Eichenau/Weitersroda:Ein Leben der Veränderung

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Aufgewachsen in Eichenau und Puchheim, lebt Florian Kirner nun auf Schloss Weitersroda. (Foto: Privat)

Florian Kirners Weg von der Brucker Schülerzeitung zum Romandebüt

Von Valentina Finger, Eichenau/Weitersroda

Einst habe er eine Nachbarin gehabt, die oft bis spät in die Nacht Klavier gespielt habe, jedoch ausgeflippt sei, wenn bei ihm mal für fünf Minuten Techno lief, sagt Florian Kirner. Es sind kleine Alltagsabsurditäten wie diese, die es nahezu wörtlich in seinen Debütroman geschafft haben. In seinem Roman "Leichter als Luft", der an diesem Montag erscheint, schildert Kirner, der in Puchheim und Eichenau aufgewachsen ist, den Wandel und Zerfall einer linken von der Auflösung herkömmlicher Gesellschaftsstrukturen fantasierenden Berliner Elektro-Subkultur.

Obwohl der 44-Jährige, der nach Stationen in Hamburg, Köln und Tokio seit 2008 mit mehreren Mitbewohnern auf Schloss Weitersroda im gleichnamigen Ortsteil im südthüringischen Hildburghausen lebt, damit eine Art Berlin-Chronik vorlegt, hat er in seinem Leben lediglich drei Monate am Stück in der Hauptstadt gewohnt. Seit Anfang der Neunzigerjahre sei er jedoch jedes Jahr zwischen fünf und 20 Mal dort gewesen. "Manchmal nimmt man Veränderungen deutlicher und plastischer wahr, wenn man nicht direkt drinsteckt", sagt er.

Verändert hat sich in Kirners Leben vieles und immer wieder. In der sechsten Klasse trat er am Fürstenfeldbrucker Graf-Rasso-Gymnasium der Redaktion der Schülerzeitung "Sparifankerl" bei. Heute schreibt er, neben seinen Tätigkeiten als Schriftsteller, Liedermacher und Kulturförderer weiterhin für verschiedene Medien.

Liedermacher, wie sein Vorbild Franz Josef Degenhardt, wollte er schon immer werden. Doch erst wurde Kirner linksradikal. Im Vorfeld seines Coming-outs als homosexuell wechselte er zur elften Klasse auf das Luisengymnasium in München. Er habe in dieser Phase seines Lebens auf ein urbaneres und weltoffeneres Umfeld gesetzt, sagt er. 1991 lernte er, der seinerseits aus einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus kam, im Zuge der Schülerbewegung gegen den Golfkrieg Leute kennen, die sich weiter links orientierten. Nach dem Abitur zog er nach Hamburg und wurde Mitglied der linksradikalen Organisation "Linksruck".

"Damals war ich überzeugt davon, dass wir demnächst die Weltrevolution herbeiführen", erinnert sich Kirner. Irgendwann flaute diese Gewissheit ab. So richtig reingepasst habe er in die radikale Szene rückblickend nie, sagt er: "Meine Lieder und Gedichte habe ich immer heimlich geschrieben, denn für solche Weichheiten war kein Platz in diesem martialischen Männerbild eines Kämpfers und Berufsrevolutionärs."

Der Verlust seiner Mission stürzte Kirner in eine Krise. Wie die Grenzgängerfiguren in seinem Buch, an dem er seit 2001 in Schüben geschrieben hat, sei er auf einmal zwischen den Welten gehangen: "Ich wusste, dass ich etwas Neues machen will, aber ich bin irgendwie nicht zu diesem Neuen durchgedrungen." In dieser Zeit lernte er die Elektroszene kennen. Er nahm Drogen und beschäftigte sich mit asiatischen Philosophien, mit denen er sich besser identifizieren konnte als mit dem Christentum.

Im Zuge seines anschließenden Studiums der angloamerikanischen Geschichte und Japanologie in Köln verbrachte Kirner ein Jahr in Tokio. Als er zurückkam, hatte er vom Leben in städtischen Ballungsräumen genug. Erst versuchte er, den Bauernhof seiner Großtante am Schliersee zu retten. Als das misslang, zog er frustriert nach Berlin. Später fand er im Internet das 1478 erbaute Schloss Weitersroda. Er lieh sich Geld, nahm einen Kredit auf und kaufte es.

Seitdem versuchen er und seine Mitbewohner, dort so autark wie möglich und im Einklang mit der Natur zu leben. Unter anderem, weil die Instandsetzungsmaßnahmen des alten Baus so viel Zeit in Anspruch genommen haben, sei sein Buchprojekt damals etwas in den Hintergrund gerückt. Irgendwann habe ihn jedoch der Ehrgeiz gepackt und so stellte er den Roman nach 18 Jahren Schreibzeit endlich fertig.

Seit Ende der Neunzigerjahre tritt Kirner unter dem Pseudonym Prinz Chaos II. als Liedermacher auf. Durch die Liedermacherei habe er auch gelernt, wie man mehrdimensionale Figuren erschaffe. In den vergangenen Jahren arbeitete er unter anderem häufig mit Konstantin Wecker zusammen, mit dem er auch das politikkritische Pamphlet "Aufruf zur Revolte" verfasste. Auf seinem Schloss organisiert er seit 2011 das Musikfestival "Paradiesvogelfest".

Darüberhinaus tritt er seit 2017 mit der wie er in Eichenau aufgewachsenen ehemaligen Schandmaul-Geigerin Anna Katharina Kränzlein auf. Zunächst als "Rebellische Saiten" unterwegs, veröffentlichen Kirner und Kränzlein, die sich erst vor wenigen Jahren kennenlernten, obwohl ihre Familien seit langem befreundet sind, nun unter dem Projektnamen Prinzessin & Rebell ihre neue Single "Der Pfahl", die seit vergangenen Freitag digital verfügbar ist.

Während des Künstlerdaseins ist Kirner weiterhin Aktivist. Jedoch sehe er die Dinge nicht mehr so dogmatisch wie früher. Gerade angesichts der akuten Bedrohung durch den Klimawandel führe ein strenges Freund-Feind-Schema zu nichts, sagt er: "Ein Öko-Unternehmer ist nicht der Feind, nur weil er Unternehmer ist, sondern er ist vielleicht ein essenzieller Teil der Lösung."

Seinen Radikalismus hat er nicht völlig verloren. Derzeit ist er in der ökologischen Bewegung aktiv. Und wieder ist er überzeugt, dass die Zivilisation in den Grundfesten erschüttert werde. Denn anders werden, sagt Kirner entschieden, müsse in Zukunft einfach alles.

© SZ vom 02.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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