Einmal Deutschland und zurück:Grenzerfahrungen auf dem Radl

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Fast hätten die beiden Maisacher die Fähre über das Stettiner Haff verpasst. Doch als der Kapitän Paetrow die beiden ankommen sieht, stoppt er und nimmt sie mit. Am anderen Ufer hat Paetrow dann zum Abschied noch vor seinem Boot fotografiert. (Foto: oh)

Zwei Monate lang sind Erwin Fendt und Harald Kiowsky aus Maisach mit ihren Fahrrädern unterwegs. Ihr Ziel: Deutschland einmal komplett zu umrunden. Unterwegs treffen sie vor allem auf Hilfsbereitschaft und Verwunderung

Von Peter Bierl, Maisach

Komplett abschalten und sich ganz auf Land und Leute konzentrieren. Diesen Luxus haben sich Erwin Fendt und Harald Kiowsky aus Maisach acht Wochen lang gegönnt. Denn sie sind in den vergangenen Monaten mit Fahrrädern quasi einmal um Deutschland herum gefahren. In 65 Tagen haben die beiden 4900 Kilometer zurückgelegt und 24 500 Höhenmeter bewältigt. "Das Land ist sehr schön, die Leute überall sehr nett, bloß in Bayern sind die Autofahrer rüpelhaft", lautet ihr Fazit.

Fendt und Kiowsky fahren seit Jahrzehnten mit Freunden mit dem Rad in den Urlaub. Im vergangenen Herbst entstand die Idee, sich eine Auszeit zu nehmen und auf Deutschlandtour zu gehen. Beide sind Ingenieure, der 61-jährige Kiowsky ist in Altersteilzeit, der 58-jährige Fendt selbständig. Das Ziel war, abseits von Autostraßen, möglichst nahe an der deutschen Grenze entlangzufahren. Im Winter begannen sie mit der Vorbereitung, sichteten Kartenmaterial und starteten ihr Fitnesstraining mit Ski-Langlauf und auf dem Ergometer. Bis zum Frühsommer erreichten sie eine Leistung von 100 Kilometern in fünf Stunden. Auf der Tour kamen bei jedem noch etwa 20 Kilogramm Gepäck dazu.

Zu ihrem Start und Ziel in Murnau sind die beiden mit dem Zug gefahren und über das Stettiner Haff mit einer Fähre. Ansonsten haben sie jeden Kilometer gestrampelt, durch das Allgäu, am Bodensee und dem Rhein entlang, hinüber nach Saarbrücken, an der belgischen und holländischen Grenze bis zur Nordsee, dort der Küste folgend bis Sylt, quer durch Dänemark zur Ostsee, über Rügen, Usedom und Ueckermünde zur Odermündung. Von dort ging es entlang der Oder-Neiße-Grenze zurück nach Süden, durch Erzgebirge, Oberpfalz und Bayerischen Wald nach Passau, an Inn und Salzach in Richtung Salzburg und zum Schluss wieder auf dem Radweg Königsee-Bodensee bis Murnau.

Gefahren sind sie auf Asphalt und Wiesen, auf Sand- und Kieselsteinpisten sowie Panzerplatten und Kopfsteinpflaster im Osten. Mehrfach kreuzten sie grüne Grenzen nach Belgien, Dänemark, Luxemburg, Österreich, der Schweiz oder Tschechien, ohne Schlagbaum und ohne Zöllner, manchmal ohne es zu merken, was sie sehr für die Idee des vereinten Europa einnahm. Von Unfällen oder Krankheiten blieb das Tandem verschont, die Reparaturen hielten sich in Grenzen. Nach siebzehn Kilometern hatte Fendt den ersten und einzigen Platten, einmal brach ein Gepäckträger, ein andermal eine Speiche.

Der ursprüngliche Plan war, jeweils fünf Tage zu radeln und zwei Tage zu rasten. Davon sind die beiden gleich wieder abgekommen. "Sonst hätte die Tour drei Monate gedauert", sagt Fendt. Stattdessen starteten sie jeden Tag gegen 8.30 Uhr nach dem Frühstück und legten im Schnitt etwa 80 Kilometer zurück. Übernachtet wurde auf Campingplätzen. Nach dem Abendessen planten Fendt und Kiowsky die nächste Etappe und schrieben einen Eintrag in das kleine Tour-Tagebuch. Spätestens um 21 Uhr verschwand jeder in seinem kleinen Zelt und rollte sich in den Schlafsack. "Das Adrenalin stoppt einfach irgendwann an so einem Tag", meinte Kiowsky. Oft waren sie zwar müde und abgekämpft, aber nie so erschöpft, dass sie am nächsten Tag nicht hätten weiterfahren können.

