Fürstenfeldbruck:Alleinerziehend und arm

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Die Mehrheit der Bedürftigen sind Mütter mit Kindern

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Armut in Deutschland zeigt sich selten in einem Bettler, der in abgetragenen Klamotten auf der Straße sitzt. Es ist vielmehr der gut gekleidete ältere Mann an der Kasse, der seinen Einkauf von 3,87 Euro mit den Worten kommentiert: "Heute mache ich bei Aldi wieder einen Großeinkauf." Oder in dem Elternpaar, das für das etwas bessere Einkommen Schicht arbeitet, sich die Kinderbetreuung aufteilt und noch mindestens einen Zweitjob hat. Oder in den Flaschensammlern, die, möglichst unauffällig, inzwischen auch in Fürstenfeldbruck in Papierkörben nach Pfandgut suchen.

"Armut heißt ja bei uns nicht, es muss jemand verhungern", erläutert Claudia Baubkus. "Armut ist es trotzdem, wenn ich zu Hause sitze und nicht vor die Tür kann, weil es Geld kostet." Die Leiterin des Jobcenters Fürstenfeldbruck weiß, wovon sie spricht. Schließlich beantragen die Menschen im Jobcenter Hartz IV und andere Sozialleistungen. Ein Blick in die Statistik verrät ihr, dass die Zahl der Aufstocker steigt. Ihr Anteil an allen Leistungsbeziehern liegt bei 30 Prozent. Waren es 2007 noch knapp 1200 Erwerbstätige, die zusätzlich zu ihrem Einkommen Arbeitslosengeld II beantragen mussten, sind es in diesem Jahr schon 1414. Mit diesem stark steigenden Anteil an Aufstockern liege das Brucker Jobcenter noch vor dem Münchner. Eine Erklärung für die höhere Bedürftigkeit der Landkreisbewohner sieht Baubkus in den hohen Mieten und den wenigen Sozialwohnungen. "Die Stadt Fürstenfeldbruck ist bundesweit an erster Stelle, was die Mieten anbelangt", betont sie.

Alleinerziehende Mütter seien auffällig oft von Armut betroffen, sagen Baubkus und Christiane Höppner vom Brucker Forum. "Frauen sind in der Situation mehr gefangen." Damit meint Höppner, dass die Kinder nach einer Trennung in den meisten Fällen bei der Mutter bleiben. "Der Kindsvater zahlt nicht, das ist der Klassiker", nennt Baubkus einen Faktor, den sie aus ihrem Arbeitsalltag kennt. Mit einer Trennung breche oft das ganze Konstrukt zusammen, das sich eine Familie mühsam und am Existenzminimum knapp vorbeischrammend zusammengeschustert hat: Wohnsituation, Kinderbetreuung, Schulweg und, und, und. Werde dann alles wieder auseinanderdividiert und man brauche wieder zwei Wohnungen, zwei Kinderzimmer et cetera, dann reiche das bisherige Einkommen eben nicht mehr, erläutert Höppner.

Die Forum-Geschäftsführerin weiß allerdings aus Erzählungen ihrer Mitarbeiterinnen durchaus, dass Armut auch in intakten Familien vorkommt. Dort sei aber die Scham noch viel größer. Wie die Leiterinnen verschiedener Bildungsangebote, etwa dem Wellcome-Programm für die erste Zeit nach der Geburt oder einer Eltern-Kind-Gruppe, berichteten, gibt es immer wieder Anzeichen für Armut. Zum Beispiel die Familie, die die 92 Euro für einen Kurs nicht zahlen kann. "Das sind alles keine Hartz-IV-Empfänger. Es reicht eben nicht, knapp daneben ist auch vorbei." Höppner kritisiert damit, dass die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu den Einkommen ins Ungleichgewicht geraten sind. Die Jobcenter-Chefin führt ein praktisches, fiktives Beispiel an: Ein junges Paar mit Neugeborenem, die Frau in Elternzeit, der Mann mit 1500 Euro Nettoeinkommen, benötigt zum Überleben Arbeitslosengeld II.

"Es ist schon erstaunlich, dass in einer reichen Gemeinde wie Maisach so viele Menschen bedürftig sind." Michael Fiedler ist Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (Awo) und leitet seit ihrem Start 2007 die dortige Tafel. Seine Beobachtungen untermauern, was im Jobcenter oder dem Brucker Forum auf andere Weise deutlich wird: Die große Mehrheit der Bedürftigen ist alleinerziehend. Die Scham, die eigene Bedürftigkeit anzuerkennen und um Hilfe zu bitten, ist sehr groß. Manche treibt das in die Isolation. Fiedler ist sich sicher, dass es in Maisach noch einige Menschen mehr gibt, die so wenig Geld zur Verfügung haben, dass sie berechtigt wären, bei der Olchinger-Maisacher-Tafel - so der offizielle Name dieses unter der Trägerschaft der Bürgerstiftung für den Landkreis entstandenen Projekts - Lebensmittel zu beziehen. Einige, so vermutet er, würden aus Stolz und Scham nicht vorbeikommen. Bei anderen handle es sich um eine relativ kurze Phase finanzieller Knappheit, die dieser Personenkreis rasch wieder beende.

Fiedlers Fazit nach zehn Jahren Tafelerfahrung: "Die meisten bleiben uns länger erhalten." Welche Ansatzpunkte sieht der Awo-Vorsitzende, um diesen Menschen zu helfen? "Das Wichtigste im Leben ist die Bildung. Wenn ein intaktes Elternhaus da ist, haben es die Kinder viel leichter. Wenn die Mutter morgens nicht aufsteht, ist es schwierig." An diesem Punkt schließt sich der Kreis. Auch Baubkus und Höppner erleben in ihrem Arbeitsalltag, dass Armut sich weitervererbt. Baubkus appelliert an die Betroffenen: "Man soll sich nicht schämen, bitte herkommen."

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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