Das Jahr im Landkreis Fürstenfeldbruck:Professionell durch das Corona-Jahr

Lesezeit: 8 min

Erschöpfung, Frust, aber auch Respekt - wie es Menschen aus dem Landkreis ergeht, die es gewohnt sind, häufig in der Öffentlichkeit zu stehen

Von SZ-Autoren, Fürstenfeldbruck

Wie ist es den Menschen im zweiten Corona-Jahr in Folge ergangen? Die SZ hat sich bei Leuten umgehört, die trotz Pandemie in der Öffentlichkeit wirken, weil ihre Berufe das verlangen, und die damit anderen Menschen in unterschiedlichem Maße nahe kommen, auch wenn Abstandsgebote gelten.

Der Taxifahrer

Florian Drechsler hatte weniger Fahrgäste als sonst. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Eigentlich gehören Weihnachtszeit und Silvester zu den besten Zeiten im Taxigewerbe. Die Leute gehen weg, zur Weihnachtsfeier oder Silvestergala, wollen auch was Alkoholisches trinken und nehmen für den Heimweg gerne das Taxi. Heuer sind fast alle Weihnachtsfeiern erneut ausgefallen, für Weihnachten galt der Appell der Zurückhaltung und zum Jahreswechsel darf kaum was los sein. "Für uns ist das eine Katastrophe", sagt der Brucker Taxiunternehmer Florian Drechsler, 37. Dasselbe hatte seine Branche im Vorjahr erlebt, die Umsätze waren Drechsler zufolge "massiv zurückgegangen". Nun ein Déjà-vu. Dabei hatte der Sommer Hoffnung geweckt, es sei "fast wie vor Corona" gewesen, erinnert sich Drechsler. Die Leute gingen wieder hinaus, und gerade von der Öffnung von Kneipen und Clubs und den Nachtschwärmern profitierten auch die Taxifahrer. Aber nun sei das Geschäft "wieder komplett hinüber", sagt Drechsler, der das erste und noch immer einzige E-Taxi in der Kreisstadt in seinem Fahrzeugbestand hat. Dabei hat man längst alle Hygienemaßnahmen ergriffen, um eine Fahrt im Taxi so sicher wie möglich zu machen. Die Fahrzeuge werden desinfiziert, Fahrer und Fahrgäste tragen Mund-Nasen-Schutz, und die Fahrgäste sitzen, wann immer möglich, hinten im Fond. Von der 3-G-Regelung wurden Taxis allerdings ausgenommen. "Meine Fahrer sind alle geimpft", fügt Drechsler noch an, und natürlich mache man sich bisweilen Gedanken über die Möglichkeit einer Ansteckung in einem Beruf, in dem man den Menschen nahe kommt. Vorsicht sei auch deshalb geboten, weil man im Taxi gerade auch kranke Menschen befördere, die beispielsweise zur Chemotherapie oder Dialyse gebracht werden müssen. Für 2022 wünscht er sich, "dass wieder Großveranstaltungen stattfinden". Man habe im Sommer gesehen, dass die Leute Lust darauf hätten. "Und dann sind wir auch wieder gefragt."

Das Wirtepaar

Günter und Renate Sirtl verabschieden sich als Wirte vom Jexhof. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Zwei Jahre haben Renate und Günter Sirtl gebraucht, um aus dem Gröbsten herauszukommen und eine schwarze Null zu schreiben. Das war im vergangenen Jahr, und die beiden hofften sehr, dass sie als Wirte der Gastronomie im Bauernhofmuseum Jexhof weiter ihre Gäste begrüßen und versorgen können. Doch das Auf und Ab mit Corona, Lockdown und dann 3- und 2-G-Regelung haben den Sirtls das Leben schwer und ihren kleinen wirtschaftlichen Erfolg Jahres zunichte gemacht. Mitte dieses Jahres haben sie beschlossen, kein eigenes Geld mehr in die Wirtschaft zu stecken und dem Landratsamt als Verpächter die Kündigung zu schicken.

"Wir waren gerne hier oben", sagt Renate Sirtl, 58, über ihren Arbeitsplatz auf dem Jexhof. Weggeduckt zwischen den hohen Buchen und Fichten, liegt das Bauernhofmuseum einsam, aber unglaublich attraktiv für Wanderer und Museumsbesucher. Den Unterschied machen die Sirtls schon, sind doch viele nur wegen der Gastronomie vorbeigekommen und weniger wegen der Ausstellungen. Lange Schlangen bildeten sich im vergangenen Jahr, als sie nur "to go" verkaufen durften, aber die Gäste waren geduldig. Als der Lockdown drohte, ließ sich das Paar etwas einfallen. Weil es geheißen hatte, die Gastronomie dürfe einen Verkauf machen, schaffte man einen großen Gastrogrill an. 5000 Euro kostete das Prachtstück, doch zum Einsatz kam es dann erst einmal nicht, weil alles verboten wurde. Als es noch viel Andrang an den Wochenenden gab und zwischen 150 und 200 Essen jeweils täglich aus der Küche getragen wurden, war auch eine zweite Kaffeemaschine fällig. Wiederum Tausende Euro Investition. Die Geräte sind nun nichts für zu Hause, aber das Landratsamt wolle nicht in den Leasingvertrag eintreten, wie Günter Sirtl berichtet. Auch Personalkosten, die sie anfangs so nicht hatten, trugen dazu bei, dass es zu einer Schieflage kam. Die Corona-Auflagen von Hygienemaßnahmen bis Impfzertifikat-Kontrolle mussten erfüllt werden.

Renate und Günter Sirtl, der in diesem Jahr 60 geworden ist, haben am zweiten Weihnachtsfeiertag zum letzten Mal aufgesperrt. Sie haben nun Schulden abzuzahlen, aber sie blicken auch mit sehr viel Stolz auf die Zeit im Wald zwischen Schöngeising und Mauern zurück. "Wir hatten einige schöne Feste, es waren immer wieder spontan Wirtshausmusikanten da, und wir hatten viele Stammgäste." Ob sie das nun alles so abwickeln können, damit sie nicht noch mehr draufzahlen, wissen die Sirtls nicht. Das Landratsamt hat die Gastronomie inzwischen auf einem Immobilienportal ausgeschrieben, aber anscheinend vergessen, was der Familie Sirtl noch wichtig gewesen wäre: die Ablöse, um wenigstens einen Teil der Schulden decken zu können.

Der Bestatter

Peter Kramer hatte im vergangenen Jahr mehr Termine. (Foto: Privat)

Es gab eine Zeit im Sommer, da schien es so, als müsse Peter Kramer Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Der 60 Jahre alte Geschäftsführer von Abschied-Bestattungen, die mit einer Filiale auch in Gröbenzell vertreten sind, schüttelt ratlos den Kopf. Er blickt auf ein schwieriges Jahr zurück. Im Dezember hatte Corona noch seine Spuren hinterlassen, nachdem das Virus in Krankenhäusern und Altenheimen gewütet hatte. Das kam dann auf die in dieser Jahreszeit ohnehin schon vielen Sterbefälle noch obendrauf. Der Sommer verlief dann sehr, sehr ruhig, bevor es in diesem Herbst wieder viele Termine gab. Was Kramer im ganzen zurückliegenden Jahr aber noch mehr Probleme bereitet hat als diese besonders ausgeprägten Wellenbewegungen bei den Bestattungen, das waren die staatlichen Vorgaben rund um Mundschutz, Mindestabstand und Maximalzahl der Gäste, die sich alle paar Tage ändern können. Wie viele Personen bei einer Beerdigung gerade in die Trauerhalle dürfen? "Moment mal", sagt Kramer und gibt die Frage an einen Mitarbeiter weiter. In München sind es wohl 25, in Gröbenzell zurzeit zwölf. Bereits im ersten Lockdown hat das Bestattungsunternehmen reagiert. Wer mag, kann die Zeremonie seither live übertragen lassen, die Aufnahme wird dann auf der Homepage gespeichert. Das passt zu anderen, eher ungewöhnlichen Angeboten wie der Seebestattung vor der Küste Kroatiens oder der Flugbestattung. Für die Sache mit den Videoaufnahmen habe es viel positive Resonanz bei den Kunden gegeben, sagt Kramer, auch wenn es anfangs ein paar technische Probleme mit Bild und Ton gab. Manche, die im Ausland leben, wären zwar gerne persönlich gekommen, seien aber an den Einreisebedingungen gescheitert. Die konnten zumindest am Bildschirm Abschied nehmen von verstorbenen Verwandten und Freunden.

Angespannt ist die Situation zudem, weil viele der Beschäftigten zwar geimpft sind, drei aber nicht - die jeden Tag in der Früh vor Arbeitsantritt getestet werden müssen. Da habe es schon mal kontroverse Diskussionen unter den Mitarbeitern gegeben, sagt Kramer, der sich um den Betriebsfrieden sorgt.

Der Pandemiebeauftragte

Hermann Schubert hatte 2022 viel zu organisieren. (Foto: Privat)

Hermann Schubert ist Stress gewohnt. Er ist als Leitender Oberarzt für die Intensivstation des Klinikums Fürstenfeldbruck zuständig. Das ist bereits in den sogenannten normalen Zeiten ein anstrengender und verantwortungsvoller Job. Seit vielen Monaten ist er nun aber auch als Pandemiebeauftragter des Krankenhauses und des Landkreises ein gesuchter Ansprechpartner. "Wenn ich zurückblicke auf das Jahr, dann war es schon anstrengend" sagt der 59 Jahre alte Mediziner und schließt dabei vor allem das Pflegepersonal, die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, aber auch alle weiteren Beschäftigten des Klinikums ein. Mit der im November 2020 anschwellenden zweiten Coronawelle ging es schon in den Jahreswechsel hinein. Stark steigende Infektionszahlen zogen zwangsläufig mehr Patienten auf Corona- und Intensivstation nach sich. Schubert musste Ruhe bewahren beim Organisieren. Die Pandemie war täglich präsent, Alltagsgeschäft. Eigentlich ein Wunder, dass es dem verheirateten Vater eines erwachsenen Sohns dennoch gelang, im Urlaub in Südtirol den Kopf frei zu bekommen, mal durchzuschnaufen und Kraft zu tanken für den anstrengenden Job auf der Intensivstation. Den Einschränkungen in Zeiten des Lockdowns kann Hermann Schubert in gewisser Weise sogar etwas Positives abgewinnen: beruflich habe es auch an diesen Tagen viele soziale Kontakte gegeben. Dass dann "der private Terminkalender leer war", habe eher geholfen, zur Ruhe zu kommen nach der Arbeit. Die ist geprägt von den umfassenden Schutzmaßnahmen, aber auch den Krankheitsverläufen. Unfallopfer, die auf die Intensivstation kommen, sind manchmal schon nach ein paar Tagen über den Berg. Aber Covid-Patienten kämpfen nicht selten wochenlang um ihr Leben, in vielen Fällen verlieren sie diesen Kampf. Das ist nicht nur für die Angehörigen, sondern auch fürs Personal zermürbend. Großen Respekt hat Schubert da für seine Mitarbeiter, die dennoch "sehr professionell arbeiten". Und wie ist das mit dem bundesweit zunehmenden Mangel an Pflegerinnen und Pflegern? Bisher hat Schubert den Eindruck, dass nicht zuletzt der Teamgeist hilft, dass alle weiterhin motiviert sind. Wie lange das so bleibt und wann endlich wieder "normaler Alltag" einkehrt? "Da traue ich mir keine Vorhersage zu, auch wegen der Omikron-Variante." Er hofft, dass sich dann die Infektionen unter den Mitarbeitern nicht zu sehr häufen. "Wir müssen es aber so nehmen wie es kommt." Nach Heiligabend hat Hermann Schubert auch an Silvester Rufbereitschaft. Das Virus kennt keine Feiertage.

Der Musiker

Frank Wunderer hatte mit den Bluestrings nur wenige Auftritte. (Foto: Leonhard Simon)

Normalerweise steht der Jazzgeiger Frank Wunderer etwa 40 Mal im Jahr mit den Bluestrings, seinem Nachwuchs-Jazzstreicher-Ensemble, auf der Bühne - nicht nur im Landkreis, sondern überall in Deutschland, immer wieder auch International, bei Festivals und Besuchen befreundeter Musiker. In den beiden vergangenen Jahren war es keine Handvoll Auftritte, die jeweils übrig geblieben ist. "Die Motivation ist da völlig im Keller, es fehlt eine Planungssicherheit und von dem finanziellen Einbruch ganz zu schweigen, da bin ich sehr froh, dass wir an der Kreismusikschule, wenn auch teilweise nur online, weiterarbeiten konnten", sagt Wunderer, der nicht nur die Bluestrings leitet, sondern auch Geigenlehrer ist. Er kenne aber auch Kollegen, denen es richtig schlecht gehe und die entweder permanent um ihre Existenz fürchten oder sich bereits einen Job in einer anderen Branche gesucht haben. "Dass der ganze Kulturbetrieb für so einen langen Zeitraum so perspektivlos heruntergefahren wird, ist skandalös, aber es fehlt dem ganzen Kulturbereich die Lobby und die Kohle wie beim Fußball", sagt Wunderer. Auch unter seinen Schülerinnen und Schülern mache sich langsam der Frust breit. Immer wieder werde er von den Nachwuchsmusikern gefragt, warum sie denn überhaupt noch üben sollten, wenn sowieso alles gesagt wird. "Ich kann das so gut verstehen. Ich bin ja auch leidenschaftlicher Jazzpädagoge und die Motivation für einen selber ist schwierig und die Kids zu motivieren ist kaum noch möglich. Zwei Jahre sind in der Jugendarbeit eine lange Zeit, fast eine ganze Nachwuchs-Generation und die Auswirkungen dieses Defizits werden wir in der Gesellschaft und im Kulturbereich noch sehr lange spüren". Für das neue Jahr wünsche er sich, dass wieder mehr Gemeinsamkeit, egal in welchem Bereich, möglich sein wird und statt Misstrauen und Missgunst wieder das gemeinsame Erleben und Miteinander im Vordergrund stehen.

Die Lehrkraft

Cathrin Theis hat den Teamgeist an ihrer Schule erlebt. (Foto: Privat)

Immer wieder versuchen Cathrin Theis und ihr Kollegium, für die Kinder der Grundschule Graßlfing kleine Highlights in den Schulalltag einzubauen. Das reicht von der virtuellen Faschingsparty an Weiberfasnacht im Februar dieses Jahres bis zur Runde der Schulleiterin durch alle Klassenzimmer als Christkind verkleidet am Donnerstag vor Heiligabend. Die Rektorin der kleinen Grundschule in dem Olchinger Stadtteil hat viele Ideen, wie sie den Buben und Mädchen das Leben in der Schule erleichtern kann. Sie weiß, wie sehr die Kinder gelitten haben, als es nur Fernunterricht gab, und wie froh sie darüber sind, dass sie wieder in die Schule gehen können. Dabei arbeiten die Lehrerinnen und Lehrer in der Pandemie an der Belastungsgrenze. Glücklicherweise seien alle geimpft. "Bei uns herrscht viel Teamgeist, aber alle sind platt." Deshalb hat sie ihr Kollegium zu einem Fest in ihren großen Garten eingeladen, mit Grillwürsten und Glühwein, auch ein Highlight. Theis merkt, dass sie selbst nun Fehler macht, die ihr früher nicht unterlaufen wären. Zum Glück sei bisher nichts Schlimmes passiert. Phasen, in denen sie abschalten und Kraft schöpfen könne, gebe es praktisch nicht. In den Sommerferien habe sie heuer tatsächlich zwei Wochen Ferien gehabt, "und ich bin fast nicht gestört worden". Und einmal habe ihr Mann sie ins Flugzeug gesetzt und für sechs Tage nach Mallorca geschickt. Er hatte wohl bemerkt, dass seine Frau ziemlich am Ende war. "Ich denke oft, Cathrin, da musst du durch", sagt die 59-Jährige. Schließlich seien die Kinder jeden Tag glücklich, dass sie in die Schule kommen dürften. Dort haben sie auch heuer Drogerieartikel für die tafel gesammelt, um zu zeigen, "dass wir eigentlich noch Glück haben." "Ich hoffe auf den Sommer und auf die Menschen, die verstehen, dass es ohne Impfen nicht geht."

© SZ vom 31.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: