SZ-Serie "Dauerbrenner" - Teil 6:Niemand will das Geld von Aldi

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Für das seit 1972 in Eichenau etablierte Logistikzentrum wird seit Jahren ein neuer Standort gesucht. Doch überall, wo Vertreter des Discounters anfragen, schlägt ihnen Misstrauen oder gar Ablehnung entgegen. Dabei geht es um viele Arbeitsplätze und ansehnliche Summen, mit denen die Kommunen auf Dauer rechnen könnten

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Die Lkw-Motoren nageln nicht mehr vor sich hin, ganz selten überquert ein Mitarbeiter den Hof, die meisten Rolltore an den 72 Rampen sind geschlossen. Ein Anblick, der nicht darauf schließen lässt, dass hier geschäftiges Treibe herrschen könnte, dass von diesem Logistikzentrum des Discounters Aldi an der Holzkirchner Straße in Eichenau tagtäglich ein Warenvolumen umgesetzt wird, das in 120 Lastwagen passt.

Es ist Nachmittag und die Zeit zwischen dem Ende der Auslieferung und dem Beginn neuer Wareneingänge auf dem acht Hektar großen Grundstück im südlichen Gewerbegebiet von Eichenau. Ein Ort, an dem 200 Menschen in Verwaltung und Logistik arbeiten, eine Arbeitsstätte, die Bettina Felbinger und Michael Klöter schon längst woanders hätten neu aufmachen wollen. Deutlich größer und besser gelegen, ohne Wohnbebauung drumherum und bestens angebunden an eine Autobahn und andere Schnellstraßen. Doch Felbinger, seit 2007 Geschäftsführerin des Aldi-Logistikzentrums in Eichenau, und der für die Filialentwicklung zuständige Klöter können noch nicht umziehen, weil ihre langjährige Suche nach einem Grundstück bislang erfolglos war.

Das Logistikzentrum, meint seine Geschäftsführerin, könne weit mehr als die derzeit nur 37 Filialen in München und seinem Umland beliefern. Hätte man nur ein deutlich größeres Grundstück und damit eine deutlich größere Fläche für ein Auslieferungslager. 120 000 Quadratmeter sollte das neue Aldi-Gelände schon haben, darauf ein Logistikzentrum mit 50 000 Quadratmetern Fläche.

Solche Grundstücke in sehr gut erreichbaren und auch bezahlbaren Lagen gibt es nicht viele, aber einige als geeignet erscheinende Flächen haben sich Klöter und Felbinger in den Landkreisen Fürstenfeldbruck und Starnberg schon näher angesehen. Sie haben dort mit den Gemeinden verhandelt, und, als es konkreter wurde, mit Befürwortern wie Gegnern einer Ansiedlung geredet. Doch sie haben bei mittlerweile zwei Bürgerentscheiden auch feststellen müssen, dass sie trotz verlockender Kaufsummen und der Ankündigung von über Jahre hinweg stabilen Gewerbesteuerzahlungen die Bürger nicht überzeugen konnten.

Dabei ist es wohl nicht so, dass die Aldi-Manager an Ärger gewöhnt sein müssten. In Eichenau, wo sich das Lager seit 1972 befindet, gab es lange Jahre überhaupt keine Konflikte. Wie auch, wenn zwischen Gewerbefläche und Wohnbebauung viel Platz war. Erst als die Wohnhäuser dem Warenlager näher rückten und die neuen Nachbarn vom Lärm etwas mitbekamen, setzte Kritik ein, wie sich Klöter erinnert. Man habe seinerzeit reagiert, habe einen Teil der Laderampen geschlossen, um weitere Belästigung zu vermeiden. Seither herrscht weitgehend Ruhe. Aldi ist im Ort ein geschätzter Gewerbebetrieb mit verlässlichen Steuerzahlungen, vor allem aber ein Betrieb, in dem auch etliche Eichenauer ihre Arbeitsplätze haben.

25 Jahre lang war das Aldi-Lager groß genug. Im Jahr 1997 wurde das Logistikzentrum zum ersten Mal erweitert, das Verwaltungsgebäude wurde kernsaniert, alles erneuert. Zehn Jahre später erfolgte eine weitere, kleinere Erweiterung, und Bettina Felbinger sähe durchaus eine Chance, in einem neuen Bauabschnitt 7000 bis 8000 Quadratmeter hinzuzugewinnen. Aber über die Straße nach Süden sich auszubreiten, die Freifläche dort zu nutzen, ist nicht möglich. Wasserschutzgebiet.

Weil eine Aufstockung des bestehenden Warenlagers aus statischen Gründen nicht möglich ist, ein Neubau an selber Stelle mindestens drei Jahre ohne dieses für Aldi wichtige Lager bedeuten würde, entschloss man sich um das Jahr 2010 herum, in der Nähe intensiver nach einem neuen Standort zu suchen.

Klöter wurde nur wenige Kilometer Luftlinie von Eichenau entfernt in direkter Nähe der Autobahn 96 und an der Grenze zwischen Gilching und Gauting im Landkreis Starnberg fündig und verhandelte mit dem Grundstückseigentümer vier Monate lang. Am Ende standen ein Kaufvertrag über die Fläche, die ein interkommunales Gewerbegebiet von Gilching und Gauting hätte werden sollen, und Ausgaben für die Beurkundung von 100 000 Euro. Gilching, sagt Klöter, habe Aldi haben wollen, Bürgermeister Manfred Walter sei Feuer und Flamme gewesen.

Unterstützt wurden die Aldi-Pläne von der Initiative "Gilching gewinnt", deren Mitglieder sich schon auf die dauerhafte und ziemlich hohe Gewerbesteuer freuten. Nur ein Teil der Gilchinger tat dies eben nicht. Dieser Teil aber wurde größer, je länger die politische Diskussion über die Ansiedelungspläne liefen. Es entstand die Initiative "Gilching bleibt fair", deren Mitglieder das Schreckensszenario eines neuen Gewerbegebiets im Bannwald zwischen Gilching und Gauting entwarfen. Zudem wurde argumentiert, dass es ein Missverhältnis zwischen Naturzerstörung und dem angeblichen Steueraufkommen gebe und ohnehin nicht so viele Arbeitsplätze entstünden, wie man erwartet habe.

Am Ende des Kapitels Gilching stand für Aldi im Oktober 2012 ein Bürgerentscheid, der erst über eine Klage beim Verwaltungsgericht München durchgesetzt wurde. 53 Prozent der etwa 13 000 zur Abstimmung aufgerufenen Gilchinger nahmen damals ihr Wahlrecht wahr. Mit einer Zweidrittelmehrheit wurde das Projekt abgelehnt. Schon vor dem Entscheid war an der gespannten Stimmung abzulesen, in welche Richtung es gehen würde.

Mit dazu beigetragen hatte Aldi selbst, als der Konzern einen in seinen Augen allzu kritischen Steuerberater aus Gilching bei dessen Kammer wegen angeblicher "irreführender Tatsachenbehauptung" anschwärzte.

Filialentwickler Klöter musste also nach dieser Niederlagen erneut auf Grundstückssuche gehen und befasste sich mit den Grundstücken ganz auf Gautinger Flur Denn die Gautinger, das hatte sich schon gezeigt, schienen den Plänen des Discounters aufgeschlossen gegenüberzustehen. Der Lieferverkehr würde Gauting oder seine Ortsteile wohl nicht betreffen, schließlich gehe es ja um den Autobahnzubringer, wurde argumentiert. Doch Aldi zieht zurück, weil die Planung im Gautinger Gemeindegebiet aufwendiger geworden wäre - und die Gilchinger Anti-Aldi-Allianz erneuten Widerstand angekündigt hatte.

Fast zwei Jahre nach dem Debakel in Gilching wurde die Eichenauer Aldi GmbH auf ein Grundstück nahe der Autobahnanschlussstelle Wörthsee aufmerksam gemacht.

Diese 130 000 Quadratmeter große Fläche zwischen Waldrand und Autobahn, auf dem Grundstück "Am Ziegelstadel" weit genug von der Wohnbebauung entfernt, entsprach in allen Punkten dem, was sich Klöter für den neuen Standort erhofft hatte. Denn dorthin hätten die Mitarbeiter keine weiten Anfahrtswege gehabt, wohl niemand hätte wegen des neuen Arbeitsplatzes umziehen oder gar aufhören müssen.

Für Felbinger und Klöter schien sich 2013 eine neue Chance ergeben zu haben, zumal das Grundstück im Eigentum der Gemeinde Wörthsee ist und der damalige Bürgermeister Peter Flach (CSU) wie schon sein Gilchinger Kollege fast drei Jahre zuvor Feuer und Flamme für das Projekt gewesen sei. Zehn Millionen Euro Kaufangebot waren auch nicht so einfach vom Tisch zu wischen.

Das Logistikzentrum in Eichenau sowie um die 80 weitere Aldi-Immobilien waren drei Jahre zuvor im Paket verkauft, die Eichenauer Zentrale zurückgemietet worden. Die Mietverträge sind laut Prokurist Klöter verlängerbar, so dass sich die Gemeinde Eichenau im Grunde keine Sorgen machen müsse, dass sich Aldi kurzfristig aus der Gemeinde verabschiedet. Unter Zeitdruck stand der Discounter also nicht, als die Gespräche in der Gemeinde Wörthsee im Mai 2013 begannen.

Doch noch bevor Klöter die Gelegenheit bekam, bei einer Infoveranstaltung der CSU die Vorzüge seines Projekts für die Gemeinde vorzustellen, organisierte sich der Protest. Die örtliche SPD und später auch die Grünen unterstellten der Wörthseer CSU Hinterzimmerpolitik. Noch bevor also das Thema im politischen Gremium behandelt wurde, zerlegten es Parteien und aufgebrachte Bürger. Klöter hatte einen schweren Stand.

Flächenvernichtung, Naturschutzbelange und die Gefahr eines neuen Gewerbegebiets, das sich vielleicht bis Gilching an der Autobahn hätte hinziehen können, waren die Schlagworte, mit denen die Gegner argumentierten. Auch wenn ein Großteil der Wörthseer die Filialen von Aldi in den Nachbarorten als Konsumenten aufsuchen, weil es in Wörthsee nur einen Supermarkt gibt, so entschieden sie als Wähler mit fast 55 Prozent gegen die Pläne für das Warenlager in ihrer Gemeinde. Damit nahmen die Wörthseer an, das Thema sei nun erledigt.

Obwohl sich immer mehr Politiker an die Vorgaben solche Bürgerentscheide halten und den damit zum Ausdruck gebrachten Willen auch umzusetzen versuchen, unterliegt der Entscheid doch einer Bindungsfrist. Die konnte Aldi in aller Ruhe abwarten und den zweiten Auftritt in Wörthsee vorbereiten. Denn eins wusste man in der Eichenauer Zentrale: Nicht alle dort sind gegen uns.

Treibende Kraft in der fast 5000 Einwohner zählenden Gemeinde Wörthsee für die Ansiedlung ist die CSU. Durch die erfuhr Aldi auch nach dem Bürgerentscheid weiter Zustimmung, so dass Klöter im Oktober vergangenen Jahres mit einer Bitte an Bürgermeisterin Christel Muggenthal (SPD) herantrat, die Pläne noch einmal vorstellen zu dürfen. Etwas gänzlich Neues hätte er nicht zu präsentieren gehabt, sagt er, aber das Projekt sei unter völlig neuen Rahmenbedingungen zu sehen. Zum einen, weil sich die Gemeinde Wörthsee mit dem Neubau der Grundschule verschuldete, zum anderen, weil sich die Flüchtlingsthematik auch finanziell auf die Gemeinde auswirke. Das alles wollte Klöter mit dem nach der Kommunalwahl 2014 neu zusammengesetzten Gemeinderat im geschützten Raum einer nicht öffentlichen Sitzung besprechen. Also ohne Zuhörer und ohne Presse. Neu an der Runde ist eine parteifreie Fraktion, die erst mit der Kommunalwahl 2014 in den Gemeinderat gekommen war.

Aber weil es im Zusammenhang mit dem Weltkonzern Aldi auch immer um Stimmung geht, sickerte das Ansinnen Klöters nach Geheimhaltung durch, und die Gemeinde sah sich genötigt, Klöters Vortrag in den öffentlichen Teil zu verlegen. Dort aber erwartete ihn ein neugieriges bis argwöhnisches Publikum und ein neues, teils unbekanntes Gremium, das auf ihn einen feindlichen Eindruck gemacht haben muss. Nach der Vorstellung seines Projekts, das sich in drei Jahren natürlich nicht verändert hatte und deshalb für die Kommunalpolitiker auch keinen Neuigkeitswert hatte, war sich Klöter jedenfalls klar: "Das war unsere allerletzte Vorstellung in Wörthsee."

Die Suche nach einem Grundstück geht also weiter, sie muss weitergehen. Denn von dem Auslieferungsbetrieb könnten noch mehr Filialen angesteuert werden. Aber Bettina Felbinger und ihr Team wären nicht erfahrene Logistiker, wenn sie nicht die Möglichkeiten, die sie derzeit haben, immer wieder verbessern und den Platz optimal ausnützen würden. "Wir arrangieren uns mit der Fläche, die wir haben", sagt Felbinger. Deshalb wird in diesen Monaten innerhalb der Eichenauer Anlage umgebaut, so dass man erforderliche logistische Vorgänge besser abwickeln kann. Bettina Felbinger sagt, dass diese Kosten nicht der Vermieter trage, sondern Aldi selbst.

Felbinger wie auch Klöter ist es nicht egal, wo sie eine Fläche in der gewünschten Größe bekommen. Das machen beide deutlich. Am liebsten wäre es ihnen, gar nicht oder nicht weit weg umziehen zu müssen. So ganz ausgeschlossen scheint es nicht zu sein, dass selbst Nachbarkommunen von Eichenau in Frage kämen. Orte, die nahe an wichtigen Verkehrsknotenpunkten und Schnellstraßen liegen und die über Flächen verfügen, an die lange kein Wohngebiet heranwachsen wird. Germering etwa hätte solche Standortvoraussetzungen, doch dort hat man wohl schon abgewunken und setzt für die Entwicklung andere Prioritäten. Und doch noch einmal Wörthsee? "Wir werden nicht mehr selbst aktiv, sagt Felbinger. "Wir sind weiter gesprächsbereit", sagt Klöter.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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