. Aufgeregt sind auch Zainab, Ahmad, Maryam, Aisha und Abdullah, die hinter einem grünen Vorhang darauf warten, dass die etwa 60 Kindergartenkinder alle einen Platz gefunden haben. Das Theaterstück erzählt von einem Schatz in einem Schloss, in dem ein Geist lebt. Die Geschichte hat Lesepatin Marcela Nitsch selbst geschrieben. "Die Bücher sind oft noch zu kompliziert für die Flüchtlingskinder", erklärt die 67-Jährige aus Fürstenfeldbruck. Deshalb habe sie auf Fremdwörter verzichtet.

Als Lesepatin bei der Bürgerstiftung hat te sie Flüchtlingskindern vorgelesen. So habe sie auch die Kinder der Familie Dopal kennengelernt, die aus Kabul kommt und seit zweieinhalb Jahren in Fürstenfeldbruck wohnt. Statt nur zuzuhören, wollten die Kinder selbst etwas machen. So sei ein Puppenspiel entstanden, das Nitsch im Dezember mit den Zwillingen vorgeführt hat. Danach hätten auch die drei anderen von insgesamt sieben Geschwistern Lust bekommen.

Ursprünglich sollte auch dieses Stück als Marionettentheater aufgeführt werden. Dass die Kinder jetzt selbst auf der Bühne stehen, sich bewegen und den Text frei aufsagen müssen, erhöhe den Schwierigkeitsgrad. Stolz stehen die Fünf jetzt auf der Bühne und singen die Schlange, die den Schatz bewacht, in den Schlaf. Nitsch steht während der Vorführung am Rand der Bühne und hält ein Skript in der Hand. Immer wieder flüstert sie den Kindern Satzanfänge zu, wenn diese ins Stocken geraten. Sie scheut auch nicht davor zurück, Mitten im Stück zu intervenieren. "Langsamer und deutlicher!" ruft sie der zwölfjährigen Maryam zu. Man müsse manchmal auch streng sein, erklärt sie später. Sonst würden sie sich nicht anstrengen. Zwischendurch nimmt die zierliche Frau die Kinder, die immer wieder ihre Nähe und Aufmerksamkeit suchen, in den Arm und drückt sie an sich.

Die neunjährige Aisha erzählt, dass sie später einmal Ärztin werden will. "Oder Lehrerin", ruft sie. "Ich hab dir doch gesagt, wenn du dich reinhängst, kannst du alles werden", sagt Nitsch zu ihr. Von den Kindern wird sie bloß Julia genannt. Das sei ihr zweiter Name. Mit Marcela würden sich die Kinder schwer tun. Vor fast 50 Jahren ist sie aus Tschechien nach Deutschland gekommen. Daher wisse sie gut, was es bedeutet, ohne Sprachkenntnisse in ein fremdes Land zu kommen. Sie macht den Kindern, die in Kindergarten und Schule als "Flüchtlinge" ausgegrenzt werden, Mut: Sie sei auch ein Flüchtling. Wie so viele in Deutschland.

Für die zehnminütige Vorführung hatte die Gruppe fleißig geübt: Seit Dezember trafen sie sich immer sonntags für zweieinhalb Stunden im Haus der Bürgerstiftung, um die Texte einzustudieren oder am Bühnenbild zu basteln. Fünf Kinder auf einem Haufen - das könne manchmal ganz schön anstrengend sein. Deshalb möchte Nitsch ihr Engagement in Zukunft etwas einschränken. Aber weitermachen, das will sie auf jeden Fall.

Nachdem sie das Stück noch ein zweites Mal vor dem Hort aufgeführt haben, werden sie von den Kindern mit Fragen gelöchert: Als die Fünf erzählen, dass sie ganze drei Sprachen sprechen, staunen die Zehn- bis Zwölfjährigen. Zainab, mit dreizehn Jahren die älteste der Geschwister, erzählt von ihrer Flucht. Sie könne sich nur noch an viel Wasser erinnern und daran, dass sie viel laufen mussten. Sie fühle sich wohl hier. Ihre beste Freundin sei Deutsche. Die spreche sogar bayrisch, erzählt Zainab und muss lachen.

"Ich bewundere die Kinder wirklich", sagt Nitsch. Nicht nur die Sprache habe sich durch das viele Üben verbessert - die Kinder hätten auch an Disziplin und Selbstbewusstsein dazugewonnen. Die "Freude der Kinder" sei das Schönste an der Arbeit mit ihnen, sagt Nitsch. Besonders beeindruckt habe sie der siebenjährige Abdullah. Der Jüngste wurde lange von Albträumen geplagt und habe sich als "Sorgenkind" anfangs noch schwer getan. "Niemand weiß, was sie genau erlebt haben", meint Nitsch. Heute sei er aufgeweckt und total motiviert, mitzumachen. "Man kann sehen, wie die Kinder Fortschritte machen", sagt Nitsch und ergänzt: "Es lohnt sich."

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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