Fürstenfeldbruck:Ärzte wollen Waffe wieder scharf machen

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Die Brucker Antibiotika-Resistenz-Initiative sucht nach Wegen, wie die wichtigen Medikamente gegen bakterielle Infektionen wirksam bleiben können. Ein Podium von Medizinern und Apothekern stößt auf großes Interesse. Ein spezieller Pass wird eine wichtige Rolle spielen

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Antibiotika stellen seit ihrer Entdeckung eine hochwirksame Waffe gegen bakterielle Infektionen dar, die dadurch ihren Schrecken weitgehend verloren haben. Durch Resistenzen wird diese Waffe nun zunehmend stumpf. Die Brucker Antibiotika-Resistenz-Initiative, kurz "Bari", hat am Montag bei einer Podiumsdiskussion in Fürstenfeldbruck erklärt, wie durch einen gezielteren und umsichtigeren Einsatz von Antibiotika Resistenzen weniger häufig auftreten können und welche Veränderungen auf Ärzte, Apotheker und Patienten zukommen.

Florian Weis (von links) hält die Einführung, Florian Hamann moderiert und Landrat Thomas Karmasin begrüßt die Besucher. (Foto: Matthias F. Döring)

Florian Weis, ärztlicher Direktor des Klinikums Fürstenfeldbruck, sagte in seinem Eingangsvortrag, Resistenzen seien unausweichlich. Zugleich kämen weniger neue Antibiotika auf den Markt. In der Folge werde es schwieriger, Keime zu töten, die gegen mehrere Antibiotika resistent seien. Die Zahl der resistenten Keime hänge direkt zusammen mit der Zahl der verabreichten Antibiotika. Um das Problem einzudämmen, haben sich bei Bari Ärzte aus dem Klinikum Fürstenfeldbruck mit niedergelassenen Kollegen, Apothekern, Mikrobiologen und Hygienefachleuten zusammengetan. Die Profis der medizinischen Berufe und die Patienten sollen sensibilisiert werden. "Wir sind ganz bewusst an die Öffentlichkeit gegangen. Das ist der Weg, um möglichst viele Ärzte und Patienten zu erreichen", sagte Hermann Schubert, Hygienebeauftragter der Klinik, bei der Diskussion.

Bertrand Hirl, Lorenz Weigl und Hermann Schubert (von links). (Foto: Matthias F. Döring)

Er hatte Bari ins Leben gerufen und damit offene Türen eingerannt, wie Emmanuel Nies, Allgemeinarzt aus Mammendorf, der Hals-Nasen-Ohrenarzt Rainer Jund aus Puchheim und Christian Sickau, Apotheker und Leiter der Johannesapotheke in Gröbenzell bestätigten, die ebenfalls auf dem Podium saßen. Bertrand Hirl vertrat das Münchner Gesundheitsreferat, Lorenz Weigl das Gesundheitsamt des Landkreises. Moderiert wurde die Veranstaltung von Florian Haamann, Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Etwa 50 Besucher waren ins Landratsamt gekommen. Sie konnten schon vor der Diskussion mit den Medizinern sprechen und sich die Arbeit der Schülerin Judith Fenske erklären lassen, die das Brucker Viscardi-Gymnasium besucht. Für ihre Seminararbeit hatte die Schülerin aufgezeigt, wie sich Resistenzen entwickeln.

Christian Sickau, Emmanuel Nies und Rainer Jaud (von links). (Foto: Matthias F. Döring)

Ein wichtiges Werkzeug, das Bari in Umlauf bringen wird, ist der Antibiotika-Pass. Patienten können ihn in der Apotheke bekommen. Darin wird eingetragen, welches Antibiotikum der Patient wann erhalten hat. Ärzte und Apotheker erhalten so einen guten Überblick und können Antibiotika-Gaben besser koordinieren. Sickau berichtete, viele Patienten seien froh, wenn der Apotheker nach dem Sinn von Verschreibungen frage. Apotheker hätten oft einen besseren Überblick über die Medikamente der Patienten als die einzelnen Ärzte.

Judith Fenske (links) erklärt Resistenzen. (Foto: Matthias F. Döring)

Ärzte müssten den Unterschied erklären zwischen bakteriellen Infektionen, gegen die Antibiotika helfen, und solchen, die durch Viren ausgelöst werden, bei denen sie nicht helfen. Darin waren sich die Fachleute einig. 90 Prozent der Entzündungen der Atemwege sind durch Viren verursacht, nur zehn Prozent durch Bakterien. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle sei die Verschreibung eines Antibiotikums also unsinnig, erklärte Weis. Dennoch verlangten Patienten sie oft. Er zitierte aus einer Umfrage der Krankenkasse DAK, nach der 75 Prozent der Patienten die Medikamente einnehmen wollen, um schneller wieder arbeiten oder einen privaten Termin wahrnehmen zu können. Ärzte verschrieben sie vor allem aus Unsicherheit, sagte der HNO-Arzt Jund. "In der Praxis hat man viel mit Befindlichkeiten zu tun."

Die Abgrenzung von bakteriellen und viralen Infekten sei zudem nicht immer einfach. Er gebe seinen gut informierten Patienten deshalb häufig Antibiotika-Rezepte mit der Bitte, sie nur einzulösen, wenn die Symptome sich verschlimmerten. Es werde nur im einstelligen Bereich eingelöst, berichtete Jaud. Weis berichtete außerdem, dass jede Antibiotika-Gabe das Mikrobiom des Menschen schädige. Das ist die Bakterien- und Pilzflora im Darm und auf der Haut, die wichtige und noch nicht ganz verstandene Funktionen hat. Mit einem gestörten Mikrobiom werden Krankheiten wie Multiple Sklerose, Parkinson und das Reizdarm-Syndrom in Verbindung gebracht, aber auch Demenz, Depression und Autismus. Wie man das Mikrobiom nach der Einnahme von Antibiotika wieder stärken könne, werde inzwischen erforscht, sagte Klinikdirektor Weis. Immerhin haben die Ärzte das Problem inzwischen in den Blick genommen.

Kurz angesprochen wurde die Gabe von Antibiotika in der konventionellen Tiermast. Dadurch entstünden viele Resistenzen, sagte Hirl. Andererseits beobachte man auch Resistenzen gegen Antibiotika, die in der Mast nicht eingesetzt würden. Schubert sagte, in 56 Prozent der Proben, die von Discounter-Fleisch genommen würden, fänden sich resistente Keime. "Das kann der Verbraucher beeinflussen." Betont wurde auch die Bedeutung guter Hygiene in den Krankenhäusern. Dabei seien die Niederlande führend. Sie hätten dadurch eine sehr niedrige Zahl von multiresistenten Keimen.

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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