Eine Tour durch den Lankreis:Als wäre es der letzte Tag in Freiheit

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Vier Wochen ohne Restaurantbesuche, Kinoabende und Sport stehen den Menschen im Landkreis bevor. An Allerheiligen haben sie die Gelegenheit genutzt und all das noch einmal gemacht, was ihnen im zweiten Lockdown dieses Jahres nun fehlen wird

Von Franziska Schmitt, Fürstenfeldbruck

- Nieselregen und Wind - der vergangene Sonntag war ein richtig kalter Herbsttag. Eigentlich ein Grund, zu Hause zu bleiben. Sollte man meinen. Doch die Menschen hat es vor die Türen getrieben, weil von diesem Montag an vier Wochen lang die Restaurants geschlossen und beliebte Freizeitaktivitäten nur noch eingeschränkt möglich sind. Die Fürstenfeldbrucker SZ hat sich am letzten Tag vor dem Teil-Lockdown im Landkreis umgesehen.

Letztes Spiel

Der Wind trägt die Blätter von den Bäumen. Sie säumen den Sportplatz des SV Olching. Während die Blätter sich als bunte, glitschige Schicht über die Wege legen, ist der Rasen dankbar über jeden Regen nach einem zu heißen Sommer. Er scheint zufrieden zu schmatzen unter den Schuhsohlen der Fußballfans. Den Buben und Mädchen vom SV Olching und TSV Gilching macht der anhaltende Regen nichts aus, so scheint es zumindest. Mit vollem Einsatz flitzen die jungen Spieler in ihren blauen und roten Trikots über das Feld. Die Gilchinger Mannschaft erkämpft sich den Ball und das erste Tor fällt, begleitet von Jubel vereinzelter Zuschauer. Geschützt von Schirmen und Regenmäntel, folgen sie gespannt dem Spiel. Es ist heiter am Rande des Fußballfeldes.

Auf dem Fußballplatz wird es im November leer bleiben. (Foto: Franziska Schmitt)

Sylvia Pfabe (35) ist an diesem Tag nicht alleine gekommen, um ihren sieben Jahre alten Sohn Theo an seinem siebten Spieltag anzufeuern. Dabei ist auch Nachbar Uwe Gorka. Er ist 64 Jahre alt, kennt Theo von klein auf und erzählt, wie sie beide im Garten den Ball hin- und hergeschossen hätten. Es ist das erste Mal, dass er mit zu einem Spiel von Theo kommt. "Das erste Mal, das letzte Mal genutzt", wie Gorka es ausdrückt, denn heute ist das letzte Spiel, und auch Training wird es in den kommenden vier Wochen nicht mehr für Theo und seine Mannschaft geben. Umso mehr freuen sie sich für die Kinder, dass das Spiel noch stattfinden konnte und die Kinder "einfach nur Kinder sein dürfen", wie die Mutter sagt.

In den vergangenen Monaten hätten die Kinder auf vieles verzichten müssen, nicht nur auf Fußball. Auch das ständige Tragen einer Maske sei belastend und Beispiel für Regeln und Verbote gewesen, die das Leben ihres Sohnes nachhaltig prägten. Für vieles zeigt Theo im Gespräch mit ihr Verständnis, doch der Verzicht auf Fußball als Mannschaftssport sei für ihn von allem am Schwersten wegzustecken, so sieht es seine Mutter.

Mit dem Wegfall vom gemeinschaftlichen Spielen und Training gehe gerade für Theo als Einzelkind ein wichtiger sozialer Kontakt verloren. Das gemeinsame Training stärke das Gemeinschaftsgefühl der Mannschaft, den Zusammenhalt.

Sylvia Pfabe ist die Begeisterung für den Sport ihres Sohnes anzumerken. Sie lobt Torwartin Julia, feuert Stürmer Jonasz an. Noch vor der Halbzeit fallen zwei Tore für die Olchinger Mannschaft. Doch am Ende schafft Gilching mit einem Tor noch den Ausgleich. Auch Theo läuft zu seiner Mutter, sie klopfen sich kumpelhaft ab. Noch berauscht vom Spiel und auch ein bisschen müde sagt Theo: "Schade, dass es das letzte war." Pfabe spürt die Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen, gleichzeitig bezahlt die Familie den hohen Preis der Entbehrungen des sozialen Lebens.

Noch ein paar Bahnen

Das Schwimmbad wurde am Sonntag noch ein mal rege genutzt. (Foto: Franziska Schmitt)

An der ersten Glastür lässt ein Smiley hinter Sonnenbrille und Maske ein Lächeln vermuten. "Ab hier Maskenpflicht bis in Umkleide," fordert freundlich und bestimmt der Aufkleber auf. Die Tür öffnet sich automatisch. Aus dem kalten Nass von draußen nach drinnen ins Trockene, und man steht vor einer weiteren Glastür. Diese aber wird sich vom Montag dieser Woche an für vier Wochen nicht mehr automatisch öffnen. Noch aber gewährt sie den Badegästen Zutritt in die angenehm warmen Räumlichkeiten des Germeringer Hallenbades. Diesen "letzten" Tag möchte sich auch Rosi Heller, eine sportliche Frau mittleren Alters, nicht entgehen lassen. Ihre Augen strahlen voller Elan, als sie verrät: "Ich liebe Schwimmen." Es sei für sie der perfekte Ausgleich neben dem Joggen, Bahnen zu ziehen und dabei den Oberkörper zu trainieren. Nachdem es am vergangenen Mittwoch absehbar gewesen sei, dass eine erneute Schließung der Schwimmbäder bevorsteht, war sie seit Donnerstag täglich da. Mit ihrer Schwimmleidenschaft ist sie in Germering nicht allein. So habe sie am Freitag sogar anstehen müssen, um ins Schwimmbad zu gelangen, berichtet sie. Sei der Lockdown im Frühjahr noch erträglich gewesen, dank zahlreicher Seen in der Umgebung, gebe es für sie im Herbst keine Ausweichmöglichkeiten. Aus den Augenwinkeln sieht sie die nächsten Badegäste auf die beiden Glastüren zusteuern. Zwei Kinder sind mit zwei grell-bunten Schwimmnudeln ausgestattet und hüpfen freudig ihrer erwachsenen Begleitung vorweg. Nun muss sich Heller aber beeilen und füllt schleunigst das Kontaktformular an dem Pult aus, bevor sie sich auf den Weg zur Kasse macht. Warten möchte sie heute nicht.

Im Fitnesscenter

Auch Fitnessstudios müssen nun vorerst wieder schließen. (Foto: Franziska Schmitt)

Im ersten Stock der Germering-Einkaufs-Passagen führt eine überdachte Außenpassage zu den hell erleuchteten Räumlichkeiten des Fitnessstudios Fitmax. Schwarze Geräte stehen aufgereiht im Raum und vor der pastellgelben Wand. Zu dicht, damit sie gerade noch benutzt werden können, verraten die zahlreichen Sperrschilder. Nur eine Handvoll Menschen ist im Hauptraum des Studios gegen 18 Uhr zu sehen. Jeder trainiert für sich auf dem Laufband, Spinningbike oder auch auf den Bodenmatten. Es scheint, als würden die Fitnessstudiogänger der bevorstehenden Schließung etwas gelassener entgegenblicken als anderorts an diesem Tag.

Nachdem Cornelia Werner (50) am Samstag keine Zeit hatte, befindet auch sie sich unter den letzten Trainingsgästen. Sie geht jede Woche dreimal ins Fitnessstudio. Was die Zwangspause betrifft, fände sie es ganz schlimm, die nächsten Wochen nicht trainieren zu können und erklärt: "Die Menschen sind in einer sehr stressigen Situation. Durch Sport kann man sehr viel Adrenalin abbauen, und es entspannt." Dass etwas passieren müsste, dafür habe sie Verständnis, doch ihrer Meinung nach achtet das Studio sehr auf eine gute Umsetzung und auf Hygiene. Sie selbst war bereits an Covid-19 erkrankt und leidet noch unter den Spätfolgen. Der regelmäßige Sport tue ihr gut und helfe ihr dabei, wieder auf die Beine zu kommen. Fitmax stellt ein Onlineprogramm für seine Mitglieder zur Verfügung. Auch sie werde sich für den ein oder anderen Kurs anmelden der zeitlich passe, das sei jedoch kein Vergleich, erklärt Werner, "aber man tut immerhin was".

Beim Griechen

Ein etwas dunkler, fensterloser Flur wird durch einzelne dezente Lichtquellen in ein warmes behagliches Ambiente verwandelt. Ein würziger Geruch ist wahrzunehmen, und wer die Speisekarte des Germeringer Restaurants Mythos draußen gelesen hat, wird sich denken können, dass es sich es um den Duft der Spezialitäten vom Grill und aus dem Ofen handeln muss. Aus den angrenzenden Räumen tönt das Klirren von Besteck und Gläsern. Dazwischen mischt sich ein buntes Stimmengewirr der Restaurant-Gäste. Unter ihnen befindet sich auch die Familie von Susanne Geier (35). Genau genommen sind es vier Familien, denn ihre drei Onkel sind in Begleitung von Frau und Kindern. Sie hätten sich dass alljährliche gemeinsame Essen anlässlich des Feiertages Allerheiligen nicht nehmen lassen, erzählt sie. Im Anschluss gehe es noch auf den naheliegenden Friedhof zum Grab ihrer Großeltern. Kaffee und Kuchen daheim jedoch würden sie dieses Jahr ausfallen lassen, denn dafür reiche der Platz nicht aus, um Abstand zu halten. Im Restaurant hingegen schon. Auf drei Tische hat sich die Familien verteilt, um Abstand zu wahren und trotzdem beisammen sitzen zu können. Der Schließung sieht Geier schon etwas missmutig entgegen: "Wir gehen schon jede zweite Woche essen", es sei für sie ein Einschnitt. Während sie spricht, betreten weitere Gäste das Restaurant und halten Geschäftsführer Georgios Karatzoulis in Bewegung. "Daran wird sich heute auch nicht mehr ändern," meint er. Es sei Sonntag, noch dazu der vorerst der letzte Tag, vor der vierwöchigen Schließung.

Viele sind noch einmal zum Essen ausgegangen, wie hier beim Griechen. (Foto: Franziska Schmitt)

Licht aus

Selbst mit geschlossenen Augen wüsste man, wo man gerade steht. So unverwechselbar ist der Geruch vom warmen, duftenden Popcorn. Er lädt ein, es sich mit einer Tüte voll gesüßtem Mais im Cineplex-Kino von Germering bequem zu machen. Dieser Einladung sind am Nachmittag zahlreiche Familien nachgekommen. Es scheint so voll zu sein, wie unter Coronabedingungen nur möglich, denn Abstand und Maskenpflicht werden auch dort sichtbar groß geschrieben. Tische wurden zweckentfremdet und leiten nun die Gäste raus und wieder rein. Manche stehen noch in der Schlange vor der Snackbar, andere steigen schon die Treppen zu den Sälen hinauf.

Alba Azemi (25) und Nathalie Heise (37) haben sich und ihre Töchter Sienna (6) und Medina (7) schon mit reichlich Proviant ausgestattet. Auch sie haben das Kino heute als ihr Ausflugsziel ausgewählt, regelmäßige Kinogänger seien sie sonst nicht, erklären die beiden befreundeten Frauen. Heise sieht mit großen Augen einer Zukunft entgegen, "in der die Kinder nicht mehr so viel geboten bekommen." Ihre Tochter Sienna hat im November Geburtstag. Da sie ihn nicht gebührend feiern können, haben sie sich für diesen gemeinsamen Kinobesuch entschieden. Nun machen auch sie sich auf den Weg, denn gleich beginnt der Film.

Auch im Kino haben die Menschen den Sonntag vor dem Lockdown noch mal zum Ausgehen genutzt. (Foto: Franziska Schmitt)

Dass "die große Leinwand nicht zu ersetzen ist" , sieht Berhan Caliskan (28), stellvertretender Theaterleiter, auch mit dem heutigen Besucheransturm bestätigt. Außerdem habe er von vielen Gästen das Feedback erhalten, dass sie bereits sehr auf Filme wie das "Kaiserschmarrndrama" gefreut haben. Der neue Eberhofer-Krimi wäre nämlich Mitte November auf der Leinwand zu sehen gewesen, erklärt er dazu und schaut optimistisch in die Kinozukunft.

© SZ vom 03.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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