Erzieherin:"Davon kann man keine Familie ernähren"

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Ingrid Beck-Kokott, 58, Leitet seit acht Jahren das städtische Kinderhaus Rappelkiste. (Foto: Oh)

Ingrid Beck-Kokott erklärt, warum die Gehälter von Erzieherinnen steigen sollen

Interview von Julia Bergmann, Olching

Warum der unbefristete Kita-Streik gerade jetzt für Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen so wichtig ist, erklärt Ingrid Beck-Kokott, die Leiterin der Olchinger Kindertagesstätte Rappelkiste im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

SZ: Der Druck auf die Arbeitgeber soll von Montag an steigen. Warum müssen die Erzieher zu diesem Mittel greifen?

Ingrid Beck-Kokott: Ich habe viele junge Mitarbeiterinnen, die von ihrem Gehalt in Olching nicht alleine die Miete für ihre Wohnung bezahlen und ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das ist brutal. Die Bezahlung ist auch einer der Gründe, warum es in unserem Beruf so wenige Männer gibt. Davon kann man keine Familie ernähren.

Wie hoch ist denn das Gehalt einer Berufseinsteigerin?

Etwa 2370 Euro brutto. Die Bezahlung ist aber nur ein Aspekt. Der andere ist, dass wir wirklich vielfältig ausgebildet sind. Alleine wenn ich meine Situation betrachte: Ich leite eine Einrichtung mit 19 Mitarbeiterinnen,123 Kindern und den dazugehörigen Eltern. Zu dieser Arbeit gehören die unterschiedlichsten Aufgaben. Würde ich das mit einem Manager vergleichen, der einen kleinen Betrieb leitet, würde er sich sicherlich nicht mit diesem Verdienst zufrieden geben. Als Leiterin verdiene ich natürlich besser. Es geht mir aber darum, mich mit jungen Erzieherinnen und auch älteren Mitarbeiterinnen, die als Kinderpflegerinnen noch einen Nebenjob haben müssen, solidarisch zu zeigen.

Wäre man zynisch, könnte man sagen, wer sich als junge Frau für diesen Job entscheidet, muss sich gleich einen Mann dazu suchen, der gut verdient.

Ja, es ist sehr bitter. Die jungen Mitarbeiterinnen wohnen alle mit ihren Partnern zusammen, weil sie sich ihre Wohnung sonst nicht erlauben können. Aber nicht nur das. Wichtig ist mir auch die Anerkennung für diesen Beruf, dafür, was wir leisten. Es ist nicht so, wie die Klischees es oft vermuten lassen.

Sie meinen das Klischee von der Erzieherin, die ein bisschen mit den Kindern spielt, bastelt und nachmittags einen Kaffee im Garten trinkt, während die Kleinen schaukeln?

Genau. Wir sind ständig in der Beobachtung. Wir gucken, wo liegen die Kompetenzen der Kinder und wo können wir unterstützen. Sich hinzusetzten und die Kinder intensiv zu beobachten, dazu fehlt uns oft die Zeit. Abgesehen davon haben sich Anforderungen verschoben, der Arbeitsaufwand ist ein anderer. Die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern ist immer wichtiger geworden. Viel ist auch hinzugekommen durch andere Fachdienste, mit denen wir ständig in Kontakt stehen, wie etwa der Kinderhilfe in Fürstenfeldbruck, mit Ergotherapeuten, Logopäden und Kinderärzten. Auch die Zusammenarbeit mit der Grundschule ist viel intensiver geworden. Heute fängt sie an, wenn das Kind in den Kindergarten kommt. An sich ist das alles gut, bedeutet aber mehr Arbeit.

Abgesehen von den Dingen, die sie genannt haben, wie sieht es mit dem Verwaltungsaufwand aus?

Wir müssen für die Aufsichtsbehörde, also das Landratsamt, alles dokumentieren, sonst bekommen wir die Gelder nicht. Es ist ein großer Aufwand, der oft unterschätzt wird. Jetzt sind wir zum Glück ein großes Haus und können uns gegenseitig aushelfen, wenn alle Stellen besetzt sind. Was ab nächsten Monat nicht mehr der Fall sein wird. Eine Erzieherin geht nach München.

Wegen der Arbeitsmarkt- und Ballungsraumzulage?

Ja, in Olching gibt es beides nicht.

Sie müssen also neues Personal finden. Wie schwierig ist das momentan?

Aussichtslos. Es sind keine Bewerbungen da. Letztes Jahr konnten wir eine Stelle im Hort neun Monate lang nicht besetzen. Der Träger hat mehrmals Anzeigen geschaltet und sich sehr bemüht. Es haben sich dann Erzieherinnen vorgestellt, die sehr qualifiziert waren, aber oft gleich am nächsten Tag abgesagt haben, weil sie eine besser bezahlte Stelle gefunden haben.

Wie reagieren die Eltern auf den Streik?

Viele unterstützen uns und sagen, sie finden es richtig. Jetzt natürlich, bei dem unbefristeten Streik schaut die Sache schon anders aus. Ich bin selbst Mutter und verstehe, in welche Nöte man gerät. Es ist schlimm, dass es auf dem Rücken der Falschen ausgetragen wird. Trotzdem bin ich jetzt an dem Punkt angelangt, an dem ich sage: Es muss etwas passieren, um auf lange Frist etwas verändern zu können.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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