Fürstenfeldbruck:Als der Landwirt noch Ökonom hieß

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1912 gründeten Fürstenfeldbrucker Bauern einen Verein. Seit damals hat der Zusammenschluss an Bedeutung eingebüßt. Die Mitglieder beschränken sich heute darauf, die Historie zu verwalten

Von Max Keldenich, Fürstenfeldbruck

Was ist eigentlich ein Ökonomenverein? Gibt man den Begriff in der Suchmaschine "Google" ein, wird als erstes die Homepage des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte vorgeschlagen. Dort ist zu lesen, dass dieser Verein seit 1901 die Interessen aller Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland vertritt. Dabei solle ein "fachlicher Gedankenaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis" ermöglicht werden. Seit 1912 gibt es auch einen Ökonomenverein in Fürstenfeldbruck. Das klingt auf den ersten Blick geheimnisvoll: Beschäftigt sich dieser Verein mit wirtschaftlicher Koordinierung im Landkreis, gar mit weltwirtschaftlichen Zusammenhängen? Geht es darum, seriöse Prognosen über wirtschaftliche Entwicklungen zu treffen, woran sich auch bekannte Ökonomen wie Hans-Werner Sinn versuchen? Mit diesem modernen Verständnis der Ökonomie als Erforschung marktwirtschaftlicher Zusammenhänge hat der Ökonomenverein Fürstenfeldbruck jedoch wenig zu tun, wie sein Vorsitzender Robert Reichlmayr erläutert: "Früher hatte Ökonomie vor allem eine landwirtschaftliche Bedeutung. Der Ökonomenverein Fürstenfeldbruck ist ein Zusammenschluss von ortsansässigen Landwirten."

Ludwig Reitmair und Robert Reichlmayr (Mitte und rechts) betreiben noch eigene Höfe, Ludwig Weiß ist Inhaber der Post in Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Reichlmayr ist über seinen Vater zum Verein gekommen, der selbst aktives Mitglied war. Damals sei noch vieles ganz anders gewesen, denn der Ökonomenverein habe über 30 Mitglieder gehabt. "Der Verein hat früher eine echte Blütezeit erlebt. Heute verwalten wir eigentlich nur noch die Historie", meint Reichlmayr. Im Jahr 1995 hat er den Betrieb seines Vaters übernommen, der nicht als Massenbetrieb organisiert ist. Reichlmayr legt Wert auf ökologischen Landbau und verkauft die Erzeugnisse von seinem Biohof im Engelsberger Hofladen. Er wollte den Ökonomenverein unbedingt vor seiner Auflösung bewahren, denn er hält den institutionellen Austausch unter denen, die heute noch Landwirtschaft betreiben, für besonders wichtig. "Als mein Vater noch aktiv war, fanden immer gemütliche Stammtische statt", sagt Reichlmayr. In besonderer Erinnerung hat er die gemeinsamen Exkursionen Anfang der Siebzigerjahre Jahre, die drei Mal pro Jahr stattfanden. Meist ging es bei strahlendem Sonnenschein mit Kind und Kegel in die Berge oder an nahe gelegene Seen. "Aber damals hatten wir durch den allgemeinen Strukturwandel in der Landwirtschaft schon weniger Mitglieder. Der Umbruch hatte längst begonnen", gibt Reichlmayr zu bedenken. Auch die Ausflüge seien nach einiger Zeit nicht mehr angeboten worden, da die Jugendlichen, wie Reichlmayr, nicht mehr teilnehmen wollten.

Produktion für den eigenen Laden: Doris Reichlmayr bei der Kräuterernte im Gewächshaus. (Foto: Günther Reger)

Die Veränderungen in der Landwirtschaft hat Ludwig Weiß hautnah miterlebt. Er ist heute Inhaber des Romantik-Hotels "Zur Post", das einst ein Kuhstall war. Weiß sitzt auf der Terrasse und deutet mit dem Zeigefinger auf den Gebäudeteil, der an die Küche des Hotels anschließt. "Hier hat früher ein Stallgebäude gestanden. Das wurde 1977 abgerissen." Viele Landwirte hätten damals aus wirtschaftlichen Gründen ihren Betrieb aufgegeben. Teilweise wurden die landwirtschaftlichen Flächen als Bauland verkauft, was wegen der wachsenden Bevölkerungszahlen im Landkreis benötigt wurde. Viele erlernten andere Berufe, denen sie zum Beispiel in München nachgingen. "Das ist natürlich eine bedauerliche Entwicklung. Es ist immer schön, Kollegen aus dem eigenen Bereich zu haben", sagt Reichlmayr. Sein eigener Betrieb bietet die Erzeugnisse nur im direkten Verkauf an, denn ein Großvertrieb sei aufgrund der riesigen Konkurrenz in der Landwirtschaft inzwischen unwirtschaftlich.

Der Ökonomenverein erlebte besonders in der Vor- und Nachkriegszeit seine Blüte. Weiß holt ein Foto hervor, das im Juli 1949 aufgenommen wurde. Es zeigt eine Versammlung, die zu Ehren der über 70-jährigen Mitglieder stattfand. Am linken Bildrand ist sein Großvater zu erkennen, der einer der Begründer des Vereins war. Weiss ist mit der Historie des Vereins bestens vertraut und präsentiert einige Schriftstücke, die er sorgfältig aufbewahrt hat. Sie belegen, dass über Einnahmen und Ausgaben des Vereins detailliert Buch geführt wurde. Eine Aufstellung von 1915 enthüllt, dass der Verein vor allem von Zinseinkünften und Zuschüssen unterschiedlicher Art profitierte.

Über die Aufgaben des Vereins informiert die Ausgabenseite: So wurden im Februar 1915 59 Mark für die Bezahlung des Flurwächters aufgewendet. Besonders häufig wird der Maulwurffänger aufgeführt, der im Juni und August 1915 für 299 gefangene Maulwürfe je 25 Pfennig erhielt. "Maulwürfe sind schädlich für Wiesen. Die Bekämpfung war eine wichtige Aufgabe des Vereins", sagt Ludwig Weiß. Im Ökonomenverein konnten Probleme besprochen werden, die "grenzüberschreitender Natur" waren und damit mehrere Landwirte betrafen. Neben der Dezimierung von Maulwürfen gehörte dazu auch die Bekämpfung von Mäusen. Deshalb wurde 1913 bei der Drogerie Pausewein Mäusegift in Höhe von 111 Mark bestellt. Auf Initiative des Ökonomenvereins wurden auch Feldwege ausgebaut und neue Maschinen angeschafft. Der Verein prägte das soziale Miteinander der Landwirte und ihrer Familien: So fand 1928 ein Ökonomenball statt. Im gleichen Jahr wurde auch die traditionelle Leonhardifahrt organisiert, die bis heute zu Ehren des Schutzpatrons der Landwirtschaft stattfindet.

Früher hat der Ökonomenverein auch die Jagdpacht eingetrieben. Dafür ist heute die Jagdgenossenschaft zuständig, der auch alle Mitglieder des Ökonomenvereins angehören. Nach der Satzung aus dem Jahr 1929 müsste sich der Ökonomenverein eigentlich auflösen, da ihm inzwischen weniger als 13 Mitglieder angehören. Der Landwirt Robert Reichlmayr verschwendet an eine Liquidierung des Ökonomenvereins aber keinen Gedanken: "Aus Nostalgie wollen wir die Geschichte des Vereins weiter schreiben".

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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