Unterwegs legten sie nach Lust und Laune Rast ein, etwa um bei Ebbe vom Damm hinunter barfuß ins Wattenmeer zu laufen oder sich in Schleswig-Holstein von Handwerkern erklären zu lassen, wie ein Reetdach gedeckt wird. Die Freundlichkeit der Menschen entlang der Route hat sie besonders beeindruckt. Es gab viele Begegnungen und Gespräche, auch mit anderen Fernradlern. Oft seien sie angesprochen worden, wegen der weiß-blauen Fähnchen an den Rädern. "Viele wollten nicht glauben, dass wir von Bayern so weit gefahren sind", berichtet Kiowsky. Am Stettiner Haff hatte die Fähre schon fast abgelegt, aber Kapitän Hans Paetrow stoppte und nahm die beiden an Bord. Während der Überfahrt unterhielten sie sich mit ihm auf der Brücke. Am anderen Ufer, in Ueckermünde fotografierte der Kapitän die beiden auf dem Hafenkai mit ihren Fahrrädern.

Unter negative Erlebnisse verbuchen sie den Anblick von Maisfelder, die im ganzen Land in Monokultur angebaut werden, sowie E-Bikes. "Wir haben erschreckend viele Exemplare gesehen, die von jüngeren Leuten gefahren werden, in völlig flachen Gegenden." Eine besondere Genugtuung war es deshalb für sie, mit einem Durchschnittstempo von 28 Stundenkilometern auf einer langen Geraden zwei E-Biker zu überholen und abzuhängen.

Immer wieder gönnten sich Fendt und Kiowsky einen Abstecher, etwa nach Norderney und Helgoland, nach Münster, der fahrradfreundlichsten Stadt der Republik, oder Duisburg, wo sie eine stillgelegte Zeche besichtigten. In Bremerhaven trafen sie sich mit ihren Frauen für ein paar Tage. In Lingen und im tschechischen Eger mussten sie bei strömenden Regen jeweils einen Tag im Zelt ausharren.

Ausgestattet waren die beiden mit Karten des ADFC, die allerdings 20 Jahre alt waren. Bei neuerem Material würden sich die Gebiete stark überlappen. "Wir hätten mehr Gewicht umsonst mitgeschleppt", erklärt Kiowsky. Sie fuhren "nach Gefühl", orientierten sich an der Himmelsrichtung und die Radwege seien fast überall gut ausgeschildert, erzählt Fendt. Bloß an der Nordsee verdrehe der Wind manches Schild. Das Navi hätten sie nur ganz selten benutzt.

Verfahren haben sie sich kaum, allerdings mussten sie feststellen, dass mancher Radweg inzwischen verlegt war. In Brandenburg hat der Braunkohleabbau einige Dörfer geschluckt, die noch auf der Karte eingetragen waren, einige Orte sind umbenannt worden, kleine Weiler expandiert und etliche Campingplätze längst geschlossen. In solchen Fällen mussten sie weiter radeln.

Ans Aufhören haben sie nie gedacht, allerdings gab es ein paar Durststrecken. In den ersten Tagen stellten sie fest, dass das Allgäu abseits der großen Straßen einige Steigungen bietet. Höhenunterschiede hatten sie bei ihrer Planung ignoriert. Das sei vermutlich besser so gewesen. "Wir haben uns auf jeden Tag gefreut, statt schon im Kopf zu haben, wie viele Berge vor uns liegen", sagt Kiowsky. Für Fendt steht allerdings fest, "das Allgäu sieht mich nie wieder mit dem Rad". Auf einem Deich blies ihnen auf einer Strecke von 50 Kilometer starker Wind entgegen, im Fichtelgebirge frustrierten immer neue endlos scheinende Steigungen. "Am Ende haben wir uns ziemlich auf zuhause gefreut", räumt Kiowsky ein. Deshalb erhöhten sie die Tagesleistung auf über 100 Kilometer und beendeten die Tour drei Tage früher als geplant.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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