Fürstenfeldbruck:Anlaufstelle für Suchtkranke

Lesezeit: 3 min

Vom reinen Ausgabeort für Drogenersatzstoffe ist das P6, heute P6 neo, im Lauf der Jahrzehnte für immer mehr Menschen zum Treffpunkt geworden. Seit fünf Jahren fördert der Bezirk das Projekt

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Ein Tisch in der Sonne im Gewerbegebiet Hasenheide, drumherum ein paar Menschen mit Kaffeetassen. Es wirkt wie die Pause von einem der ansässigen Betriebe, aber tatsächlich ist es Alltag im Leben der Besucher und Mitarbeiter des P 6 neo. Seit fünf Jahren ist die "Kontakt- und Begegnungsstätte für Suchtkranke und Angehörige", wie sie korrekt heißt, an den neuen, viel großzügigeren Standort am Rudolf-Diesel-Ring 8 gezogen. Noch viel wichtiger für das P 6 neo und seine Besucher als der für alle sichtbare Umzug ist die Tatsache, dass die Einrichtung seither zu einem großen Teil vom Bezirk von Oberbayern gefördert wird.

Und das bedeutet laut Leiterin Sara Fremmer: "Fördergelder, Festangestellte". Seither werden der Einrichtung drei Vollzeitkräfte gezahlt, auf vier Personen aufgeteilt, außerdem die Kaltmiete für die Räumlichkeiten und noch ein paar weitere Posten. Davor finanzierte sich das P 6, so der Name vor dem Umzug, über Spenden, die Betreuung der Besucher übernahmen ausschließlich Ehrenamtliche. Dafür ist das P 6 neo seit der Anerkennung vom Bezirk mit seiner Arbeit inhaltlich an Vorgaben gebunden. Die wichtigste: Es ist nun für alle Suchtkranken Anlaufstelle, nicht mehr nur für Substituierte und Drogenabhängige. "Der Schwerpunkt liegt eigentlich auf den Alkoholikern", sagt Fremmer, die Kombination mit anderen Suchterkrankungen sei selten: "Da sind wir auch bei den Kontakt- und Begegnungsstätten ziemlich einzigartig", in ganz Oberbayern sei ihr kein vergleichbares Konstrukt bekannt, bei dem (Sozial-)Pädagogen Alkohol- und Drogenabhängige in einem vom Bezirk finanzierten Projekt betreuen.

Gespräch an der Tür: Besucher Franz Wunninger und Leiterin Sara Fremmer vor dem P6 neo. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Um diese Ausnahmestellung besser zu verstehen, hilft ein Blick zurück auf die Geschichte des P 6. Ende der Neunzigerjahre gab es eine Gesetzesänderung im Betäubungsmittelgesetz, genauer: bei der Drogensubstitution. Die gesetzlichen Bestimmungen wurden für Mediziner deutlich verschärft. Die Folge im Landkreis war, dass die meisten Ärzte diese Arbeit nicht mehr leisten konnten. Die Allgemeinärztin Astrid Beck hatte statt zehn bis 15 Patienten plötzlich 50 bis 60, die jeden Tag ihren Ersatzstoff wollten - eine nicht zu bewältigende Aufgabe.

Schließlich stellte die Kreisstadt Räume in dem kleinen, inzwischen abgerissenen Einfamilienhaus an der Pucher Straße 6 zur Verfügung: das P 6. Dort konnte die Medizinerin jeden Morgen die Substituierten empfangen und ihnen ihren Ersatzstoff verabreichen, bevor sie die eigene Praxis öffnete. Seither und noch bis heute kommen morgens Substituierte zu Astrid Beck oder einer Vertretung - egal ob Werktag, Wochenende oder Feiertag. Die Substanz wird direkt vor ihren Augen konsumiert, danach gehen einige arbeiten, andere nach Hause - seit es möglich ist, bleiben aber auch viele einfach dort.

Zum Angebot gehört auch die Freizeitgestaltung. Unter anderem wird gemeinsam getöpfert. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Denn es dauerte nicht lange, im September 1998, wurde auch der Verein Amperinitiative zur qualifizierten Betreuung Drogenabhängiger AID ( www. aid-ffb.de) gegründet, als Treffpunkt für Abhängige und Angehörige. Bald fanden sich Ehrenamtliche, die die Patienten der Ärztin den ganzen Vormittag betreuten: der Treffpunkt an der Pucher Straße war geboren.

So lange das P 6 noch in der Pucher Straße und später auf der Lände beheimatet war, stellten Ehrenamtliche ein Frühstück bereit und unterhielten sich mit ihnen, sogar Mittagessen gab es. Seit die Einrichtung als P 6 neo in der Hasenheide eine neue Adresse gefunden hat und es vom Bezirk gefördert ist, gibt es zwar immer noch ehrenamtliche Helfer - die pandemiebedingt derzeit nicht kommen können, doch dazu gibt es jetzt auch vier Festangestellte. "Es war keine pädagogische Fachkraft da", betont Fremmer, die selbst Pädagogin ist und schon als Studentin im P 6, damals auf der Lände, ausgeholfen hat.

Innen schaut es wohnlich aus. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Jetzt haben wir Sozialpädagogen, Kunsttherapeuten", erklärt Fremmer, die mit ihrer Kollegin Monika Quessel und den Besuchern Eftan, Franz und Philipp beim Kaffee am Tisch vor der Türe sitzt. "Jetzt kann jeder kommen", unterstreicht Eftan, 51, den Unterschied zu früher. Er muss es wissen, schließlich ist er nach eigenen Angaben "am längsten bei Frau Dr. Beck". Für ihn ist das P 6 neo die Anlaufstelle, wo er Gesellschaft findet. "Sonst würde ich auf der Straße rumhängen." Und Philipp ergänzt: "Es ist relativ frei und offen", Besucher jeden Alters würden kommen.

Die vier Mitarbeiter des P 6, zwei Frauen und zwei Männer, bieten neben Kontakt und Gesprächen auch Geselligkeit und praktische Hilfe. Unter normalen Bedingungen, wie Monika Quessel betont, "haben wir gekocht, gebacken, alles". Doch seit mehr als einem Jahr mussten sie dieses Angebot wegen dem Infektionsschutz einstellen. Gerade wagt man wieder vorsichtige Offerten: Einmal pro Woche, donnerstags um 13 Uhr, soll es wieder Mittagessen geben, allerdings nicht als Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit.

Außerdem helfen die Mitarbeiter den Besuchern - täglich kommen etwa 15 - unter anderem bei der Suche nach einem Entgiftungsplatz, bei Anträgen wie etwa für Hartz IV, durch Krisenintervention, Programme zur Konsumreduktion und vieles mehr. "Wenn von hier einer mitkommt, dann nehmen die dich auch ernst", unterstreicht Eftan seine Erfahrungen mit Behördengängen und der Hilfe vom P 6 neo.

Zum Angebot gehört auch Freizeitgestaltung, zum Beispiel mit der Kreativgruppe donnerstagnachmittags. Dort wird gemalt, getöpfert oder was sonst die Besucher ausprobieren wollen. Außerdem gibt es in unregelmäßig Sonderaktionen wie zum Beispiel eine Fahrradtour zum Ammersee, Minigolfen oder einen Kinoabend. Und im großzügigen Aufenthaltsbereich im ersten Stock gibt es auch eine Tischtennisplatte. Für Franz, 59, ist das P 6 neo schlicht ein Treffpunkt, wie er beim von Monika Quessel servierten Eiskaffee erklärt: "Ich bin nicht im Programm, ich bin einfach Besucher."

© SZ vom 06.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: