Fürstenfeldbruck:Flucht vor Willkür und Folter

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Dawit und Meri können wieder lächeln: Vergangenen Juni erblickt ihr Sohn das Licht der Welt. (Foto: David Kem)

In Deustchland finden Dawit und Meri nach der Geburt ihres Sohnes ihr Glück. Nun fehlt dem jungen Vater nur noch ein fester Arbeitsplatz

Von Sibylle Nagler

"Niemand verlässt ohne Not seine Heimat für immer", sagt Dawit. Am meisten liebt er zu Hause das Meer und die Gastfreundschaft der Menschen. Eritrea ist ein heißes Land am Horn von Afrika. Es hat einen 1000 Kilometer langen Küstenstreifen am fisch- und korallenreichen Roten Meer. Die auf einem Hochplateau gelegene Hauptstadt Asmara gilt als eine der schönsten Hauptstädte Afrikas.

Trotzdem kommen aus keinem anderen afrikanischen Land so viele Flüchtlinge nach Europa. Sie fliehen nicht vor Krieg oder Dürre. "Wir sind aus Angst vor der Willkür unserer Regierung weggegangen", sagen Dawit und Meri. Das junge Paar wohnt seit Anfang dieses Jahres in Gröbenzell in einer Flüchtlingsunterkunft. Der jüngste UN-Bericht der Eritrea-Untersuchungskommission weiß von willkürlichen Verhaftungen, Hinrichtungen und systematischer Folter. Die Menschen werden zu unbefristetem "nationalen Dienst" gezwungen. Dawits Vater musste zwölf Jahre beim Militär dienen. Wer das Land ohne Genehmigung verlassen will, dem droht Inhaftierung. Der gewaltige Sicherheitsapparat von Staatschef Afewerki hält die Bevölkerung in Angst.

Der Grund für Dawit und Meri vor 18 Monaten, zehn Tage nach ihrer Hochzeit, heimlich die Flucht zu riskieren. Zu Fuß brachen sie von ihrem Heimatort im Süden des Landes auf, überquerten in der Dunkelheit die Grenze und erreichten ein Flüchtlingslager in Äthiopien. Hier vertrauten sie sich Schleppern an, die sie für viel Geld durch den Sudan bis nach Libyen an die Küste brachten. Bei bis zu 50 Grad im Schatten waren sie immer wieder stundenlang eingepfercht mit über hundert anderen Flüchtlingen in einem dunklen Lastwagen, kaum Luft zum Atmen. Später reisten sie auf einem offenen Pritschenwagen ohne Sonnenschutz. Bilder, wie wir sie fast täglich im Fernsehen sehen, für die beiden waren sie bittere Realität. Der Motor des Flüchtlingsbootes mit 340 Menschen an Bord gab nach fünf Stunden Fahrt seinen Geist auf. Die Barkasse drohte zu sinken. Aber das Glück blieb ihnen gewogen, denn ein italienisches Patrouillenschiff entdeckte das kenternde Boot.

Warum haben sie die fast 9000 Kilometer gerade nach Deutschland auf sich genommen? Als Kind beeindruckten Dawit deutsche Entwicklungshelfer, die in seiner Heimat eine Schule bauten. Im College hatte er später die Möglichkeit, mehr über Deutschland zu erfahren. Fast drei Jahre lang machte das junge Paar Pläne, bevor es mit kleinem Gepäck auf große Reise ging.

Deutschland hat die Entwicklungshilfe für Eritrea seit 2008 eingestellt. Aber für Flüchtlinge hat es inzwischen die sogenannte Schutzquote auf fast 100 Prozent erhöht. Auch Dawit und Meri dürfen wohl mit einer Anerkennung ihres Asylantrags rechnen. Ihre ehrenamtlichen Asylpaten helfen ihnen bei ihrem Umgang mit der Ausländerbehörde.

Seit Juli sind sie Eltern eines gesunden Jungen, der jüngst im Rahmen eines eritreisch-orthodoxen Gottesdienstes in München-Harthaus getauft wurde. In der kleinen eritreischen Gemeinde finden Flüchtlinge die Möglichkeit, gemeinsam zu beten und ihre Traditionen zu pflegen. Für die Taufe haben sich die beiden Festkleidung aus ihrer Heimat schicken lassen. Meri sieht mit Schleier und Haarschmuck aus wie eine arabische Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht. Aber die 19-jährige ist neun Jahre zur Schule gegangen und träumt davon, eine Schneiderlehre zu machen. Jetzt steht das Baby im Mittelpunkt. Ihre Asylpaten haben sie mit allem Notwendigen ausgestattet. Schon Monate vor der Geburt wurden Strampler und Kinderbett von Spendern gesammelt, eine Klinik ausgesucht und eine Hebamme organisiert.

Der junge Vater ist stolz. Zu seinem Glück fehlt ihm jetzt eine Arbeit. Der 26-Jährige hat eine qualifizierte Ausbildung, kennt sich gut mit GPS-Systemen aus und hat für Fischereiunternehmen gearbeitet. Dank seines Fleißes und der vom Asylhelferkreis organisierten Sprachkurse machen seine Deutschkenntnisse gute Fortschritte. In Bayern gibt es zwar kein Meer, "aber hier würden wir gerne bleiben!" betont Dawit "Ich kann auch noch etwas Neues lernen." Denn eines will er unbedingt: möglichst bald seine kleine Familie selbst unterhalten.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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