Festzelt Maisach:Das Ohr am Volk

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Umringt von Freunden: Ministerpräsidenten-Stellvertreter Hubert Aiwanger (Dritter von links) mit (von links) dem Allinger Landtagsabgeordneten Hans Friedl, der stellvertretenden Maisacher FW-Ortsvorsitzenden Hermine Reitmayr und der designierten Landratskandidatin Sandra Meissner (Foto: Carmen Voxbrunner)

Hubert Aiwanger gibt vor knapp 800 Besuchern im Maisacher Festzelt den Bürgerversteher. Die Freien Wähler begeistern sich daran, dass sie tatsächlich einen stellvertretenden Ministerpräsidenten in ihren Reihen haben

Von Heike A. Batzer, Maisach

Als Hans Seidl, der Maisacher CSU-Bürgermeister, das goldene Buch der Gemeinde aufschlägt, ist da als erstes ein Foto von CSU-Ministerpräsident Markus Söder zu sehen. Der war im Vorjahr zu Besuch. Seidl blättert schnell weiter und hält bei einer unbeschriebenen Seite inne. Jetzt darf Hubert Aiwanger sich dort eintragen, Söders Stellvertreter und Wirtschaftsminister von den Freien Wählern. Aiwanger sitzt dazu auf einem schweren Sessel, den sie eigens ins Maisacher Festzelt geholt und hinter einen mit weißer Tischwäsche verhüllten Biertisch gestellt haben. So viel Stil muss sein. Der Gast gehört schließlich zu den höchsten Repräsentanten der bayerischen Politik.

Die Freien Wähler im Landkreis sind mächtig stolz auf ihn. "Einmalig" nennt Gottfried Obermair, Fraktionsvorsitzender im Maisacher Gemeinderat und im Kreistag, der neben dem Allinger Landtagsabgeordneten Hans Friedl vor Aiwanger auf der Bühne sprechen darf, "was ich hier erleben darf". Vor zehn Jahren war Aiwanger schon einmal da gewesen. "Wenn damals jemand gesagt hätte, dass ich nun den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Freien Wähler begrüße, hätte ich das fast nicht für möglich gehalten", sagt Obermair. Seit knapp einem Jahr bilden Aiwangers Freie Wähler in Bayern eine Regierungskoalition mit der CSU.

Diesen Aiwanger wollen am Donnerstagabend knapp 800 Besucher sehen, darunter alle drei Bürgermeister von Maisach, Hans Seidl, Roland Müller (beide CSU) und Waltraut Wellenstein (SPD), Altbürgermeister Gerhard Landgraf (FW), den sie später noch einmal für sein Bundesverdienstkreuz ehren, und der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, Georg Huber, von dem man erzählt, er wolle sich den Freien Wählern anschließen.

Hubert Aiwanger ist überpünktlich in Maisach eingetroffen. In seiner 65 Minuten dauernden Rede gibt er den Bürgerversteher: "Wir müssen in Bayern dafür sorgen, dass die Sorgen der Bürger ernst genommen werden. Dafür stehen wir!" Deshalb komme er hernach noch runter an die Biertische, verspricht der 48-Jährige. Aiwanger redet laut und verständlich, der niederbayerische Unterton, der ihm bisweilen viel Spott eingebracht hat, ist weniger auffällig geworden. Sein Auftreten ist authentisch, nahbar. Am Schluss gibt es kräftigen Applaus, wie auch zwischendurch, einige stehen auf.

Aiwanger versteht es, Politik als das zu verkaufen, was sie ist: das Suchen nach Kompromissen. Deshalb sei es besser, nun jeden Kindergartenplatz mit hundert Euro zu fördern und damit die Elternbeiträge zu senken, "als nix". Oder Hebammen 5000 Euro als Gründungszuschuss zu geben. Es könnte natürlich mehr sein, findet Aiwanger, aber "5000 Euro sind besser als nix". Das sei "der Pragmatismus, den ich Ihnen heute schildern will". Dazu zählt er auch die Haltung, der Umsetzung des ungeliebten Bienen-Volksbegehrens zugestimmt zu haben: "Es war eine Abwägung. Wir haben das Beste draus gemacht."

Aiwanger zählt auf, was die Freien Wähler schon alles erreicht haben: die Rückkehr zum G9 auf den Weg gebracht, Studiengebühren und Straßenausbaubeiträge abgeschafft. "Wir haben nicht nur Sprüche geklopft, wir haben geliefert", betont er. Die Freien Wähler wollten kein Thema als zu klein ansehen, verspricht Aiwanger: "Wir greifen die Dinge auf, die der Normalbürger vor der Haustür hat."

Der Eigenheimbesitzer zum Beispiel. Nicht einmal die Hälfte der bayerischen Bevölkerung besitze ein eigenes Haus, in Rumänien seien es 90 Prozent, sagt Aiwanger. Die Freien Wähler möchten deshalb "Eigentum schützen und die Erbschaftssteuer abschaffen" und damit verhindern, dass "Familienbesitz, der über hundert Jahre erhalten wurde, am Ende bei einem chinesischen Investor landet".

Aiwanger geißelt den Umgang mit den Landwirten ("ein Spießrutenlaufen"). Dass "illegal Kameras in Ställe gehängt werden" sei "DDR 2.0 und nicht Freistaat Bayern". Ein ganzer Berufsstand werde unter Generalverdacht gestellt. "Ich lasse mich nicht in politische Korrektheit drängen von Meinungsdiktatoren", schimpft Aiwanger. Es könne nicht angehen, "dass man sich öffentlich keine Wurstsemmel mehr essen traut!" Man dürfe "nicht zulassen, dass linke oder rechte Stimmungsmacher die ganze Bevölkerung hochjazzen und die Leute gegeneinander aufgebracht werden".

Bei der Umstellung auf regenerative Energien möchte Aiwanger "möglichst viel Wertschöpfung vor Ort", mehr Windräder sowie Wasserstoff als "Energieträger der Zukunft". Mit Flächen müsse man sorgsam umgehen und mehr in die Höhe bauen. Die umstrittene Olchinger Umfahrung hält er für verzichtbar. Er will alle Branchen "von der Dorfwirtschaft bis zum großen Autokonzern" unterstützen, den Meisterzwang für Handwerksberufe wieder einführen. Es sei schließlich "keine Schande, wenn ein Abiturient Handwerker oder Landwirt wird", sagt Aiwanger und verweist auf sich selbst. Er habe Abitur, Landwirtschaft studiert und sei "auf dem Bauernhof" gewesen, bevor er in die Politik gegangen sei. Er will in Bildung investieren, den Mobilfunk ausbauen, das Land als "wettbewerbsfähiges, modernes Industrieland" erhalten und die Briten in der EU behalten. Auch Zuwanderung ist ihm ein wichtiges Thema. Wer "uns anlügt, ein falsches Geburtsdatum angibt oder Steine auf Polizisten wirft", müsse zurückgeschickt werden, fordert Aiwanger und erntet Applaus. Im Landtag sei die Stimmung anders, erzählt er noch. Wenn man dort solche Sätze äußere, "pfeift ein Drittel".

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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