Erfinder:Der Kamera-Mann

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Im Dachgeschoss seines Hauses beherbergt Lemke eine Sammlung, die von großen, älteren Studiokameras über moderne Digitalkameras bis zu neueren Minigeräten reicht. Nebenan hat er noch eine Werkstatt. (Foto: Günther Reger)

Der Puchheimer Norbert Lemke hat in den vergangenen Jahrzehnten alle Arten von optischen Aufnahmegeräten entwickelt: für das Fernsehen, die Medizin, die Industrie und das Militär. Nun möchte er den Förderverein Lichtspielhaus unterstützen

Von Peter Bierl, Puchheim

Der große rote Knopf, den Willy Brandt im Fernsehstudio des ZDF am 25. August 1967 drückte, war ein Fake. Der damalige Bürgermeister von Westberlin sollte damit die Ära des Farbfernsehens in Deutschland offiziell starten. Für eingeweihte Techniker lag die Ironie darin, dass solche pilzförmigen Knöpfe im Notfall Maschinen stoppen. Dieses Exemplar war auf ein Holzbrett geschraubt und stand in keiner physikalischen Verbindung zum Fernsehen. Brandt verpasste auch noch den Einsatz. Als sich sein Arm endlich senkte, flimmerte die Sendung "Der goldene Schuss", eine der populärsten TV-Shows damals, schon über die Bildschirme. Der interne Versuchsbetrieb hatte zuvor zwei Jahre gedauert - und Norbert Lemke hatte daran mitgearbeitet. Wenig später entwickelte der Ingenieur die ersten Kameras für die minimalinvasive Medizin.

Heute lebt Lemke mit seiner Frau in einem Haus mit Tiefgarage, das in dem Viertel im Puchheimer Süden wegen seiner Größe gleich auffällt. Im Dachgeschoss hat er eine Werkstatt sowie eine Sammlung untergebracht, die von großen, älteren Studiokameras über moderne Digitalkameras bis zu neueren Minigeräten reicht.

Lemke wurde vor Kriegsausbruch in Breslau geboren und wuchs in Passau als Halbwaise auf. Schon als kleiner Junge war er von Technik fasziniert. Er studierte auf dem zweiten Bildungsweg am Polytechnikum in Dortmund Fernseh-, Studio- und Kinotechnik. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, saß er in vollbesetzten Kneipen, wo die ersten Fernsehgeräte Fußballspiele live übertrugen, damals ein echter Straßenfeger. Weil die Geräte damals teuerer als manches Auto waren und sehr oft ausfielen, engagierten ihn die Wirte für diese Notfälle. "Ich wurde freigehalten und mit großem Respekt wie ein Arzt behandelt", erzählt er. Gleichzeitig baute er Kinos um, weil die Breitwand-Ära begonnen hatte. Sein Konzept war, vorhandene Projektoren mit stärkeren Lampen auszustatten und eine Breitwandlinse für den Projektor zu berechnen. Das war wesentlich günstiger als ein neues Vorführgerät. Bei einem Kinobesitzer, mit dessen Sohn er befreundet war, probierte er diese Idee aus.

Nach Abschluss des Studiums zog Lemke nach München und machte sich selbständig. Zunächst entwickelte Lemke in einem Keller in der Veilchenstraße in Puchheim Spezialkameras, dann ließ er das erste Fabrikgebäude in Gröbenzell in der Industriestraße errichten, wo unter anderem große Übertragungswagen hergestellt wurden. Lemke arbeitete damals in erster Linie für wissenschaftliche Fernsehsendungen wie "Aus Forschung und Technik" mit Heinrich Schiemann oder "Knoff Hoff". Dafür entwickelte er die ersten kleinen Spezialkameras. Ziemlich schnell wurden Mediziner auf ihn aufmerksam, die allerlei Einsatzmöglichkeiten erkannten. Lemke setzte auf ein neues Geschäftsmodell und erfand die minimal invasive Chirurgie mit sterilen Kameras. Er ließ sich als OP-Pfleger ausbilden und lernte am OP-Tisch, was Ärzte brauchen. Als nächste Kundschaft meldete sich die Industrie. Lemkes Winzlinge blickten hinter das Armaturenbrett von Autos oder in Atomanlagen. Dann wünschte sich das Militär eine gasdichte Kamera für Fallschirmabwürfe, um im Einsatz während der Betankung die Triebwerke von Kampfjets zu inspizieren und Geschosse an der Kanone zu verfolgen. Lemke und seine Mitarbeiter entwickelten komplette Kameras mit Monitoren, Glasfaser, Lichtquellen und Adaptern in verschiedenen Gehäusen für weltweit agierende Unternehmen wie Storz, Fujinon oder Pentax. Er baute Kameras für Knieoperationen und so ziemlich alle Körperteile von Magen, Darm und Harnröhre bis Augen, Hals und Ohren und sammelte über die Jahre etliche Patente. Jahrelang war Lemke in aller Welt unterwegs, um seine Produkte auf Kongressen und Messen vorzuführen, oft mit Live-Übertragungen direkt aus dem Operationssaal.

Trotz der Miniaturisierung der Kameratechnik behielt Lemke die Studiotechnik bei. Einen extravaganten Auftrag bekam er von Franz Josef Strauß. Der hielt gerne Marathonreden und geriet ziemlich ins Schwitzen, weil die Rundfunkanstalten große Scheinwerfer aufstellen mussten. Bei Nahaufnahmen sah man deutlich, wie dem großen Vorsitzenden der Schweiß über das Gesicht ran. Die unvorteilhafte Optik konnte Lemke beheben. Er rüstete eine Kamera auf, indem er in jeden Farbkanal eine empfindlichere Röhre einbaute, so dass eine normale Raumbeleuchtung reicht, die Strauß weniger erhitzte. Fortan lieferte Lemkes Kamera den Fernsehanstalten die Bilder von CSU-Parteitagen.

Seinen Erfolg erklärt Lemke in erster Linie mit Glück. "Ich war im richtigen Moment zur Stelle, als diese Entwicklungen gefragt waren", sagt er. Seine Firma, die Lemke Medical TV GmbH, hat inzwischen mit einem anderen Unternehmen fusioniert und ist an der Börse. Er hat sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Seiner Leidenschaft frönt der 77-Jährige aber immer noch. Er ist Vorsitzender des Deutschen Film- und Fototechnik-Museums im pfälzischen Deidesheim, der einzigen Einrichtung dieser Art im Land, und Aufsichtsrat bei Radio Top-FM. Außerdem möchte der Experte für Studiotechnik dem Förderverein Lichtspielhaus in Bruck helfen. Er könnte Kinoprojektoren, Scheinwerfer und Tontechnik zur Verfügung stellen. Gerade baut er eine Kamera, die für Außenaufnahmen im Sport im Einsatz war, für den Studiobetrieb um. Außerdem repariert er den Original-Projektor jener historischen ersten Farbfernsehübertragung von 1967 für eine große Jubiläumsfeier zu 50 Jahren Farbfernsehen im Herbst.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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