Eichenau:Auflösungstendenzen

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Diskussion über Europa (von links): Gabriele Riehl, Stefan Kornelius, Martin Eberl und Herbert Kränzlein. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Eichenauer SPD macht sich Sorgen um die Europäische Union

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Reisen ohne Grenzkontrollen, Handel ohne Zölle, Verständigung statt Verteidigungsbereitschaft: Das alles wird mit dem heutigen Europa verbunden. Aber so wird es möglicherweise in ein paar Jahren schon nicht mehr sein. Weil Großbritannien aus der Europäischen Union austreten möchte, weil es solche Tendenzen in Frankreich und Italien gibt, weil die jungen osteuropäischen Mitgliedsstaaten ganz andere Vorstellungen von Europa haben als Deutschland, Belgien oder die Niederlande. Auch in Eichenau machen sich die Menschen ihre Gedanken über die "EU in Not". Dieses Thema hat der SPD-Ortsverein am Montag einem Vortragsabend mit dem Leiter des Ressorts Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, gegeben.

Es ist ein Europa entstanden, sagt Kornelius, "das wir nicht mehr verstehen". Das habe viel damit zu tun, dass die Menschen in einer globalisierten und digitalisierten Welt gar nicht mehr alles erfassen oder erkennen könnten. Die Komplexität überfordere. Weil immer weniger Verständnis aufgebracht werde, komme es zur Gegenreaktion. Politik und Medien werde die Kompetenz abgesprochen, die immer komplexere Welt erklären zu können. Es würden einfache Lösungen verlangt, und diese Situation nutzten jene aus, die vermeintlich einfache Antworten versprächen. Kornelius stellt fest, dass der Populismus in Europa eine eigene Dynamik hat. Wie stark solche populistischen Reflexe sein können, vermag der Außenpolitik-Chef der SZ trotz aller Erfahrung nicht einzuschätzen. Das hat ihn die Entscheidung der britischen Wähler über den Ausstieg aus der EU gelehrt.

Den Brexit nennt Kornelius die "einschneidendste Erfahrung Europas". Denn mit dem britischen Volksentscheid habe sich die Auflösungsdynamik dramatisch beschleunigt. Die nächste Schicksalsentscheidung über Europa sei die Wahl in Frankreich. Sollte dort ein Rechtsruck dazu führen, dass auch Frankreich die EU verlassen wolle, dann sei die Selbstauflösung der Europäischen Union in der heutigen Form nicht mehr zu stoppen.

"Es fehlt eine neue richtige Idee für Europa", kommentiert der Eichenauer SPD-Landtagsabgeordnete Herbert Kränzlein in der Diskussion mit Kornelius. Kränzlein meint, es müsse erklärt werden, was alles kaputt gehen könne - ohne die Europäische Union. Doch von wem soll das ausgehen, wenn außer Deutschland nur noch ein paar Staaten europapolitische Ziele hätten? Eine Europa-Euphorie sei nicht mehr zu spüren, selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rechne mit einem Rückbau. Das von Juncker formulierte Ziel des Europas der zwei Geschwindigkeiten werde es so nicht geben, ist Kornelius überzeugt. Es würden "multiple Geschwindigkeiten" werden, es könne sogar sein, dass letztlich nur noch der Binnenmarkt allein die europäischen Staaten verbinde. Dass es die "Komplexitätsverweigerer", wie Kornelius sie nennt, schafften, die Staaten wieder gegenseitig abzugrenzen, glaubt der Redakteur nicht: "Die Idee des Nationalstaats ist vorbei."

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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