Denkwürdige Sitzung-:Sesshaft im Parkhaus

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Dauerhaft frische Luft haben die Mitglieder des Kreistags bei ihrer Sitzung im Parkhaus. (Foto: Voxbrunner Carmen)

Weil Corona ist, trauen sich die Kreisräte nicht mehr zusammen in Turnhalle oder Stadtsaal. Für ihre letzte Sitzung vor Weihnachten wählen sie deshalb einen Platz, an dem normalerweise Autos stehen. Ein Lagebericht aus dem Untergeschoss

Von Heike A. Batzer

I rgendwann, als der Mensch vor ganz langer Zeit sesshaft wurde, erfand er erst die Hütte, dann das Haus. Mit einem Dach oben drüber, Wänden und Fenstern an den Seiten und Wärme im Inneren. Das erwies sich als klug, weshalb die Erfindung die Zeit überdauerte. Bis Corona kam und das Draußen plötzlich sicherer erschien als das Drinnen. Auch die Kreisverwaltungsbehörde in Fürstenfeldbruck drängte für die finale Jahressitzung ihrer Kreisräte hinaus ins Freie. Ein Dach über dem Kopf sollte es allerdings schon sein, und so wählte man schließlich das im Anbau an das Landratsamt entstandene neue Parkdeck. Das verfügt sogar über eine eigene Heizung, allerdings nur dort, wo die Autos beim Auffahren auch bei winterlicher Witterung noch festen Boden unter den Reifen verspüren sollen.

Drunten im Parkhaus-Untergeschoss, in der halboffenen Ebene -1, gibt es keine Heizung. Dort tagen am Donnerstag 70 Kreisrätinnen und Kreisräte, also genauer gesagt 58 - die anderen sind nicht erschienen -, um 15 Tagesordnungspunkte abzuarbeiten, darunter die Finanzplanung für das kommende Jahr. Die geht in der Regel einher mit den Haushaltsreden sämtlicher Fraktionen, und im Normalfall kann so was ganz locker anderthalb Stunden und länger dauern. Diesmal benötigt man lediglich 25 Minuten, weil einige der Anregung von Landrat Thomas Karmasin (CSU) nachkommen und ihre Worte als Schriftstücke ausreichen und weil sich die anderen ungewöhnlich kurz fassen. Sogar Martin Runge. Der Fraktionssprecher der Grünen, als regelmäßiger Nutzer von ÖPNV und Fahrrad gewohnt, den Unbilden des Wetters standhalten zu müssen, lässt sich erwartungsgemäß von den Äußerlichkeiten nicht abschrecken, steht von seinem Sitzplatz in Reihe eins auf und redet - am längsten von allen zwar, aber bei weitem nicht so lange, wie er das sonst tut.

Im Corona-Jahr 2020, als der Kreistag seinen Haushalt noch im kommoden Brucker Stadtsaal beschlossen hatte, waren lediglich 41 von 70 Kreisräten erschienen. Auch weil damals ein Kreisrat als Kontaktperson aus der Sitzung gerufen worden und danach selbst an Corona erkrankt war, wie Landrat Karmasin mit einem Jahr Verspätung der SZ mitteilte ("Ich weiß nicht, ob es an die Öffentlichkeit gedrungen ist"), wollte man in diesem Winter ganz besonders vorsichtig sein. Es sei eine Abwägung gewesen, ergänzt Landratsamtssprecherin Ines Roellecke: Denn die Menschen würden gerne über Weihnachten ihre alten Eltern oder schwangeren Ehefrauen schützen, auch wenn sie sich selbst nicht als gefährdet betrachteten. Also möglichst keine Ansteckung riskieren. In der Kreisverwaltung seien dennoch viele Mitarbeiter "sehr skeptisch" gewesen ob des ungewöhnlichen Austragungsortes, sagt Karmasin der SZ noch. Aber "die Leute sind ja im Winter auch im Skilift draußen oder stehen am Christkindlmarkt".

Freiluftveranstaltungen erfreuen sich ja in Corona-Zeiten durchaus einer gewissen Beliebtheit. Michael Schrodi beispielsweise, seit kurzem nicht mehr im Kreistag von Fürstenfeldbruck, aber in den Bundestag wiedergewählt, hatte sich im Dachauer Fußballstadion vom SPD-Wahlvolk nominieren lassen, sein CSU-Kollege Michael Kießling aus dem Nachbarwahlkreis in der Arena von Kaltenberg, in der sich sonst moderne Ritter duellieren.

Auf Parkdeck-Ebene -1, wo sonst Autos stehen, sind diesmal Stühle ohne Polster aufgestellt, alle ordnungsgemäß auf Abstand. Das Mikrofon wird für die Redebeiträge der Kreisräte herumgereicht. So kalt wie in der Vorwoche ist es nicht, vier Grad plus, diesig. Doch der Betonbau strahlt zusätzliche Kälte aus. Zum längeren Sitzen ist es überschaubar gemütlich. Nach dem Einchecken mit Vorlage des 3-G-Status' kommen die Sitzungsteilnehmer an mehreren Kannen Heißgetränken und einem Glas mit Schokoleckerli vorbei. Die Stimmung wirkt durchaus weihnachtlich-gelöst, während die Kreisräte nach ihren Plätzen suchen, an denen Namensschilder hängen. Manuela Kreuzmair (CSU) findet ihn weit vorne und stellt fest, dass es schwierig sei, die Kolleginnen und Kollegen mit Masken, Mützen und Schals auch zu erkennen. Alle sind warm eingepackt, manche haben sich mit Decken oder gar einer golden glitzernden Rettungsfolie ausgerüstet. Christian Stangl (Grüne) wappnet sich für die Sitzung, von der er noch nicht weiß, wie lange sie dauern wird, und lässt Flüssigkeit aus der großen Kanne in einen Becher fließen: Hagebuttentee. Manche wie Benjamin Miskowitsch (CSU), ohnehin ein Freund guter Laune, haben sichtlich Spaß an der Abwechslung: "Ich finde das lustig", sagt der 37-Jährige: "Und dabei denkt man, man hat schon alles erlebt."

Emanuel Staffler, als CSU-Fraktionsvorsitzender ganz vorne platziert, macht ein Selfie mit den übrigen Kollegen im Hintergrund. Wie überhaupt viel geknipst wird an diesem unwirtlichen Ort. Auch Wolfgang Kaufmann, als Leiter der Abteilung Zentraler Service einer der wichtigsten Beamten im Landratsamt, lässt sich in der Kulisse fotografieren. Es sei wohl seine letzte Kreistagssitzung, sagt er. Zum 1. April wird er in den Ruhestand gehen. Am Ende der Sitzung gibt es einen großen roten Christstern für ihn.

Die Themen sind in knapp 70 Minuten abgearbeitet. Es sei "eine der nettesten Kreistagssitzungen" gewesen, sagt Sprecherin Roellecke rückblickend. Landrat Karmasin hofft dennoch, dass dies "eine einmalige Sache" bleiben werde. Grünen-Kreisrätin Angelika Simon-Kraus bezweifelt das, als sie sich am Ende noch zu Wort meldet und sich für 2022 einen anderen Sitzungsort oder wenigstens einen Termin Anfang Dezember wünscht, damit niemand eine Quarantäne zu Weihnachten befürchten müsse. Denn in einem ist sie sich sicher: "Die Pandemie wird uns auch im nächsten Jahr noch genauso zu Hygienemaßnahmen zwingen".

© SZ vom 18.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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