Eichenau:Der Sprung über die Gleise

Lesezeit: 3 min

Die unmittelbare Nachbarschaft zum S-Bahnhof macht die Äcker nördlich der Gleise zu einem ideal gelegenen Wohnstandort. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Wegen der guten S-Bahn-Anbindung liegt es nahe, nördlich des Bahnhofs auf Emmeringer Gemarkung einen Siedlungschwerpunkt zu schaffen. Die Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz lehnt das aber kategorisch ab

Von Gerhard Eisenkolb, Eichenau

Die Frage, ob die Gemeinde Eichenau im Norden des Bahnhofs einen neuen Hauptsiedlungsschwerpunkt schaffen soll, ist bei der SZ-Aktion "Was Eichenau bewegt" kontrovers diskutiert worden. Eugenie Scherb, Eichenauerin und Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz (BN), lehnt ein solches interkommunales Vorhaben - der Grund gehört dem Freistaat und liegt zudem noch auf Emmeringer Flur -, aus grundsätzlichen Erwägungen kategorisch ab. Also nicht nur aus Naturschutzgründen und weil es sich um ein Überschwemmungebiet handle, sondern auch wegen der enormen Lärmbelastung infolge der ungünstigen Lage zwischen den Bahngleisen und zwei viel befahrenen Straßen. Dagegen spricht der ehemalige Eichenauer Gemeinderat Michael Gumtau wegen der Nähe zur S-Bahn von einem fast idealen Standort, der sich für ein "städtebauliches Modellprojekt" geradezu anbiete. Seit längerem raten Planungsexperten dazu, neue Baugebiete im Landkreis gezielt an gut erschlossenen Verkehrskonoten auszuweisen. Auch im Zusammenhang mit der Struktur- und Potenzialanalyse für den Landkreis wird ein solches Vorgehen diskutiert, um den Verkehrskollaps zu verhindern.

Dem Sozialdemokraten Gumtau geht es allerdings nicht darum, in einem Schnellverfahren dort Geschosswohnungen hochzuziehen. Er spricht von einer Langzeitplanung. Einschränkend führt er an, dass das Projekt nur in Zusammenarbeit mit der Stadt München zu befürworten sei. Der Pluspunkt der als Ackerland genutzten Flächen ist die unmittelbare Nähe zum Bahnhof. Das deckt sich mit Überlegungen des Gemeinderats, sowohl mit Gewerbebetrieben als auch mit einer Siedlung nach Norden zu expandieren und sich die Zukunftsoption im Regionalplan offen zu halten.

Gumtau fragt sich schon seit längerem, wann Eichenau den Sprung über die Bahnlinie wagt, die im Norden seit Jahrzehnten die Baugrenze bildet. Da ein solcher Schritt Folgen für die Struktur des östlichen Teils des Landkreises nach sich ziehen würde, plädiert Gumtau dafür, die Verkehrsströme zwischen München und dessen westlicher Peripherie in diese Überlegungen einzubeziehen. Als sinnvoll gilt der künftige Siedlungsschwerpunkt nur, wenn die S 4 ertüchtigt wird. Ansonsten würde der Nutzen selbst des besten, zu Fuß zu erreichende S-Bahnanschlusses verpuffen. Der Reiz des potenziellen Baugebiets liegt darin, dass dessen Bewohner für Besorgungen und den Weg zur Arbeit nicht mehr auf ein eigenes Auto angewiesen wären. Zudem könnte die Gemeinde wachsen, was zurzeit fast nur noch durch Verdichtung im bereits bebauten Bereich geschieht. Über größere Freiflächen verfügt die Gemeinde ansonsten nur noch im Süden.

Einer Meinung ist die Naturschützerin Scherb mit Gumtau, wenn es darum geht, vom Individualverkehr mit dem eigenen Auto und den deshalb verstopften Straßen wegzukommen und stattdessen den Personennahverkehr auszubauen. Für den Umstieg auf öffentliche Nahverkehrsmittel zu werben, ist für Eugenie Scherb eine Selbstverständlichkeit. Eine andere Selbstverständlichkeit ist es für sie, nicht mehr weiter Ackerland in Siedlungen umzuwandeln. Verfügt eine Kommune über keine Freiflächen mehr, solle sie eben aufhören zu bauen, sagt sie. "Wir brauchen die Freiflächen zwischen den Häusern und zwischen den Gemeinden", beteuert die Eichenauerin. Zudem handle es sich bei den Äckern nördlich der Bahn um ein Überschwemmungsgebiet, das nach stärkeren Regengüssen regelmäßig unter Wasser stehe. Die östlich der Staatsstraße gelegen Flächen im Norden der Gleise bezeichnet Scherb sogar als "Altlast". Bei diesem Bereich soll es sich um eine ehemalige Mülldeponie handeln, was zu ähnlichen Konflikten wie in Puchheimer führen werde, wo früher der Münchner Müll sortiert und abgelagert worden war. Auch unter interkommunaler Zusammenarbeit versteht die BN-Kreisvorsitzende etwas anderes als die Überplanung des Hoheitsgebiets einer Nachbargemeinde. Interkommunal zu agieren, könnte zum Beispiel bedeuten, eine gemeinsame Leerstandsanalyse anzustoßen oder gemeinsame Überlegungen zur Nachnutzung von größeren Gewerbeflächen wie dem in den nächsten Jahren frei werdenden Aldi-Gelände in Eichenau.

Noch einen Einwand hat Scherb. Sie sagt: "Wir siedeln hemmungslos Menschen an, ohne nach der Daseinsversorgung zu schauen". Mit der Folge, dass Landwirte anderswo die Nahrungsmittel produzieren müssten, weil sich niemand mehr frage, wo das Essen herkomme. Das Gleiche gelte für das Wasser oder die Energie zur Versorgung der Zugezogenen. Letzteres müssten die Kommunen organisieren.

Der Emmeringer Bürgermeister Michael Schanderl (FW) zeigt sich dagegen aufgeschlossen. Er bekennt sogar, sich schon überlegt zu haben, wie so etwas gegebenenfalls zu organisieren wäre. Ein solcher Siedlungsschwerpunkt kann laut Schanderl nur zur einen oder zur anderen Kommunen gehören, nicht zu beiden. Im konkreten Fall liegt es laut Schanderl nahe, dass das die Gemeinde Eichenau wäre. Da Emmering keine Flächen abtrete, ohne selbst davon zu profitieren, schlägt der Bürgermeister vor, den Ausgleich über eine Beteiligung an der Wertabschöpfung zu regeln. Die Gemeinde Emmering solle einen Teil des Zugewinns infolge der Ausweisung des Baulands erhalten. Für realisierbar hält Schanderl ein solches interkommunales Projekt nur durch ein Geben und Nehmen. Einschränkend merkt der Rathauschef jedoch an, im Gemeinderat dieses Thema noch nicht angesprochen zu haben.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: