Eichenau:Training mit der Papierschlange

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Der Olchinger Polizist Wolfgang Klein diskutiert mit Schülern über die Gewalt, die bestimmte Verhaltensweisen ausüben

Von Julia Bergmann, Eichenau

Eine lange Papierschlange liegt im Sitzkreis der 8. Klasse an der Starzelbachschule in Eichenau. Sie besteht aus aneinandergeklebten Blättern, die die Zahlen von Null bis Zehn tragen. "Das ist die Gewaltskala", erklärt der Olchinger Polizist Wolfgang Klein, Leiter des Präventionsteams. Klein verteilt Zettel an die Schüler. Auf einigen stehen nur einzelne Begriffe wie etwa "Springerstiefel", auf anderen werden Szenarien beschrieben wie: "Ich sage zu einem Mitschüler: Ich mach dich alle!" Oder: "Bei einer Schlägerei zusehen". Oder: "Im Unterricht ständig quatschen". Jeder der Schüler soll seinen Zettel neben eine der Zahlen der Skala legen. Null steht für keine Gewalt, zehn für extreme Gewalt. Es sind Vorträge und Workshops wie diese, die Klein unter anderem an Schulen hält, um dem Ernstfall vorzubeugen, um die jungen Leute zu sensibilisieren.

Der ein oder andere Schüler im Sitzkreis wirkt ratlos, schon wird getuschelt, bis sich jemand zu fragen traut, wie man das Ganze denn verstehen und bewerten solle. "Jeder von euch hat im Kopf ein eigenes Bild, wenn er sich die Begriffe ansieht", sagt Klein. Die Schüler sollen auf ihr Bauchgefühl hören. Die Ersten legen ihre Zettel ab. "Jemanden auslachen" landet auf fünf, "Jemand schlägt seinen Hund mit der Leine, weil er nicht hört" auf eins, "Im Unterricht ständig quatschen" auf zwei.

Die Schüler sind fertig, Klein blickt in die Runde und fragt: "Seid ihr damit alle zufrieden?" Und schon geht die Diskussion los. Einer der Jungs fragt, was das mit Gewalt zu tun habe, wenn man jemanden auslacht. Sein Sitznachbar setzt gleich zur Demonstration an. "Haha, du bist hässlich!", schmettert er ihm an den Kopf. "Na, wie fühlst du dich jetzt?" Der Junge zuckt zusammen, lässt sich aber nicht beirren und findet nach wie vor, dass das keine Gewalt sei. Eine Mitschülerin schüttelt den Kopf. "Vielleicht keine körperliche, aber psychische Gewalt", sagt sie. Der Erste wird stumm. Irgendwie muss er seiner Mitschülerin doch recht geben. Sie ist es auch, der missfällt, dass das Schlagen eines Hundes nur mit einer Eins auf der Skala bewertet wurde. Der müsste, ginge es nach ihr, sogar auf die zehn. Viele ihrer Mitschüler schließen sich an. Warum liegt der Hund auf der Eins?

Klein beginnt, die Schüler zu provozieren: "Wenn du einen Tisch schlägst, ist das auch Gewalt?", fragt er. "Nein, das ist Sachbeschädigung", lautet die Antwort. "Vor dem Gesetz ist der Hund auch eine Sache", erwidert Klein. Das Mädchen schaut ungläubig. "Aber er lebt", sagt sie. Und dann beginnen die vielen Abwägungen. Wenn der Hund, eine Riesenbestie, auf die Schüler losgehen würde, dann würden sich die meisten wehren. Auf den wehrlosen kleinen Rauhaardackel, der müde vom vielen Gehen ist und nicht weiterlaufen will, möchte aber niemand mit der Leine eindreschen. Und überhaupt - geht es in dem Szenario darum, dass man nur ein bisschen an der Leine rüttelt oder geht es um richtige Hiebe? "Seht ihr, eure Bilder unterscheiden sich", sagt Klein. "Wenn wir die Bilder nebeneinander ausbreiten würden, würden wir dann auf einen Nenner kommen?" Nein, das sei unmöglich, findet die Klasse.

Aber die Sache mit dem Schwätzen, das sei ja nun wirklich keine Gewalt, mault einer aus dem Kreis. der Lehrer, der ebenfalls im Sitzkreis hockt, schüttelt etwas ungläubig den Kopf. Und auch Klein hält dagegen. Nach drei Stunden Gewaltprävention in der 8. Klasse, kann er in der Sache auch ein Wörtchen mitreden. "Es stört, wenn man etwas vorträgt und ständig jemand reinredet", sagt er. Das sei auch eine Sache des Respekts. An den Lehrer gewandt, fragt er, was dieser darüber denke. Die Schüler kichern. "Man fühlt sich manchmal nutzlos", sagt der Lehrer. Einige der Schüler verstummen jetzt.

Am Anfang stand die Frage, was Klein mit der Gewaltskala zeigen wollte, am Ende fasst er für die Schüler zusammen. "Was denkt ihr, woran es liegt, dass wir beim Thema Gewalt nicht auf einen Nenner kommen? Kann ich für euch sagen, was Gewalt ist?", fragt er. Kollektives Kopfschütteln. "Mehr kann ich euch nicht mitbringen", sagt Klein. Was man als Gewalt empfindet, ist sehr individuell, liegt an Persönlichkeit und Erfahrungen. "Trotzdem entscheiden wir tagtäglich für andere, was sie aushalten müssen", erklärt der Polizist. Zumindest ein paar Augenpaare bleiben an Klein kleben. "Wenn ich nur einen von 20 Schülern mit dem, was ich gesagt habe, erreicht habe, ist das gut", sagt Klein nach der Veranstaltung. Dass er nicht jeden mit ein paar Worten bekehren kann, weiß er. Aber er glaubt daran, dass das was er tut, einen Einfluss hat.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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