Die Seele des Vereins:Aufmüpfige Mösler

Lesezeit: 4 min

Rudolf Ulrich und Albert Donhauser setzen sich dafür ein, Gröbenzells Eigenheit als ehemalige Siedlung in einer Moosgegend zu bewahren. Um das Kulturerbe zu erhalten, fördern sie mit den Gröbenhütern das Interesse an Heimatgeschichte

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Vielleicht ist Albert Donhauser ja der letzte Gröbenzeller Mösler. Ein Mösler gehört zu einem ungewöhnlicher Menschenschlag. Er hat unter anderem Schwimmhäute zwischen den Finger haben soll, wie Donhauser verschmitzt anmerkt. Schließlich hat sich, wer mit einer solchen Schwimmhaut ausgestattet ist, nur an sein Lebensumfeld angepasst. Man kann also auch in einem unwirtlichen Moos oder Überschwemmungsgebiet überleben. Als Donhauser noch zur Schule ging, mussten sich Gröbenzeller Buben wie er schon mal als Mösler beschimpfen lassen. Wobei es Gröbenzell als Gemeinde damals gar nicht gab. Weshalb Donhauser mit einem Augenzwinkern zurecht sagt, er sei ja eigentlich ein gebürtiger Olchinger, obwohl sein Geburtshaus mitten in Gröbenzell liegt.

Rudolf Ulrich, Vorsitzender "Der Gröbenhüter", und Donhauser als sein Stellvertreter, sind es gewohnt, solche Widersprüche humorvoll anzusprechen. Vor allem wollen sie, und in diesem Punkt werden sie ernst, anderen bewusst machen, was es früher bedeutete, im Dachauer Moos zu leben, das einmal bis Germering reichte. "Wir sind so ein kleines gallisches Dorf", merkt Donhauser in Anspielung an Asterix und Obelix an. Wobei die Rolle des Obelix ihm auf den Leib geschnitten wäre. Während die Bewohner des gallischen Dorfes tapfer mit Zaubertränken gegen die Besatzung übermächtiger Römer ankämpfen, setzen sich die beiden Gröbenhüter ebenso aufmüpfig gegen etwas anderes zur Wehr. Sie wollen verhindern, dass Gröbenzell im Speckgürtel untergeht und damit seine von den Ursprüngen der Siedlung im Moos geprägte Identität verliert. Den beiden Vereinsvorständen entgeht ja nicht, dass es in Gröbenzell läuft wie überall. Einheimische schimpfen einerseits zwar über die Zugezogenen und den Bauboom, um ihnen andererseits umso bereitwilliger ihre teuren Gartengrundstücke zu verkaufen.

Trotzdem haben die ehemaligen Mösler, was laut Donhauser das einzig Richtige war, gegen die Erhebung ihrer Gemeinde zur Stadt gestimmt. Welchen Beitrag die Gröbenhüter dazu leisteten, lassen sie offen. Stattdessen sprechen sie über ihr Ziel, Interesse für die Ortsgeschichte zu wecken und damit zur Bewahrung des kulturellen Erbes beizutragen. Dann, so ihre Hoffnung, lasse sich auch der Ortscharakter erhalten. Ihre Arbeit könnte also wirken wie ein identitätsstiftender Zaubertrank des Druiden Miraculix. Wie Donhauser beteuert, war Gröbenzell schon "immer etwas Besonderes". Das soll so bleiben, um nicht im Einheitsbrei der Stadtrandsiedlungen unterzugehen. Dafür arbeitet Ulrich seit nunmehr 20 Jahren. Gelingt das, hätten die Gröbenzeller etwas davon. Nämlich das Gefühl, in ihrer Gemeinde auch zuhause zu sein und nicht nur in einer beliebigen Schlafstadt zu leben.

Rudi Ulrich und Albert Donhauser bewahren im Heimat- und Torfmuseum viele Relikte aus der Gröbenzeller Geschichte auf. Unter anderem das Namensschild des Bahn-Haltepunkts. (Foto: Günther Reger)

Donhauser, 71, mag ein Gröbenzeller Original sein, der fünf Jahre ältere Rudolf Ulrich ist zudem noch ein Urbayer aus dem Chiemgau, der während des Gesprächs regelmäßig zur Schnupftabakdose greift. 1977 wechselte Ulrich vom Innenministerium als geschäftsleitender Beamter ins Rathaus Gröbenzell. Er kennt also den Ort mit seinen Eigenheiten. Die Chiemgauer Wurzeln und die Ortskenntnis sind eine gute Basis, um den Bewohnern der 1952 gegründeten Gemeinde nun Geschichts- und Traditionsbewusstsein zu vermitteln. Schon seit der Gründung der Gröbenhüter ist Ulrich Vorsitzender, den Anstoß gab 1997 eine Bürgerinitiative, die den Abriss der Alten Schule verhindert hatte.

Ulrich und Donhauser ergänzen sich. Nicht nur, weil sie gemeinsame Hobbys haben. So sind beide erfahrene Laienschauspieler. Der ehemalige Verwaltungsbeamte Ulrich ist zuständig für Organisation und Schriftverkehr. Sein Stellvertreter ist Leiter des Heimatmuseums und gefragter Ortsführer, der Gröbenzellern bei unterschiedlichen Rundgängen Anekdoten aus der Vergangenheit ihrer Gemeinde erzählt. Beispielsweise die, wie der in Gröbenzell lebende Regisseur Fritz Umgelter Anfang der Sechzigerjahre an seinem Wohnort Szenen für den Fernsehfilm "Am grünen Strand der Spree" drehte und die Spree kurzerhand an den Olchinger See verlegte.

Als "Gröbi" derbleckte Donhauser bei Starkbierfesten die Ortsprominenz, als Hochzeitslader ist er bayernweit gefragt. Donhauser hat Max und Moritz in Bairische übertragen, er hält Mundartlesungen und Vorträge übers Brauchtum des Hochzeitladers. Und er schreibt Mundartgedichte. Das Vorstandsduo versteht sich, weshalb beide sogar das Ausscheiden von ihren Ämtern im kommenden Jahr gemeinsam vollziehen wollen. Der Vorsitzende ist optimistisch, geeignete Nachfolger zu finden. Schließlich hat der Verein bei steigender Tendenz 173 Mitglieder. Da Donhauser Mitglied bei weiteren 28 Vereinen ist, wäre das kein Rückzug aus der Vereinsarbeit.

Dass es auch in einer jungen Gemeinde viel Erhaltenswertes gibt, zeigt ein Rundgang im Heimat- und Torfmuseum in der Alten Schule. Als Donhauser geboren wurden, war es noch nicht angesagt, am Münchner Stadtrand in dem ehemaligen Moos im Umkreis von Gröben- und Ascherbach zu wohnen. Der Quadratmeter Grund kostete damals auch noch nicht bis zu 1800 Euro. Weshalb hier vor allem arme Leute hausten, die in der Anfangszeit Torfstecher waren oder Bahnangestellte, die sich anstatt einer Kuh eine Geiß hielten.

Auch wenn das alles noch nicht lange zurückliegt, passen die im Museum bewahrten Geräte, ausgestopften Vögel oder das Armeleute-Gespann eines Leiterwagerls mit einem Geißbock so gar nicht zum Bild vom heutigen Gröbenzell als Vorstadtsiedlung für Betuchte. Gezeigt werden Alltagsgegenstände, wie man sie aus abgelegenen ländlichen Regionen kennt. Zu sehen, wie eine Möslerfamilie vor Generationen lebte, prägt sich mehr ein als abstrakte Hinweise wie der, dass erstmals ein Zollhaus, aus dem die Gemeinde hervorging, im Kastenamt Dachau aufs Jahr 1570 datiert wird. Donhauser hat zu jedem der Ausstellungsstücke eine Anekdote parat. So vermittelt er auf seine persönliche Art, dass die Dinge, mit denen er aufgewachsen ist, auch für andere wichtig sein können.

Donhauser und Ulrich stemmen sich nicht gegen den Wandel, sie wollen nur, dass er Vergangenes integriert und darauf aufbaut. Selbst die Pläne fürs neue Rathaus findet Donhauser gut, auch wenn ihm das Gebäude mit einem integrierten Trakt des Urrathauses und mit einem Saal mit Platz für 300 Menschen noch viel besser gefiele. Der Verein bewahrt und baut eine ortsgeschichtlichen Sammlung auf, er gibt Schriften und ein eigenes Mitteilungsblatt heraus und organisiert Ausstellungen, Vorträgen, Exkursion und Treffen. Vergeblich setzte sich der Verein dafür ein, zumindest einen Trakt des zum Abbruch bestimmten Rathauses zu erhalten. Umso stolzer sind die Vorsitzenden auf die Renovierung der Russenbrücke. Nun sollen, so eine Forderung, wenigstens Werke Gröbenzeller Künstler in den Rathausneubau integriert werden, um das Gebäude doch noch mit etwas Tradiertem zu verbinden.

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: