Eichenau:Zweiter Frühling für Kastanien als Notreaktion

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Der heiße und lange Sommer stürzt viele Bäume in einen Zustand, den Forstexperten "Depression" nennen

Von Peter Bierl, Eichenau

Wie im Frühling sieht dieser Kastanienbaum aus, der an der Olchinger Straße in Eichenau steht. Das Bild hat SZ-Leser Peter Schmitt aus Puchheim aber erst vor einigen Tagen aufgenommen. Es zeigt den Baum voll mit vielen jungen grünen Blättern und sogar Blütenständen mitten im Herbst. Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Anblick, selbst für Experten wie Hans-Jürgen Gulder, den Leiter des Brucker Forstamts. "Es ist ein Phänomen, das ich bisher nur aus Lehrbüchern kenne", räumt er ein.

Dafür ist die Erklärung relativ einfach. Der lange, heiße und trockene Sommer ist schuld. Was uns schöne Stunden beim Baden und laue Sommernächte bescherte, stürzte die Kastanie in Eichenau wie viele andere Bäume in einen Zustand, den der Forstmann als Depression bezeichnet. Der Hormonhaushalt solcher Bäume gerät durcheinander. In der Vegetationsperiode zwischen Mai und September konnte der Baum nicht genügend Nährstoffe bilden, weil es an Wasser mangelte. Frische Blätter mitten im Herbst seien eine Notreaktion, erklärt Gulder. Denn es fehlen jene Nährstoffe, die im Frühjahr den neuen Blattaustrieb ermöglichen.

In der Rinde des Baumes befinden sich sogenannte "schlafende Augen", das sind Knospen, die austreiben, wenn die Pflanze in Not gerät. Die neue Blattmasse soll die Photosynthese ermöglichen, um doch noch Nährstoffe zu produzieren. Allerdings kann dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt sein, sagt Gulder, weil die Wurzeln längst im Winterschlaf sind. Es fehlen Wasser und Stoffe aus dem Boden.

Der Klimawandel macht sich bemerkbar. Im Juli und August lagen die Durchschnittstemperaturen um knapp vier Prozent über dem Mittel der vergangenen hundert Jahre, die Niederschläge erreichten im August 70 Prozent und im Juli gar nur 30 Prozent des Normalen, erzählt der Forstmann. Darum waren die Wasserspeicher im Boden bald leer, die Bäume litten. Im nächsten Frühjahr werden Birken, Buchen, Bergahorn, Vogelbeeren und Eichen schwächeln, sofern sie auf trockenen Böden stehen, wie dem Schotter in der Brucker Hasenheide.

Während Birken und Vogelbeeren im August Blätter abwarfen, sieht man Schäden an Fichten erst jetzt an roten Nadeln. Borkenkäfer oder Kupferstecher haben sich über geschwächte Exemplare hergemacht. Ist die Krone einer Fichte rot, ist die Pflanze tot, sagt Gulder. Sturm "Niklas" im Frühjahr plus Hitze und Trockenheit im Sommer würden zu einer Borkenkäferplage im nächsten Jahr führen, prognostiziert er, weswegen Waldbesitzer sogenannte Käferbäume jetzt fällen sollten. Die Kastanie in Eichenau ist nicht gefährdet, ihre Notaustrieb eher Zeichen von Vitalität, schätzt Gulder.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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